Künstliche Intelligenz revolutioniert das Asset Management - nicht als kurzfristiger Hype, sondern als langfristiger Trend. Martin Brückner, Chief Investment Officer von First Private, erklärt im Exklusiv-Interview mit TiAM FundResearch, wie sich der Einsatz von KI vom regelbasierten Stockpicking der 1990er-Jahre hin zu dynamischen, datengetriebenen Systemen entwickelt hat - und warum der Mensch trotz aller Automatisierung eine zentrale Rolle behält.
17.06.2025 | 09:00 Uhr von «Jörn Kränicke»
TiAM FundResearch: Künstliche Intelligenz ist aktuell in aller Munde. Wie stark betrifft dieser Hype das Asset Management?
Martin Brückner: Der aktuelle KI-Hype wurde nicht primär durch die Asset-Management-Branche ausgelöst. Im quantitativen Investieren beschäftigen wir uns bereits seit vielen Jahren mit Machine Learning und statistischem Lernen. Sicherlich gibt es Anbieter, die jetzt versuchen, auf den Zug aufzuspringen – etwa durch Themenfonds, die in KI-Profiteure investieren. Aber insgesamt würde ich sagen: Im Fondsmanagement ist KI kein kurzfristiger Hype, sondern ein langfristiger Trend, der nun mehr Aufmerksamkeit bekommt – getrieben von der allgemeinen Digitalisierung.
TiAM FundResearch: Wie hat sich der Einsatz von KI im bei First Private über die Jahre verändert?
Brückner: In den 90er-Jahren dominierten noch regelbasierte Expertensysteme, vor allem im Aktienmanagement. Damals sortierte man Aktien etwa strikt nach Bewertungskriterien. Mit wachsender Datenmenge und zunehmender Rechenpower hat sich das stark verändert. In den 2000er-Jahren kam der Durchbruch bei Sprach- und Bilderkennung – und ähnlich entwickelte sich der Einsatz auf Finanzmarktdaten. Heute dominieren statistische Lernmethoden. Es geht inzwischen weniger um starre Regeln, sondern darum, dynamisch Zusammenhänge aus großen, oft unstrukturierten Datenmengen zu erkennen.
TiAM FundResearch: Können Sie ein praktisches Beispiel geben, wie sich die Methodik im etwa in ihrem ältesten Fonds, dem FP Europa Aktien ULM gewandelt hat?
Brückner: Früher haben wir ein Portfolio strukturiert, der die günstigsten 30 bis 40 Aktien aus einem großen europäischen Universum auswählte – basierend auf fixen Kriterien wie günstigen Bewertungen oder solidem Gewinnwachstum. Das war rein regelbasiert. Heute sind unsere Systeme viel dynamischer. Wir arbeiten datengetrieben, berücksichtigen aktuelle Entwicklungen und finden neue Zusammenhänge, die klassische akademische Theorien nicht immer abbilden. Zum Beispiel haben traditionelle Bewertungskennzahlen wie das Kurs-Buchwert-Verhältnis stark an Bedeutung verloren, weil viele Firmen viel mehr immaterielle Anlagegüter haben. Daher sind traditionelle Alpha-Faktoren, die in der akademischen Welt immer noch vertreten werden, nicht mehr so relevant wie in der Vergangenheit. In der Praxis sind daher viele neue Faktoren berücksichtigt, die die Aktienkursentwicklung stärker treiben. Daher analysieren wir heute auch viele unstrukturierte Daten, etwa Unternehmensberichte oder Management Calls, die per KI in Sentiment-Scores übersetzt werden.
TiAM FundResearch: Heißt das, moderne KI-gestützte Fonds liefern bessere Ergebnisse?
Brückner: Im Vergleich zu rein regelbasierten, alten Methoden: Ja, definitiv. Wenn wir bei alten Verfahren geblieben wären, hätten wir heute einen deutlichen Nachteil. Aber man muss realistisch bleiben: Outperformance bleibt ein Nullsummenspiel. Auch die Konkurrenz entwickelt sich weiter. Man kann sich höchstens einen Vorsprung erarbeiten – aber nicht automatisch Überrenditen erzielen. Man sieht den Fortschritt besonders bei Technologien wie der Sprachverarbeitung: Wer alte Modelle einsetzt, erzielt klar schlechtere Ergebnisse als mit aktuellen Methoden, ähnlich wie wenn man heute noch eine veraltete KI-Version wie ChatGPT-2 statt ChatGPT-4.5 verwenden würde.
TiAM FundResearch: Wie wichtig ist im Portfoliomanagement noch der Mensch?
Brückner: Der Mensch bleibt der Systemdesigner und trägt die Verantwortung. Auch wenn wir viele Machine-Learning-Methoden nutzen und Systeme gewisse Entscheidungen selbstständig anpassen, prüft ein Mensch letztlich jede Handelsentscheidung. Vollautomatisierter Handel findet im Asset Management für Drittkunden nicht statt – das gibt es eher bei Eigenhandelsfirmen.
TiAM FundResearch: Wie hoch ist denn die Prognosegüte von KI-Systemen im Asset Management?
Brückner: Wenn es um reine Kursprognosen geht, liegen die besten Systeme bei 55 bis 60 Prozent Treffergenauigkeit – ähnlich wie gute menschliche Fondsmanager. Perfekte Vorhersagen sind unmöglich, weil Märkte sehr stark von Zufall geprägt sind. Aber in anderen Bereichen, wie der Prognose von Dividenden oder Unternehmensübernahmen, erreichen wir Trefferquoten von über 90 Prozent. Dort sind die Ereignisse fundamentaler Natur und weniger von unvorhersehbaren Einflüssen bestimmt als Kursbewegungen.
TiAM FundResearch: Welchen Einfluss haben Datenmenge und -qualität auf den Erfolg von KI im Finanzbereich?
Brückner: Einen enormen. Maschinelles Lernen ist immer abhängig von der Qualität der Daten. Im Finanzbereich stehen tendenziell weniger strukturierte Daten als in anderen Industrien zur Verfügung, was lange Zweifel an der Wirksamkeit von KI schürte. Aber die Methoden wurden robuster – selbst bei begrenzten Datenmengen. Dennoch bleibt Datenqualität entscheidend. Wir investieren oft ein bis zwei Jahre allein in das Säubern und Verifizieren von Datensätzen, etwa bei Dividenden- oder M&A-Daten, bevor sie überhaupt für maschinelles Lernen geeignet sind.
TiAM FundResearch: Haben große Unternehmen hier einen Vorteil gegenüber kleineren Marktteilnehmern?
Brückner: Nicht wirklich. KI nivelliert das Spielfeld sogar. Richtig eingesetzt, ersetzt KI viele menschliche Analysten und skaliert sehr effizient. Große Unterschiede entstehen höchstens bei den Kosten für Daten oder Rechenpower, aber methodisch können kleinere Player genauso gut mithalten und haben traditionell auch Vorteile in Bezug auf Dynamik und Umsetzungsgeschwindigkeit. Man sieht ja auch, dass kleinere Firmen wie DeepSeek bei großen Sprachmodellen den Tech-Giganten durchaus Konkurrenz machen.
TiAM FundResearch: Sehen Sie Risiken beim Einsatz von KI im Asset Management?
Brückner: Auf jeden Fall. Ein großes Risiko ist Marktmanipulation – etwa durch Fake News, auf die automatisierte Handelssysteme reagieren könnten. Zwar gab es bisher keine schweren Vorfälle, aber Einzelfälle, bei denen Aktienkurse durch falsche Informationen kurzfristig verzerrt wurden. Zudem bestehen klassische Risiken rund um Datensicherheit und ethische Standards – allerdings betreffen diese eher die Konsumentenseite als das professionelle Asset Management. Eine meiner größten Sorgen ist, dass es irgendwann einen öffentlichkeitswirksamen Zwischenfall geben könnte, bei dem ein Algorithmus falsch handelt und die Märkte in Unruhe versetzt. Solche Vorfälle gab es zwar auch schon früher – Stichwort „Fat Finger Trades“ von menschlichen Händlern –, aber die Gefahr besteht natürlich weiterhin. Sollte es einen solchen Fall geben, könnte schnell die gesamte KI-Technologie in Verruf geraten und neue Regulierung nach sich ziehen. Grundsätzlich sehe ich KI-Methoden jedoch nicht als anfälliger für Krisenursachen als menschliche Entscheidungen oder herkömmliche Software. Letztlich ist auch KI nur ein Software-Tool, das gut getestet werden muss und über Notfallprotokolle verfügen sollte.
TiAM FundResearch: Wie stark wird KI Ihrer Meinung nach die Arbeitsweise im Asset Management verändern?
Brückner: Wir sehen schon heute, dass selbst fundamental agierende Häuser KI einsetzen, zumindest in der Analyse- und Vorauswahl. Quantitative Manager gehen noch weiter und automatisieren zusätzliche Schritte. Insgesamt wird KI das Asset Management tiefgreifend verändern – ähnlich wie vor 20 Jahren der Siegeszug des Computers. In fünf Jahren wird KI vermutlich genauso selbstverständlich sein wie heute der PC. Unterschiede werden sich eher darin zeigen, wie weit die Prozesse automatisiert sind.
Zur Person:
Martin Brückner ist als Gründungspartner und Chief Investment Officer von First Private verantwortlich für sämtliche Investmentprozesse und die Implementierung von Investmentstrategien. Zusätzlich obliegt ihm als zuständigem Portfoliomanager die Entwicklung und Qualitätssicherung der Multi-Strategy-Konzepte. Martin Brückner sammelte weitreichende Erfahrungen im Portfoliomanagement großer Investmenthäuser. Er ist Diplomkaufmann, studierte Wirtschaftsinformatik an der European Business School und hält einen Bachelor of Computer Science der James Madison University.
Informieren Sie sich in unseren Newslettern regelmäßig über die besten Fonds und ETFs. Dazu gibt es aktuelle News aus der Fondsbranche. Hier können Sie sich anmelden.
Weitere interessante Neuigkeiten erfahren Sie auf FundResearch TV. Dort stehen die Fonds-Experten Rede und Antwort zu aktuellen Entwicklungen an den Märkten und wo die besten Chancen locken.
Diesen Beitrag teilen: