Die Zins- und Rentenmärkte sind in Bewegung wie selten zuvor. Hakem Saidi-Merella, Rentenfondsmanager bei BayernInvest, spricht im Interview über Ursachen der Volatilität, die Rolle von Inflation und Staatsverschuldung – und erklärt, warum Unternehmensanleihen oft die besseren Staatsanleihen sind
04.12.2025 | 10:00 Uhr von «Peter Gewalt»
TiAM FundResearch: Herr Saidi, die Zins- und Rentenmärkte zeigen sich derzeit äußerst volatil. Was sind die Ursachen – und ist das ein vorübergehendes Phänomen?
Hakem Saidi-Merella: Wir erleben derzeit eine mittelfristige Anpassung des globalen Zinsniveaus. Die Ursachen reichen weit zurück, etwa zur Einführung der Schuldenbremse in Deutschland oder zur Negativzinspolitik der EZB. Diese Phase hat zu einer Fehlbepreisung von Zinsanlagen geführt. Mit der Corona-Pandemie kam dann ein massiver fiskalischer Impuls, begleitet von einer Reallokation globaler Produktionsketten und geopolitischen Spannungen, etwa zwischen den USA und China. All das hat die Frage nach der Schuldentragfähigkeit der Staaten neu aufgeworfen. Gleichzeitig fehlen klare Impulse aus der Realwirtschaft – das Rezessionsgespenst wird seit zwei Jahren beschworen, aber es tritt nicht ein. Die Märkte suchen derzeit nach einem fairen Zinsniveau, nachdem dieses lange künstlich niedrig gehalten wurde.
Wie schätzen Sie die Inflationsentwicklung in den kommenden Jahren ein?
Regional gibt es deutliche Unterschiede. In den USA erwarten wir eine anhaltend höhere Inflation – zwischen 2,5 und vier Prozent. Die US-Notenbank diskutiert bereits über ein flexibleres Inflationsziel, etwa ein Band zwischen zwei und drei Prozent. In der Eurozone hingegen sehen wir eine stabilere Lage. Hier dürfte die Inflation um die zwei Prozent schwanken, mit gelegentlichen Ausreißern. Insgesamt bleibt Inflation ein zentrales Thema – nicht nur für die Geldpolitik, sondern auch für die Staatsfinanzen.
Was bedeutet das für die steigende Staatsverschuldung in den Industrieländern?
Inflation kann kurzfristig helfen, die Schuldenquote zu senken – wenn das nominale BIP wächst, während die Schulden konstant bleiben. Doch das ist nur ein Teil der Lösung. Entscheidend ist, ob Staaten genügend Käufer für ihre Anleihen finden – und zu welchem Preis. Investoren unterscheiden sehr genau, ob Schulden konsumtiv oder investiv verwendet werden. Besonders spannend ist der Innovationsdrang der USA: Mit dem Genius Act sollen Stable Coins, die mit US-Staatsanleihen hinterlegt sind, als neue Finanzierungsquelle etabliert werden. Der Markt umfasst derzeit rund 300 Milliarden Dollar – mittelfristig könnten es bis zu drei Billionen werden. Das würde die Zinsstrukturkurve in den USA verflachen und die potentielle Käuferschicht von US-Treasury Bills erhöhen.
Welche Chancen und Risiken ergeben sich daraus für Sie als aktiver Rentenfondsmanager?
Chancen entstehen gerade in risikoreichen Zeiten. Die Märkte vertrauen derzeit eher Unternehmen als Staaten, das zeigt sich in der massiven Spread-Einengung bei Unternehmensanleihen. Diese gelten inzwischen als die besseren Staatsanleihen. Staaten tragen die fiskalischen Lasten, Unternehmen profitieren davon, etwa durch Aufträge. Zudem unterliegen Unternehmen einer strengeren Überwachung durch Ratingagenturen. Für uns als aktive Manager bieten solche Marktverzerrungen die Möglichkeit, gezielt Alpha zu generieren.
Wie bewerten Sie die Rolle der Notenbanken in diesem Umfeld?
Die Notenbanken befinden sich in einem Dilemma: Einerseits müssen sie die Inflation bekämpfen, andererseits dürfen sie das Wachstum nicht abwürgen. In den USA sehen wir bereits erste Zinssenkungen – früher als erwartet. Die EZB agiert vorsichtiger. Insgesamt beobachten wir eine zunehmende Flexibilisierung der geldpolitischen Ziele. Das eröffnet Spielräume, birgt aber auch Unsicherheiten. Für uns als Fondsmanager bedeutet das: Wir müssen sehr genau beobachten, wie sich die Kommunikation und Strategie der Zentralbanken entwickeln.
Wie sehen Sie die Zukunft von Staatsanleihen – verlieren sie dauerhaft an Attraktivität?
Staatsanleihen müssen sich neu definieren. Das vermeintlich risikolose Asset ist in der Realität mit vielen Unsicherheiten behaftet – von der Schuldentragfähigkeit bis zur politischen Stabilität. Unternehmensanleihen bieten oft ein besseres Risiko-Rendite-Profil. Dennoch bleiben Staatsanleihen ein wichtiger Bestandteil vieler Portfolios, etwa zur Absicherung oder als Liquiditätsreserve. Entscheidend ist die Auswahl: Nicht alle Staaten sind gleich, und nicht jede Anleihe ist sicher.
Was erwarten Sie für 2026 – Stabilisierung oder weitere Turbulenzen?
Ich rechne mit anhaltender Dynamik. Die Märkte werden weiterhin zwischen Hoffnung und Sorge schwanken. Entscheidend wird sein, wie die Notenbanken agieren, wie sich die Inflation entwickelt und ob es gelingt, das Vertrauen in die Staatsfinanzen zu stabilisieren. Für aktive Manager wie uns bleibt das ein spannendes Umfeld – mit vielen Herausforderungen, aber auch großen Chancen.
Der BayernInvest RentenEuropa-Fonds investiert ausschließlich in Euro-denominierte Staats- und Unternehmensanleihen. Wo sehen Sie aktuell die besten Chancen am europäischen Anleihemarkt?
Seit Jahresbeginn ist ein moderater Renditeanstieg bei den zehnjährigen Bundesanleihen zu verzeichnen. Die Risikoaufschläge (Spreads) für Staaten und Unternehmensanleihen sind, bis auf Frankreich, seit Jahresbeginn gegen Bundesanleihen weiter reingelaufen. Wir stehen also aktuell in einem Umfeld der negativen Konvergenz. Während im Rahmen der Euroeinführung die anderen Euroländer in ihren Risikoaufschlägen in Richtung Deutschland als sicheren Hafen gezogen sind, sehen wir aktuell eine Umkehrung. Viele Länder, insbesondere an der Peripherie, haben in den letzten Jahren einen Rückgang der Staatsdefizite verzeichnen können. Deutschland geht nun den Weg der Defizitausweitung.
Mit welchen Folgen?
Die fiskalischen Ausgabenprogramme kommen früher oder später den Unternehmen zugute und wirken somit unterstützend. Dementsprechend gewichten wir Deutschland im Portfoliokontext eher unter, genauso wie einige andere „Core-Länder“ der Eurozone. Gleichzeitig diversifizieren wir regional Teile aus der Eurozone in Euro-denominierte Staatsanleihen mit ähnlichem Risiko- und Renditeprofil außerhalb Europas. Das Zinsumfeld bietet zudem zahlreiche Möglichkeiten für die taktische Durationssteuerung.
Wie offensiv ist das Portfolio des Fonds BayernInvest Renten Europa aktuell aufgestellt?
Aktuell sind wir circa zu 60 Prozent in Staatsanleihen, zu 30 Prozent Unternehmensanleihen und zu zehn Prozent in Covered Bonds investiert. Im historischen Kontext sind wir somit moderat offensiv aufgestellt. Vor allem im Hinblick auf die Spread-Duration vermeiden wir die ultralangen Laufzeiten, da wir weiterhin von einer Versteilerung der Zinskurve ausgehen. Das Carry-Umfeld ist insgesamt intakt. Vorausschauend sollte die Hauptperformance aus dem Kuponertrag und weniger aus der Spread-Performance kommen.
Der BayernInvest Renten Europa hat in den vergangenen Jahren mit einem Plus von mehr als 25 Prozent seinen Vergleichsindex klar outperformt. Welche Faktoren sind für Sie hierfür ausschlaggebend?
Ein stetiger Performancebeitrag kommt aus der Durationssteuerung. Hierbei nutzen wir opportunistisch unsere großen Freiheitsgrade. Wir setzen auf eine Kombination aus Futures und Optionen. Mittelfristig ist die Renten-Asset-Allokation, also die Steuerung der Quote zwischen Staats- und Unternehmensanleihen, ausschlaggebend. Hier haben wir in den letzten Jahren aufgrund unserer quantitativen Analysemodelle einen deutlichen Mehrwert generieren können. Zu guter Letzt greift unser Ansatz „Konzentriert bei Staatsanleihen und diversifiziert bei Unternehmensanleihen“ sehr gut.
Was heißt das konkret?
Dies bedeutet, dass wir gerade im Bereich der Staaten deutliche Abweichungen gegen den Vergleichsindex fahren und Teile gar nicht investieren. Auf der Unternehmensseite liegt für uns der Fokus auf der Vermeidung von Ausfällen. Daher ist diese Beimischung sehr granular und über eine deutlich größere Anzahl an Emittenten und Branchen gestreut.
Sie managen auch den im BayernInvest ESG Global Bond
Opportunities Fonds. Wie zahlt sich Ihr Investmentansatz für diesen global
anlegenden Anleihefonds konkret aus?
Unser
Ansatz basiert auf hoher Flexibilität – sowohl bei der regionalen Allokation
als auch bei Währungen und Duration. So konnten wir etwa den US-Dollar-Anteil
im Portfolio von 65 auf 35 Prozent reduzieren. Auch bei der Duration haben wir
aktiv gesteuert. Das Ergebnis: eine Outperformance von 450 Basispunkten
gegenüber dem Vergleichsindex – in einem sehr anspruchsvollen Marktumfeld.
Unser Ziel ist es, echten Mehrwert zu schaffen – und das ist uns auch in diesem
Jahr wieder gelungen.
Wie ist der BayernInvest ESG Global Bond Opportunities Fonds
derzeit positioniert – eher offensiv oder defensiv?
Wir fahren eine
opportunistisch-offensive Strategie, allerdings nicht über übermäßige Risiken
auf der Spreadseite. Unsere Stärke liegt in der aktiven Steuerung von
Währungsgewichtungen und Duration. Das Portfolio weist ein Marktbeta von etwa
0,5 auf – also eine moderate Marktsensitivität. Dennoch generieren wir über
gezielte Alpha-Komponenten einen stabilen Mehrwert gegenüber dem globalen
Rentenmarkt.
Was bedeutet das für die Allokation?
Wir haben die
Unternehmensanleihequote reduziert, um Liquidität für künftige
Spread-Ausweitungen vorzuhalten. Gleichzeitig nutzen wir gezielt Chancen in
Ländern mit solider Haushaltsführung wie Chile oder Südkorea. Auch
geopolitische Risiken fließen in unsere Entscheidungen ein – etwa durch eine
vorsichtige Positionierung gegenüber dem Baltikum. Wir suchen gezielt nach
Emittenten, die sich im sogenannten Maastricht-Quadranten bewegen – also mit
solider Verschuldung und Haushaltsdisziplin.
Wie erklären Sie die Performance-Unterschiede zwischen der
„hedged“ und „unhedged“-Variante des Fonds?
Viele Anleger vergleichen
uns mit vollständig währungsgesicherten Produkten. Dabei wird oft übersehen,
dass unsere unhedged-Variante in Stressphasen wie Corona oder der Ukraine-Krise
durch den starken US-Dollar einen erheblichen Diversifikationseffekt bietet. In
der Vergangenheit konnten wir in solchen Phasen bis zu zehn Prozentpunkte
Mehrwert gegenüber Euro-Staatsanleihen erzielen. Man „hedgt“ sich also, indem
man nicht hedgt.
Was dürfen Anleger langfristig an Rendite erwarten?
Historisch liegt die
durchschnittliche Rendite globaler Rentenindizes bei etwa 3,1 Prozent jährlich.
Unser Ziel ist es, durch aktives Management zusätzlich 200 bis 300 Basispunkte
Alpha pro Jahr zu erwirtschaften. In den vergangenen drei Jahren haben wir das
mit rund 400 Basispunkten pro Jahr sogar übertroffen.
Herr Saidi-Merella, ich danke für das Gespräch
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