Der Vermögensverwalter WisdomTree hat einen Ausblick für Gold bis zum zweiten Quartal des kommenden Jahres veröffentlicht. Im optimistischen Fall sind demnach Preise von 2.070 Dollar je Feinunze drin und im pessimistischen Fall 1.415 Dollar. Was Berater jetzt wissen sollten.
14.07.2020 | 14:00 Uhr von «Jürgen Büttner»
Gold, das zum Wochenende bei rund 1.800 Dollar je Feinunze notierte, ist der einzige wichtige Rohstoff, der seit Jahresbeginn in der ersten Jahreshälfte 2020 Zuwächse verbuchen konnte, erklärt WisdomTree in einer aktuellen Studie zu dem gelben Edelmetall. Durch die COVID-19-Krise seien die Pläne für 2020 vollkommen aus den Fugen geraten. Beispielsweise hat der Internationale Währungsfonds zu Beginn des Jahres noch ein BIP-Wachstum von 3,3 Prozent, so der Vermögensverwalter. Diese Vorhersage sei auf -4,9 Prozent nach unten korrigiert worden.
Bei zyklischen Anlagen sei es zu hohen Verlusten gekommen, während defensive Anlagen wie Gold und US-Treasuries floriert hätten. Doch in den vergangenen Monaten hätten zyklische Anlagen ein Comeback gestartet, so als ob diese Märkte eine v-förmige wirtschaftliche Erholung erwarten würden. Die tatsächlichen Wirtschaftsdaten sprächen jedoch leider nicht für eine schnelle Erholung der Wirtschaft.
Ein Allzeithoch mag der Aktienindex S&P 500 Index zwar bisher knapp verpasst haben, im Juni sei er aber kurz auf sein Niveau vom Jahresanfang gestiegen. Der technologielastigere Nasdaq Composite habe Allzeithochs erzielt, während weniger auf Technologie spezialisierte und globale Indizes, wie der MSCI ACWI, nicht so gut abgeschnitten hätten. Ihre Erholung könne aber trotzdem als v-förmig bezeichnet werden.
Auch bei Industriemetallen und Öl sei es zu einer kräftigen Erholung gekommen, jedoch nicht ganz so deutlich wie bei Aktien. Angesichts dieser guten Kurs- und Preisbewegungen stelle sich die Frage, ob Gold vor einer Abwärtswelle steht oder ob das Edelmetall weiterhin in der Gunst der Anleger oben bleibt? Wir zeigen, wie WisdomTree diese Frage mit Blick nach vorne bis zum zweiten Quartal 2021 beantwortet.
Bei der Suche nach einer Antwort beschäftigt sich WisdomTree zunächst damit, wie die Anleger in Sachen Gold derzeit aufgestellt sind. Beurteilt man dies basierend nach der Positionierung auf den Gold-Futures-Märkten, sei die Stimmung im Hinblick auf Gold von ihren Allzeithochs abgerückt, wie Abbildung 2 zeigt.
Werde diese Reihe aber um das offene Interesse an allen Gold-Futures bereinigt (durch die Betrachtung der spekulativen Netto-Positionierung als Anteil am offenen Interesse), wie in Abbildung 3 dargestellt, werde ersichtlich, dass die Reihe die Hochs von 2009 in diesem Jahr nicht erreichen konnte.
Im Februar 2020 sei das offene Interesse an Gold-Futures ebenfalls hoch gewesen, weshalb diese bereinigte Reihe etwas unterhalb der Rohdaten für die Netto-Positionierung gelegen habe. Gleichermaßen sei der seitherige Rückgang bei der spekulativen Netto-Positionierung zeitlich ebenfalls mit einem rückläufigen offenen Interesse zusammengefallen. WisdomTree schreibt den Rückgang beim offenen Interesse den Verwerfungen auf den Gold-Futures-Märkten zu, die durch die COVID-19-Krise ausgelöst worden seien.
Die Stimmung unter den Investoren sei gegenüber Gold möglicherweise nicht so stark gesunken, wie die Rohdaten für die spekulative Positionierung (Abbildung 2) dies wiedergeben würden, und in der Tat ließen die Zuflüsse in Exchange Traded Products für Gold auf ein optimistischeres Bild schließen. Gold in Exchange Traded Products seien weltweit auf ein Allzeithoch von 102 Millionen Feinunzen gestiegen - zu Beginn des Jahres seien es noch 83 Millionen Feinunzen gewesen.
Nach Erachten von WisdomTree wird es in der Weltwirtschaft zu einer u-förmigen Erholung kommen. Nach Ansicht des Vermögensverwalters ist das Ausbleiben einer v-förmigen Erholung der Wirtschaft, während verschiedene Anlagen hohe Gewinne verzeichnen, ein starkes Anzeichen dafür, dass sich wieder Anlageblasen bilden. Obwohl die Finanz- und Währungsbehörden in dieser Krise versucht hätten, neben den Investoren auch vermehrt die Wirtschaft zu begünstigen, sei bei Risikoaktiva eine übermäßige Wertentwicklung zu beobachten gewesen.
Mögliche negative Konsequenzen einer Blase könnten sich aber für den Goldpreis als positiv erweisen. Im hauseigenen "Anlageausblick 2020" habe man bereits die Frage gestellt: "Könnte die Fiskalpolitik bei wenig geldpolitischem Spielraum zur neuen Geldpolitik werden?" Obwohl man die Fähigkeit der Zentralbanken zu einer fortgesetzt expansiven Geldpolitik wohl unterschätzt habe, habe man insofern recht gehabt, dass wir uns einer Form der Modern Monetary Theory nähern, bei der die Zentralbanken einen größeren Anteil an der Staatsverschuldung anhäufen, um Finanzinstitutionen weiterhin ihre Ausgaben zu ermöglichen.
Wenn sich die Wogen glätten würden, werde die Nachhaltigkeit eines solchen Vorgehens auf den Prüfstand gestellt werden. In der Staatsschuldenkrise von 2011 habe Gold sein Allzeithoch in der Tat deshalb erreicht, weil das Metall als Absicherung gegen die zunehmenden Schuldenprobleme im Euro-Raum stark nachgefragt worden sei.
Eine steigende Schuldenlast und Inflationsdruck könnten erst in mehr als einem Jahr eine echte Gefahr darstellen und damit außerhalb des einjährigen Prognosezeitraums dieses Ausblicks liegen, die Investoren würden diese potenziellen Probleme aber im Voraus einkalkulieren. Die Nachfrage nach Gold wird laut WisdomTree auf einem erhöhten Niveau verbleiben, da die Investoren eine Absicherung gegen wachsende finanzielle Probleme anstreben würden.
Außerdem fänden in diesem Jahr in den USA Präsidentschaftswahlen statt. Im Wahljahr 2016 habe die Positionierung in Gold-Futures vor einer Wahl mit einem engen Ausgang ein neues Hoch erreicht. Nach dem Sieg von Trump hätten die Märkte eine unternehmensfreundliche Wachstumspolitik eingepreist und die Positionierung in Gold wie auch die Goldpreise seien gefallen. Heute ließen die Umfragen darauf schließen, dass der Präsidentschaftskandidat Biden gegenüber Trump eine sehr große Mehrheit habe.
Natürlich lägen die Wahlen noch weit entfernt und die Fähigkeit der Umfragen bei der Vorhersage von Wahlausgängen lasse einiges zu wünschen übrig. Auch sei die Dynamik heute eine vollkommen andere. Bei den letzten Wahlen sei Obamas zwei Amtszeiten vorüber und der Kandidat der Demokraten sei zu diesem Zeitpunkt im Zyklus noch nicht bekannt gewesen. Doch zu diesem Zeitpunkt im letzten Wahlzyklus hätten Hillary Clinton und Donald Trump Kopf an Kopf gelegen.
Es ergäben sich weitere Unsicherheiten daraus, dass wir nicht wissen, ob der Sieger der Präsidentschaftswahlen die Unterstützung des House of Representatives und des Senats haben und somit in der Lage sein werde, seine Politik durchzusetzen. Zum Zeitpunkt des Verfassens lasse sich ein Wiederaufflammen des Handelskonflikts zwischen den USA und anderen Ländern wie China beobachten. Der Verlauf dieser Gespräche könnte unterschiedlich ausfallen, wenn Trump oder Biden zum Präsidenten gewählt werden. Was auch bei diesen Wahlen passiere, nach Erachten von WisdomTree werden die Investoren Absicherungen anstreben, während wir uns auf einen Zeitraum zubewegen, der für die Anlagemärkte häufig turbulent ausfalle.
Zu guter Letzt stiegen zum Zeitpunkt des Verfassens der Studie die Zahl der COVID-19-Fälle in Regionen der Welt, die ihre Lockdown-Maßnahmen gelockert haben, darunter in den USA, in China und Teilen von Europa. Wenn die Lockdowns wieder eingeführt werden müssten, könnte die Risikobereitschaft einen Dämpfer erhalten und Gold als sichere Anlage wieder in der Gunst stehen.
Mithilfe eines Modellrahmens, mit dem WisdomTree die Edelmetalle bewertet, hat der Vermögensverwalter einige Szenarien für die Goldpreise bis ins zweite Quartal 2021 ausgearbeitet.
In Abbildung 4 stellt man drei unterschiedliche Prognosen dar:
Der von Bloomberg erhobene Konsens laufe auf eine Verschärfung der Geldpolitik durch die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) gegen Ende des Prognosehorizonts bis zum Ende des zweiten Quartals 2021 hinaus, wobei die von Bloomberg-Befragten im Durchschnitt eine Anhebung des oberen Endes der Fed-Fund-Spanne um fünf Basispunkte erwarteten.
Dies werde einen Anstieg der Fed Fund Rates bis zum zweiten Quartal 2021 von 0,25 Prozent auf 0,3 Prozent bedeuten. Dadurch würden die Treasury-Renditen voraussichtlich ansteigen und bei Gold für Gegenwind sorgen. Den Konsenserwartungen zufolge werde die Inflation bis zum Ende des ersten Quartals 2021 unter einem Prozent bleiben und danach deutlich auf 1,8 Prozent steigen, da der Basiseffekt extrem niedriger Energiepreise im Jahr 2020 bei den Berechnungen gegenüber dem Vorjahr für einen Anstieg sorgen werde. In diesem Szenario sieht WisdomTree die Positionierung in Gold-Futures stabil bei 250.000 Kontrakten netto long.
Dem Modell zufolge erreichen wir zum Ende des Prognosehorizonts einen Goldpreis von 1900 Dollar/Feinunze, wodurch Gold wieder das Allzeithoch vom Mai 2011 eingestellt hätte.
Laut WisdomTree befinden wir uns in einer u-förmigen wirtschaftlichen Erholung. Dies entspreche im Allgemeinen der neuesten Prognoseanpassung des IWF. Nach Ansicht des IWF wird die Weltwirtschaft dieses Jahr um 4,9 Prozent schrumpfen. Obwohl 2021 eine Erholung von 5,4 Prozent erwartet werde, bleibe das BIP für 2021 ungefähr 6,1 Prozent hinter den Prognosen vor der Krise zurück. Es seien fortgesetzte Konjunkturprogramme notwendig, um die Wirtschaft zu stützen. Dadurch werde es auf verschiedenen Anlagemärkten weiterhin zu Verzerrungen kommen und anfällige Portfolios würden starken Korrekturen ausgeliefert sein. Die fortgesetzte Tendenz der Federal Reserve zu geldpolitischen Lockerungen werde den Druck auf die Renditen von US-Treasuries aufrechterhalten.
WisdemTree erwartet, dass die Positionierung in Gold-Futures erneut steigen wird. Wie man in der Einführung bereits erwähnt habe, könnte der fehlende Zusammenhang zwischen den Aktienmärkten und der Wirtschaft die Investoren dazu veranlassen, defensive Absicherungen anzustreben. Eine steigende Schuldenlast, ein Präsidentschaftswahljahr in den USA und ein Anstieg der COVID-19-Fälle könnten ebenfalls mehr Investoren in defensive Positionen treiben.
Nach Ansicht des Vermögensverwalters wird die Inflation bei einer u-förmigen Erholung höher ausfallen als vom Konsens angenommen. Dies sei hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass die Lieferketten unterbrochen seien und die Inputpreise für viele Güter und Dienstleistungen somit steigen würden.
Außerdem könne es sein, dass offizielle Messungen der VPI-Inflation die Inflation in der COVID-19-Krise nicht genau wiedergeben würden. Der Warenkorb, anhand dessen die Statistiken berechnet werde, basiere auf dem Verbrauch von 2019, doch was heute konsumiert werde, habe sich in dieser neuen Umgebung stark verändert. Die mangelnde Verfügbarkeit bestimmter Produkte bedeute häufig, dass die Verbraucher auf Substitutionsgüter zurückgreifen müssten - beispielsweise auf kleinere Verpackungseinheiten -, die oft mehr kosten als das ursprünglich gewünschte Produkt. Dies fließe jedoch nicht in die offizielle Inflationsstatistik ein.
Verzerrungen der Inflation würden sich aller Voraussicht nach fortsetzen. Der Korb von 2021 werde auf dem Konsum von 2020 basieren, der wiederum nicht dem entsprechen werde, was die Verbraucher wahrscheinlich konsumieren werden, sobald es zu einer Erholung komme. WisdomTree rechnet dies in eine Situation ein, die nach Ansicht der Studienverfasser nach ein Inflationserlebnis widerspiegele und nicht das, was durch offizielle Statistiken gemessen werde. Die Autoren haben dies umgesetzt, indem man die Inflation nach oben angepasst habe, wenn man den Warenkorb vor der Krise als Basis verwende, und sie nach unten angepasst, wenn man den Warenkorb nach der Krise als Basis verwendet habe.
WisdomTree glaubt, dass sich der US-Dollar wieder ans obere Ende seines Handelsbereichs der vergangenen drei Monate begeben wird. Wenn Gold in diesem unsicheren Umfeld als sichere Anlage nachgefragt werde, sei es wahrscheinlich, dass dies auch beim US-Dollar der Fall sein werde. Dem Modell zufolge könnten wir zum Ende des Prognosehorizonts einen Goldpreis von 2.070 Dollar/Feinunze erreichen und das frühere Allzeithoch vom Mai 2011 bis Ende dieses Jahres durchbrechen.
Im Bärenszenario untersucht WisdomTree, was passieren würde, wenn nach Ansicht der Fed ein außergewöhnliches Entgegenkommen nicht mehr notwendig wäre. Die Basis dafür könnte eine "v-förmige" wirtschaftliche Erholung bilden, bei der die COVID-19-Fälle kontinuierlich rückläufig seien (eventuell aufgrund eines Durchbruchs bei einem Impfstoff), es zu keiner Wiederholung der politischen Spannungen komme, die sich 2018/2019 zusammengebraut haben, und bei der die Verzerrungen auf den Anlagemärkten, ausgelöst durch eine fortgesetzte Lockerung, ins Bewusstsein gerückt würden. Die Fed habe die Zinsen zwar in früheren Wahlzyklen durchaus erhöht, eine Verschärfung der Geldpolitik sei heute allerdings kontroverser.
Die Treasury-Renditen würden steigen und der US-Dollar könnte aufgewertet werden, falls andere Zentralbanken nicht gleich stark mitziehen. Aufgrund fehlender bedeutender Bedrohungen der Wirtschaft und, da die Wirtschaft in der Tat mit den zyklischen Anlagemärkte aufhole, könnte die Positionierung in Gold-Futures durch die Investoren sinken.
Zu guter Letzt sorge bei Gold für Gegenwind, dass die Erholung zum Großteil inflationshemmend wirke. Effiziente Arbeitsweisen, neues Supply-Chain-Management und eine beschleunigte Anwendung von Technologie könnten Kosten senken und die Preise unter Kontrolle halten.
Eine Kombination aus allem würde die Goldpreise auf 1.415 Dollar/Feinunze sinken lassen und damit die Zuwächse auslöschen, zu denen es seit Juli 2019 gekommen sei.
Wenn man den wirtschaftlichen Input aus dem Konsens oder die interne Sichtweise von WisdomTree einer u-förmigen wirtschaftlichen Erholung heranziehe, werde Gold basierend auf den Ergebnissen des Modells voraussichtlich auf ein Allzeithoch zusteuern. Wenn die Fed ihre Lockerungen fortsetze (wie im u-förmigen Szenario), werde Gold dieses Allzeithoch noch schneller erreichen. Die rückläufige Positionierung in Gold-Futures könnte sich leicht umkehren, da sich die Märkte bewusst würden, dass wir in dieser Krise noch nicht über den Berg sind.
Im Bärenszenario, das WisdomTree für am unwahrscheinlichsten hält, könnten bei Gold die Zuwächse eines Jahres ausgelöscht werden, da die Rückkehr zur geldpolitischen Normalität schnell vonstattengehen würde (und keinen Zusammenbruch der Wirtschaft mit sich bringe).
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