An der Situation der Anleihenmärkte scheiden sich die Geister der Experten. Was Berater jetzt über Bonds wissen müssen.
04.09.2019 | 14:00 Uhr von «Christian Bayer»
Edgar Walk, Chefvolkswirt von Metzler Asset Management, äußert sich kritisch über
die aktuelle Situation an den Anleihemärkten: „Hohe politische Unsicherheiten,
Rezessionsängste, eine niedrige Inflation und Zentralbanken im
Risikomanagementmodus – all das hat im Zusammenspiel zu einer Rally am
Anleihemarkt geführt, die für den gesunden Menschenverstand nicht mehr
nachvollziehbar ist.“ Als beispielhaftes Symptom nennt der Ökonom die
Kursentwicklung der 100-jährigen österreichischen Staatsanleihe, die im September
2017 aufgelegt wurde und seither um 100 Prozent zugelegt hat.
Walk verweist auf Berechnungen der BofA Merrill
Lynch, die im laufenden Jahr erhebliche Abflüsse aus Aktien (-197 Milliarden
US-Dollar) und Zuflüsse in Anleihen (+313 Milliarden US-Dollar) signalisiert
haben. Laut einer Umfrage der US-Bank würden trotz der aktuellen Tiefststände die
Mehrheit der Finanzmarktakteure weltweit immer noch mit weiter fallenden Renditen
und Zinsen rechnen. „Der Optimismus für die Kursentwicklung im Anleihemarkt ist so groß wie zuletzt 2008. Diese Positionierung und
Erwartungshaltung ist typisch,
wenn mit einer schon bald bevorstehenden schweren
Rezession gerechnet wird. Kam es jedoch schon zu einer Kursrally und sind die Kursphantasien immer noch groß, ist das oft
auch ein Warnsignal für eine
Übertreibung“, so der Metzler-Chefvolkswirt in einem aktuellen Marktkommentar.
Aus Sicht der Kapitalmarktexperten des Hauses Bantleon ist in den hoch
bewerteten Staatsanleihen sehr viel Negatives bereits eingepreist ist und das
Potenzial für weitere Kursrückgänge zurückgegangen. Zudem hätten sich Falken
des EZB-Rats wie Jens Weidmann, Klaas Knot und Sabine Lautenschläger gegen eine
Wiederaufnahme des QE-Programms ausgesprochen. „Dieses Trio wurde zwar schon
häufiger überstimmt. Dennoch ist das lautstarke Vorpreschen bemerkenswert und
schürt Verunsicherung. Unter Umständen ist das von den Finanzmärkten bereits
erwartete umfassende Maßnahmenpaket doch noch nicht völlig in trockenen Tüchern“,
so die Bantleon-Strategen.
Peter De Coensel, CIO Fixed Income bei DPAM, setzt auf Diversifikation und Selektion
am Anleihenmarkt. „Es ist an der Zeit, einige hartnäckige Aussagen über den
angeblich nicht-investierbaren Zustand der Rentenmärkte zu entkräften. Es
vergeht kein Tag, ohne dass wir lesen, die Zentralbanken hätten Anleihen von 15
Billionen Euro und mehr in den Bereich negativer Renditen gedrängt. Oder dass
Anleger das Zinstitel-Universum vermeiden sollten, weil sie sich damit an
negative Renditen binden“, so der Investmentstratege. Aus seiner Sicht bieten
Bonds im Rahmen eines global diversifizierten Portfolios immer noch positive
Renditen: „Fakt ist: Die Merkmale „Kapitalerhaltung“ und „Wachstum“ sind bei
Anleihen immer noch gegeben, trotz einer wachsenden Menge an Emissionen mit
negativer Rendite.“
Der Anleihen-Experte verweist darauf, dass in den vergangenen fünf Jahren sich
Euro-Staatsanleihen besser entwickelt haben als Euro-Investment-Grade-Anleihen.
Aus seiner Perspektive hat es sich ausgezahlt, global und auch in die
richtigen High Yield-Papiere zu investieren. Er sieht die Verantwortung für die
haussierenden Anleihenmärkte nicht allein bei den Notenbanken. Als tiefere Ursache
für den starken Rückgang der langfristigen Zinsen nimmt De Coensel das
strukturelle Missverhältnis zwischen Investitionen und Sparen bei öffentlichen
und privaten Marktteilnehmern wahr. Zu höheren langfristigen Zinsen würden aus
seiner Sicht vermehrte Investitionsausgaben der öffentlichen Hand, ein Absenken
der Realzinsen durch die Notenbanken der Industrieländer und eine bessere
Vergütung des Faktors Arbeit führen. Voraussetzung dafür wäre ein
nachhaltiges globales Wachstum, das allerdings aus seiner Sicht momentan nicht
deutlich zu erkennen ist. Hier lesen Sie den vollständigen Kommentar.
Quelle: BÖRSE ONLINE
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