Europa kann sich nicht mehr auf die USA als Verbündeten verlassen. Die EU-Länder müssen nun in aller Eile ihre Rüstungsindustrien hochfahren. Mit speziellen ETFs können Anleger davon profitieren.
05.03.2025 | 14:00 Uhr von «Matthias von Arnim»
Europa steht militärisch plötzlich ziemlich nackt da. Seit dem völkerrechtswidrigen Angriff Russlands haben die europäischen NATO-der Ukraine zwar Waffenhilfe geleistet, so gut es ging. Doch die eigenen Verteidigungsausgaben wurden nur in einigen Ländern spürbar gesteigert. Dass man sich von einem auf den anderen Tag nicht mehr auf die USA verlassen und nun selbst für seine Sicherheit sorgen muss, hat viele Europäer überrascht. Jetzt ist sehr rasches Umdenken und Umlenken gefragt. Europa muss im Eiltempo seine Rüstungsproduktion hochfahren. Erstens, um wenigstens ansatzweise die Lücken zu füllen, die die USA nach dem Stopp ihrer Waffenhilfen für die Ukraine gerissen haben. Zweitens, um schleunigst eine eigene abschreckende Wehrfähigkeit herzustellen.
Die Aufrüstung Europas ist ein Megaprojekt. Logistisch und wirtschaftlich. Sollten die europäischen NATO-Mitglieder ihre Verteidigungsausgaben auf durchschnittlich drei Prozent steigern, wie es derzeit im Gespräch ist, würde der Rüstungssektor laut einer Untersuchung der Unternehmensberatung Kearney 760.000 zusätzliche Fachkräfte benötigen. Allein daran lässt sich ermessen, welche volkswirtschaftliche Implikation ein Anschieben der Rüstungsindustrie mit all ihren Zulieferern hätte. Auch Europas Autohersteller würden profitieren. Hier könnten brachliegende Kapazitäten umgelenkt werden. Das haben einige Konzernbosse bereits angeregt. In der Aufrüstung liegt also auch eine Chance für die lahmende europäische Industrielandschaft. Gleichzeitig ist klar, dass die zusätzlichen Ausgaben irgendwie finanziert werden müssen. Das Problem: Etliche EU-Länder schrammen schon jetzt hart an der Grenze ihrer finanziellen Möglichkeiten. Dazu zählen ausgerechnet auch Frankreich und Italien, die neben Deutschland am meisten schultern müssten. Deutschland wiederum hätte zwar theoretisch noch Spielraum für deutliche Steigerungen des Wehretats. Die Staatsverschuldung der Bundesrepublik liegt bei knapp über 60 Prozent des BIP und damit rund 30 Prozent unterhalb des Durchschnitts im Euroraum. Doch mit der Schuldenbremse hat sich Deutschland selbst ein haushälterisches Gängelband angelegt. Das engt die Handlungsmöglichkeiten der nächsten Bundesregierung deutlich ein.
Deshalb haben die künftigen Koalitionspartner CDU und SPD eine Art Doppelwumms-Bazooka auf den Weg gebracht, die noch mit dem alten Bundestag beschlossen werden soll: Die Höhe der Rüstungsausgaben soll de facto nicht mehr begrenzt werden. Alles, was über ein Prozent des BIP hinausgeht, wird über zusätzliche Schulden finanziert. Gleichzeitig soll ein 500 Milliarden umfassendes Sondervermögen für den Ausbau der Infrastruktur aufgelegt werden. Auch Teile dieses Ausgabentopfs werden in Maßnahmen fließen, die in einem hoffentlich niemals stattfinden werdenden Krieg nötig sind. Voraussetzung dafür, dass das Gesamtpaket durchkommt, ist eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag. Die Grünen müssen also mitspielen. Deshalb steht das Programm noch unter Vorbehalt. Auch deshalb, weil es ein verfassungsrechtlicher Ritt auf der Rasierklinge ist.
Aber es ist ein deutliches Zeichen, das einhergeht mit einer neuen Idee Ursula von der Leyens: Die EU-Kommissionspräsidentin will mit ihrem Wiederaufrüstungsplan „ReArm Europe“ ein Zeichen europäischer Entschlossenheit setzen. Von der Leyen will unter dem Dach der EU 800 Milliarden Euro mobilisieren. Dazu gehören auch Umschichtungen innerhalb des EU-Haushalts zugunsten „rüstungsnäherer“ Projekte. Das meiste Geld müssen die EU-Mitglieder am Ende zwar selbst stemmen. Doch sie könnten dies durch entsprechende Lockerungen im EU-Recht leichter in ihren Staatshaushalten unterbringen. Das Projekt ist ein komplexes buchhalterisches Versteckspiel.
Was aber wichtig ist: Deutschland und die EU setzen damit neue Prioritäten, von denen insbesondere europäische Rüstungsunternehmen profitieren sollen, die nun mit mehr langfristiger Planungssicherheit rechnen können. Es ist allen Beteiligten klar, dass Europa gar keine andere Chance hat, als sehr schnell Taten folgen zu lassen. Dafür ist die Situation im Osten der Ukraine zu brenzlig.
Schon vor dem Rückzug der USA aus dem Unterstützerkreis der Ukraine haben die europäischen Rüstungsunternehmen enormen Rückenwind erfahren. Die Fabriken, insbesondere im Bereich der Munitionsherstellung, arbeiten unter Vollauslastung. Die Aktienkurse von Konzernen wie Rheinmetall, BAE Systems, Thales oder Leonardo sind in den vergangenen 30 Tagen noch einmal deutlich in die Höhe geschossen. Die Aussicht auf Deutschlands massive Rüstungsinitiative und ein EU-finanziertes Zusatzpaket von 800 Milliarden Euro dürften für zusätzlichen Optimismus in der Branche sorgen. Und so sollte es nicht überraschen, wenn die wenigen börsennotierten Fonds, die das Thema Verteidigung bespielen, in den nächsten Monaten noch einmal zusätzlichen Anlegerzuspruch erhalten würden.
Welche Hausse sich gerade im Bereich Rüstung bereits abspielt, lässt sich an der Entwicklung der in Deutschland zum Vertrieb zugelassenen betreffenden ETFs beobachten. An erster Stelle ist hier der Future of Defence ETF von HANetf zu nennen. Der Fonds investiert in Rüstungs-Unternehmen und Anbieter von Cybersicherheitslösungen, die Verträge mit der NATO oder deren Verbündeten haben. Der ETF wurde Ende Juni 2023 aufgelegt. Seitdem hat sich sein Anteilspreis nahezu verdoppelt. Besondere Stärke im Vergleich zu allen anderen ähnlichen Produkten: Der HANetf Future of Defence ETF hat den höchsten Anteil an europäischen Waffenproduzenten im Portfolio.
Im Kontrast dazu setzen der iShares Global Aerospace & Defence UCITS ETF und der Invesco Defence Innovation UCITS ETF mit einem Anteil von knapp unter 70 Prozent Portfolioanteil vor allem auf die Performance von US-Rüstungsunternehmen. Ob es eine gute Idee ist, darauf zu wetten, ist muss sich noch zeigen. Denn von den bisherigen Unterstützungsmaßnahmen für die Ukraine haben vor allem US-Unternehmen profitiert. Diese Aufträge sind nun hinfällig. Dazu kommt, dass Donald Trump angekündigt hat, den US-Militärhaushalt in den kommenden Jahren drastisch zurückzufahren. Gleichzeitig ist es kaum vorstellbar, dass Europa jetzt ausgerechnet in den USA für viel Geld Waffen einkauft. Man wird die eigene Rüstungsindustrie stärken wollen. Auch das dürfte den Konzernlenkern in den Zentralen von RTX, Boeing oder Northrop Grumman Kopfzerbrechen bereiten.
Fazit: Die Rüstungs-Branche erlebt derzeit einen Boom. Selbst dann, wenn es gelingen sollte, einen Waffenstillstand zwischen Russland und der Ukraine zu vereinbaren, wäre der Trend nicht mehr zu stoppen. Europa muss und wird jetzt massiv – und zwar auch langfristig – in seine Verteidigungsfähigkeit investieren. Das ist die bittere und teure Erkenntnis der vergangenen Tage. Gleichzeitig gibt es auch in dieser Situation Gewinner. Und Chancen. Übrigens nicht nur an der Börse, sondern auch politisch. Vielleicht ist dies tatsächlich der Moment, den Europa gebraucht hat, um sich endlich als Ganzes zu verstehen. Das könnte für einen neuen wirtschaftlichen Aufschwung sorgen.
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