Bei der Acatis-Value-Konferenz sprach TiAM FundResearch bei einem Roundtable mit Thomas S. Gayner, dem CEO der Markel Group. Der US-Versicherer mit Investment-DNA will mehr sein als nur ein Nischenplayer – Gayner verfolgt ambitionierte Pläne, Markel zur nächsten Berkshire Hathaway zu formen. Wie er das schaffen will, welche Rolle Versicherung und Investments dabei spielen – und warum Geduld der größte Wettbewerbsvorteil ist, verrät er im Interview.
16.07.2025 | 09:45 Uhr von «Jörn Kränicke»
TiAM FundResearch: Mr. Gayner, Markel wird immer wieder mit Berkshire Hathaway verglichen. In Deutschland hört man mit einem Augenzwinkern oft: Markel ist die „kleine“ Berkshire Hathaway. Was halten Sie von diesem Vergleich?
Thomas S. Gayner: Das ist ein sehr schmeichelhafter Vergleich – aber ich würde sagen: Wenn überhaupt, dann sind wir das Mini-Mini-Mini-Berkshire. Ich bin seit 1990 bei Markel, und was ich in dieser Zeit gelernt habe, ist: Es gibt drei unternehmerische Disziplinen – ein Unternehmen führen, es skalieren, und ein großes Unternehmen dauerhaft erfolgreich führen. Warren Buffett hat alle drei Stufen gemeistert. Das ist eine unglaubliche Leistung. Wir versuchen, seiner Philosophie zu folgen – auf unsere eigene Weise, in unserer eigenen Größenordnung.
Wenn Sie diesen Weg weitergehen: Wie lange wird es dauern, bis Markel von er kleinen „Berkshire“ zu einer großen wird?
Ich war 28 Jahre alt, als ich zum ersten Mal eine Berkshire-Hauptversammlung besuchte. Heute bin ich so alt wie Buffett damals. Er ist 32 Jahre älter als ich – ich bin also auf halbem Weg. Geben sie mir noch mal 32 Jahre, dann schauen wir, wo wir stehen. Aber im Ernst: Ich glaube nicht, dass es je ein zweites Berkshire geben wird. Aber Unternehmen können viel von Buffetts Philosophie und Kultur lernen. Genau das versuchen wir bei Markel.
Hat Ihr Unternehmen davon profitiert, dass viele Buffett-Fans auch auf Markel aufmerksam wurden?
Ganz sicher. Aber es sind oft keine direkten, sondern immaterielle, langfristige Effekte. Ein schönes Beispiel ist mein Kollege Frederick Frederik Wulff aus unserer Niederlassung in München. Als Kind bekam er von seinem Großvater eine Berkshire-Aktie geschenkt – und war zunächst enttäuscht, weil er lieber Legosteine wollte. Aber er wurde neugierig, was dahintersteckt. Diese Neugier führte ihn zu zum Unternehmertum – und am Ende zu Markel. Heute ist er seit über 13 Jahren bei uns und ein inspirierender Teil unseres Führungsteams.
Sie sagen, das Versicherungsgeschäft sei eine besonders gute Basis für nachhaltige Investitionen. Warum?
Weil es laufend Kapital generiert – unabhängig von Stimmungen oder Markthypes. Solange das Versicherungsgeschäft profitabel ist – was bei uns in 35 Jahren nur in zwei Jahren nicht der Fall war – fließt kontinuierlich Geld. Damit können wir langfristig investieren, ohne auf schnelle Rückflüsse angewiesen zu sein. Zudem agieren wir mit Sicherheitsmarge und investieren konservativ. Es geht nie um 100 Prozent Gewinn in kurzer Zeit, sondern um Geduld und Substanz.
Markel folgt einer Philosophie, die oft mit Value Investing verbunden wird. Doch in den letzten Jahren war das Umfeld für Value-Anleger schwierig. Ist das heute anders?
Die Begriffe „Value“ und „Growth“ sind für mich nicht entscheidend. Ich schaue auf die zugrunde liegenden Cashflows eines Unternehmens – nicht auf Etiketten. Viele Investoren orientieren sich an dem, was gerade gestiegen ist. Die „Maginificent 7“ der letzten Jahre sind großartige Unternehmen – keine Frage. Aber das bedeutet nicht, dass andere Unternehmen mit stabilen Cashflows weniger attraktiv sind. Oft entstehen gerade in ruhigen, übersehenen Bereichen langfristige Chancen.
Sie sprechen oft über Lernen und Neugier als zentrale Prinzipien. Ist das auch heute noch Ihr wichtigstes persönliches Leitmotiv?
Absolut. Ich habe über die Jahre von Menschen wie Warren Buffett und Charlie Munger gelernt, wie wichtig es ist, offen für neue Ideen zu bleiben. Es geht darum, Muster zu erkennen, Querverbindungen herzustellen und ständig dazuzulernen. Für mich ist Unternehmertum ein nie endendes Spiel – eine Treppe, auf der man nie ganz oben ist, sondern immer den nächsten Schritt macht.
Sie haben schon die Magnificent 7 angesprochen. Viele Aktien sind hoch bewertet. Hat sich der Investmentmarkt aus Ihrer Sicht verändert?
Ich denke, das beginnt sich zu zeigen. Wir haben jetzt Mitte 2025, und dieses Jahr war anders als die letzten beiden. Es entfaltet sich ein Prozess – kein abrupter Wechsel, sondern eine langsame Veränderung. Aber um es klar zu sagen: Wir treffen unsere Entscheidungen nicht auf Basis der Marktstimmung, sondern orientieren uns konsequent an den intrinsischen Cashflows eines Unternehmens – nicht daran, wie es gerade wahrgenommen wird.
Gibt es also aktuell wieder mehr interessante Bewertungen für Sie?
Ja, ich sehe zunehmend attraktive Werte. Aber das ist keine pauschale Aussage. In Märkten, die sich seitwärts bewegen oder drehen – nicht nur steigen –, dauert es oft zwei bis drei Jahre, bis sich auch die Mentalität der Marktteilnehmer ändert. Es ist also ein Prozess, keine Momentaufnahme.
Sie haben Warren Buffett mehrfach öffentlich gewürdigt. Was bedeutet sein Rückzug für Sie persönlich?
Ich war vielleicht 35 Jahre in Folge bei der Berkshire-Hauptversammlung – ich habe keine einzige verpasst. Als ich im Raum war, als Warren seinen Rücktritt ankündigte, bin ich aufgesprungen. Es war ein emotionaler Moment. Ich habe so viel von ihm gelernt, viele großartige Menschen kennengelernt. Diese Verbindung war für mich ein großes persönliches Geschenk. Ja, ich werde ihn vermissen.
Wird Ihre eigene Hauptversammlung auch künftig parallel zu Berkshire stattfinden?
Das ist noch nicht entschieden. Berkshire selbst hat noch keine finale Entscheidung getroffen, wie es weitergehen soll. Sobald sie ihre Pläne bekannt geben – vermutlich im Herbst – werden wir entsprechend unsere treffen.
Abseits von Buffett: Was ist die größte Herausforderung für Markel heute?
Es ist das enorme Tempo des technologischen Wandels. Wir müssen sicherstellen, dass wir Schritt halten, relevant bleiben und Technologien sinnvoll einsetzen. Bei jeder potenziellen Investition fragen wir uns: Wird dieser Wandel dem Unternehmen helfen, schaden oder neutral bleiben?
Und in Ihrem eigenen Unternehmen – wo sehen Sie die größten Hebel?
Ein Bereich, der besonders betroffen ist, sind unsere Daten und unser Know-how. Das war schon bei der Gründung 1930 so. Damals gab es noch kaum Daten zu Lkw-Unfällen – Entscheidungen mussten auf Urteilsvermögen beruhen. Später kamen Daten, dann kam die Konkurrenz. Unsere Antwort war: Wir wandelten uns, wurden Makler bei Lloyd’s of London, expandierten international und begannen, ganze Unternehmen zu kaufen statt nur Aktien. Das zeigt: Anpassung ist Teil unserer DNA.
Welche Rolle spielt Ihre Unternehmenskultur in diesem Wandel?
Eine sehr große. Unsere Kultur – unser Wertesystem – ist vielleicht unser wichtigstes Gut. Herausforderungen sind nichts Negatives. Im Gegenteil: Sie machen den Unterschied. Wenn wir es schaffen, die richtigen Menschen für unseren Weg zu gewinnen, dann bin ich zuversichtlich, dass wir auch mit allem, was auf uns zukommt, gut umgehen können.
Wie viele Ihrer Mitarbeitenden arbeiten konkret mit Daten und Technologie?
Etwa 5.000 unserer 22.000 Mitarbeitenden sind im Versicherungsgeschäft tätig. Rund 1.000 davon haben einen IT-nahen Job. Aber in Wahrheit betrifft das jeden bei uns. Ob Vertrieb oder Underwriting – jeder muss ein Gespür für Daten haben. Wir fördern Eigenverantwortung und wollen Entscheidungen lokal treffen, nicht zentral. Das erhöht die Geschwindigkeit und Qualität.
Und wie nutzen Sie künstliche Intelligenz konkret?
Ein Beispiel: Früher haben unsere Leute Gebäuderisiken mit dicken Ordnern und Klassifikationen manuell bewertet. Heute machen wir ein Foto vom Gebäude, laden es hoch, und KI übernimmt die Analyse – inklusive Bauart, Brandschutz etc. Das spart Zeit, reduziert Fehler und verbessert die Qualität. Aber wichtig: Wir ersetzen keine Menschen. Wir machen sie besser. Die Technologie soll menschliches Urteilsvermögen ergänzen, nicht verdrängen.
Und wie stellen Sie sicher, dass Sie dabei den Anschluss nicht verlieren?
Indem wir in Systeme investieren, in Schulung – und vor allem in Menschen. Es ist ein Übergang, kein Schalter, den man einfach umlegt. Wir brauchen eine Kultur der Neugier, des Lernens und der Offenheit. Denn der Wandel wird nicht aufhören. Unternehmen, die sich nicht anpassen, werden verschwinden. Das wissen wir – und handeln entsprechend. Wir bewahren uns eine gewisse Bescheidenheit. Viele unserer Partner und Dienstleister sind in bestimmten Bereichen weiter als wir – davon können wir profitieren. Es wäre ein Fehler, zu glauben, wir müssten alles selbst entwickeln. Unser Anspruch ist es, schnelle und gute Nachahmer zu sein.
Digitalisierung bringt aber auch neue Risiken mit sich – etwa im Bereich Cybersicherheit. Wie gehen Sie damit um?
Diese Risiken sind real. Früher waren IT-Systeme stärker voneinander abgeschottet, heute ist alles miteinander vernetzt. Das schafft neue Angriffsflächen. Ich bin kein Techniker, aber selbst ich merke: Der Zugang zu Systemen erfordert heute mehrere Authentifizierungsstufen. Es ist ein permanentes Katz-und-Maus-Spiel mit potenziellen Angreifern. Aber das betrifft nicht nur uns – diese Herausforderung stellt sich jedem Unternehmen.
Wie sieht aktuell Ihr Investmentportfolio aus?
Unser Gesamtportfolio beläuft sich auf rund 34 Milliarden US-Dollar. Davon sind über 20 Milliarden in festverzinslichen Wertpapieren und Liquidität investiert. Etwa elf Milliarden – also rund ein Drittel – stecken in börsennotierten Aktien. Unsere Beteiligungen im Bereich Markel Ventures werden dagegen nicht zum Marktwert bilanziert, sondern nach US-GAAP zu Anschaffungskosten.
Vergleichen Sie Ihre Performance mit der von Warren Buffett?
Ja – und wir können uns dabei durchaus sehen lassen. Unsere börsengehandelten Investments lassen sich gut vergleichen, zumal unsere größte Einzelposition Berkshire Hathaway ist – sie macht rund elf bis zwölf Prozent unseres Portfolios aus. Unser Ziel ist es, mit unseren privaten Beteiligungen genauso gut oder sogar besser abzuschneiden – und in vielen Fällen gelingt uns das auch. In diesem Punkt ähneln wir Buffett.
Wie gehen Sie mit Fehlentscheidungen bei Investments um?
Fehler gehören dazu. Unser früherer Chairman Alan Kirshner sagte einmal: „Mach nicht denselben dummen Fehler zweimal.“ Ohne Risiko verpasst man Chancen. Wichtig ist, daraus zu lernen – das gilt für Menschen genauso wie für Investitionen.
Gibt es Branchen, in die Sie bewusst nicht investieren?
Ja, beispielsweise Banken. Ihre Bilanzen sind für uns oft schwer durchschaubar. Auch im Bereich Biotechnologie oder bei hochentwickelten Medizintechnologien sind wir zurückhaltend – das liegt schlicht außerhalb meiner fachlichen Kompetenz.
Arbeiten Sie mit einer festen Liste an Zielunternehmen?
Nein, wir führen keine formale Liste. Aber genau das ist es, was mich täglich motiviert: Gespräche, neue Ideen, interessante Informationen. Zwei Mitarbeiter kümmern sich bei uns um Aktien, drei um Anleihen – wir stehen im ständigen Austausch über mögliche Chancen.
Wie entwickelt sich Ihre Aktie im Vergleich zu anderen US-Versicherern?
Unsere Aktie hat im Schnitt rund 15 Prozent pro Jahr zugelegt – das liegt über dem S&P 500. Als wir 1986 an die Börse gingen, gab es laut CRSP etwa 7.000 börsennotierte Unternehmen. Heute gehören wir zu den besten ein Prozent – konkret auf Platz 69. Markel hat so seinen Aktienkurs seit 1986 von acht auf 1960 US-Dollar gesteigert. Darauf sind wir stolz.
Thomas S. Gayner ist Chief Executive Officer (CEO) der Markel Corporation. Das Unternehmen mit Hauptsitz in Richmond, Virginia, wurde 1930 gegründet und ist eine Holdinggesellschaft, die weltweit in den Bereichen Versicherung, Rückversicherung und Investments tätig ist.
Gayner kam 1990 zu Markel und ist seither für alle Investmentaktivitäten verantwortlich. Außerdem leitet er Markel Ventures, eine hundertprozentige Tochtergesellschaft, die Mehrheitsbeteiligungen an Unternehmen in den Bereichen Produktion, Technologie und Dienstleistungen erwirbt.
Vor seiner Zeit bei Markel war Gayner als Vizepräsident bei Davenport & Company LLC in Virginia tätig sowie als Wirtschaftsprüfer bei PricewaterhouseCoopers LLP.
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