Der ungelöste Brexit und der Handelskonflikt zwischen den USA und China lasten auf der konjunkturellen Entwicklung Europas. Der IWF hat die Wachstumsprognose 2019 für die Eurozone leicht von 1,3 auf 1,2 Prozent gesenkt. Vorausschauende Anleger können frühzeitig auf positive Signale setzen.
16.10.2019 | 14:30 Uhr von «Christian Bayer»
Während die Fronten zwischen Großbritannien und der EU verhärtet schienen,
mehren sich in den letzten Tagen die Signale, dass ein Deal wieder
wahrscheinlicher werden könnte. Martin Lück, Leiter Kapitalmarktstrategie in
Deutschland, der Schweiz, Österreich und Osteuropa bei BlackRock verweist auf
das steigende britische Pfund, mit dem optimistische Marktteilnehmer bereits
eine Einigung feiern. „Sollte es tatsächlich gelingen, im Austrittsabkommen
eine harte Grenze zwischen Nordirland und dem EU-Land Republik Irland zu
vermeiden, könnte der in Großbritannien so verhasste „Backstop“ aus dem
Vertragswerk entfernt und das Abkommen somit doch noch unterzeichnet werden, so
der BlackRock-Stratege.
„Alles, was einem geordneten Brexit nahekommt, würde ein wichtiges Argument
nehmen, warum ausländische Investoren die europäische Region für nicht
investierbar halten“, erläutert Koen Bosquet, Fondsmanager des DPAM Invest B Equities Euroland. Ein weiterer Faktor, der aus Sicht des Fondsmanagers
Euro-Aktien Rückenwind geben würde, wäre ein Handelsabkommen zwischen China und
den USA. Auch wenn es nur eine partielle Einigung gäbe, würde es aus Bosquets
Sicht wahrscheinlich den verarbeitenden Teil der Weltwirtschaft wiederbeleben,
der derzeit jede Erholung behindert. Der Degroof Petercam-Experte erwartet in
diesem Positiv-Szenario eine globale Rally von unterbewerteten Titeln. So
könnte der europäische Bankensektor, der an starkem Gegenwind durch niedrige
Zinsen, einer starker Regulierung und den Herausforderungen durch digitale
Wettbewerber leidet, profitieren: „Angesichts der Bewertung und des Potenzials,
hohe Dividenden zu zahlen, werden einige von ihnen (wie KBC oder ING)
kurzfristig eine relativ bessere Performance erzielen“, so der Fondsmanager.
Längerfristig sieht er die Gefahr, dass Geschäftsmodelle europäischer
Unternehmen besonders stark von Disruption betroffen sein könnten. Allerdings würden
europäische Konzerne, da sie sich bereits früh mit grüner Technologie
beschäftigt haben, vom Kampf gegen den Klimawandel profitieren. „Einige der
traditionellen Versorger oder sonstigen Energieunternehmen könnten
überraschende Gewinner sein“, so Bosquet.
Aus Sicht der Schweizer Vermögensverwaltungsgesellschaft Unigestion machte der
Mangel einer klaren Regierungsführung Europa zum schwächsten Glied in der
Investment-Welt. Allerdings nehmen die Experten auch positive Signale wahr: „Wir
sehen (sehr) frühe Anzeichen einer Makrostabilisierung und das Konsumwachstum
sieht solide aus. Zudem gibt es zu viel Pessimismus an den Märkten, während die
ersten Anzeichen einer Verbesserung sichtbar werden.“ Die Kapitalmarkt-Strategen
benötigen aus ihrer Perspektive noch mehr Signale, um ihren Glauben an einen Aufschwung
in Europa zu stärken. Allerdings haben sie bereits begonnen, ihre defensive
Positionierung in der Region zu reduzieren: „Ein vollendeter Makro-Tiefpunkt in
Europa könnte eine "Value"-Rallye auslösen und zu einer
Outperformance der europäischen Aktien führen.“
Der Asset-Manager Bantleon sieht Licht am Ende des konjunkturellen Tunnels in der Eurozone. Die Experten gehen im dritten Quartal von einem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts in der Eurozone von 0,1 bis 0,2 Prozent. Für das laufende Quartal rechnen sie mit Wachstum in ähnlicher Höhe: „Blickt man auf das 1. Halbjahr 2020, hellen sich die Perspektiven aber auf. Mit der erwarteten Trendwende wichtiger Frühindikatoren im laufenden Quartal sowie einem vor allem für Deutschland wichtigen Anziehen der Auslandsnachfrage wäre der Boden für Quartalswachstumsraten in Höhe des Potenzialwachstums (0,3 bis 0,4 Prozent) im nächsten Jahr bereitet.“
Quelle: BÖRSE ONLINE
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