Robeco erwartet eine „fragile Renaissance“ der Weltwirtschaft: technologische Sprünge treffen auf politische Unsicherheit. Welche Anlageklassen profitieren, wo Risiken lauern – und warum Gold und klassische sichere Häfen erneut an Bedeutung gewinnen.
03.12.2025 | 14:00 Uhr
Peter van der Welle von Robeco beschreibt den Zeitraum 2026 bis 2030 als eine Phase, in der technologischer Fortschritt auf geopolitisches Chaos trifft – eine „fragile Renaissance“. Während KI die Produktivität weltweit beschleunigen könnte, sorgt insbesondere die inkohärente US-Wirtschafts- und Außenpolitik für Unsicherheit. Diese Mischung aus Innovation und Instabilität prägt die Kapitalmärkte und legt den Grundstein für ein sehr differenziertes Renditeumfeld.
Auf Basis des aktuellen Marktumfelds erwartet van der Welle im Basisszenario, dass Aktien aus Schwellenländern mit durchschnittlich 7,5 Prozent pro Jahr die stärksten Erträge erzielen. Industrieländer dürften bei rund sechs Prozent liegen. Interessant ist auch, dass erstmals eine neue Anlageklasse aufgenommen wurde: Hartwährungsanleihen aus Schwellenländern, für die Robeco Renditen von 3,75 Prozent prognostiziert. Darüber hinaus bleiben Immobilienaktien (REITs), Rohstoffe und lokale Schwellenländeranleihen attraktiv, da sie von strukturellen Trends und Preisanstiegen profitieren. Gleichzeitig erwartet Robeco eine Inflation von rund 2,5 Prozent, die damit dauerhaft über dem historischen Ziel vieler Notenbanken liegt.
Ein zentrales Thema des Ausblicks ist die rasante Entwicklung künstlicher Intelligenz. Robeco sieht den Beginn einer technologischen Renaissance, die mit historischen Wendepunkten vergleichbar ist. KI-Systeme erreichen Fähigkeiten, die menschlichen Fertigkeiten in Geschwindigkeit und Effizienz deutlich überlegen sind. Die Weiterentwicklung von heutigen Modellen hin zu autonomen GPT-Agenten könnte den Übergang zur allgemeinen künstlichen Intelligenz (AGI) einläuten.
Dieser Fortschritt dürfte langfristig einen Produktivitätsschub auslösen, nachdem die weltweite Tendenz im Jahr 2020 ein Tief erreicht hatte. Dennoch weist Robeco darauf hin, dass der KI-Boom nicht automatisch stabile Wachstumsraten garantiert, denn die politische und wirtschaftliche Unsicherheit könnte Teile des Potenzials zunichtemachen.
Zwischen Innovation und geopolitischem Stress identifiziert van der Welle vier entscheidende Risiken, die die wirtschaftliche Entwicklung der nächsten Jahre maßgeblich beeinflussen könnten.
Erstens sorgt die unberechenbare US-Politik für Belastung. Ausländische Investoren hinterfragen zunehmend die Stabilität der amerikanischen Wirtschaftsordnung, was die Finanzierungskosten steigen lässt und die Ausnahmestellung der USA relativiert.
Zweitens verändern sich die globalen Machtverhältnisse. China bleibt ein entscheidender Akteur, der das geopolitische Gleichgewicht verschiebt. Der Handelskonflikt mit den USA und die Unsicherheit rund um Taiwan bleiben große Störfaktoren.
Drittens ist die Inflation noch nicht besiegt. Insbesondere in den USA könnten Zölle, Dollarabwertung und fiskalische Impulse die Teuerungsraten über dem Zwei-Prozent-Ziel halten – mit langfristigen Folgen für Kapitalmärkte und Anleiherenditen.
Viertens verliert das Ziel der Klimaneutralität an politischem Rückhalt. Nachhaltige Kapitalströme werden weniger durch Ideale und stärker durch nachweisbare Klimaeffekte gelenkt. Gleichzeitig steigt der Bedarf an Investitionen in Energieeffizienz und moderne Technologien.
Zusätzlich könnten eine starke Verteidigungsnachfrage, Arbeitsmarktengpässe und höhere Staatsverschuldung das makroökonomische Umfeld zusätzlich prägen.
Van der Welle skizziert drei mögliche Entwicklungen für die Weltwirtschaft. Das wichtigste ist das Basisszenario, die „fragile Renaissance“, mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent. Die USA wachsen weniger dynamisch, während Europa, Japan und die Schwellenländer aufholen. Im Bullenszenario (15 % Wahrscheinlichkeit) hingegen sorgt ein synchroner globaler Aufschwung für einen KI-getriebenen Produktivitätsschub bei niedriger Inflation. Das Bärenszenario (35 % Wahrscheinlichkeit) zeichnet dagegen ein Bild starker geopolitischer Konflikte, Handelskriege und Stagflation, verbunden mit dem Zerfall globaler Institutionen.
Bemerkenswert ist Robecos Einschätzung der aktuellen Marktlage: Trotz steigender Kurse fehlt es den Märkten an Breite. Viele strategische Bereiche – vor allem US-Aktien und hochverzinsliche Unternehmensanleihen – wirken überteuert und spiegeln eher das optimistische Bullenszenario wider. Robeco warnt deshalb vor einem erhöhten Verlustrisiko in diesen Segmenten, während weniger beliebte Absicherungen wie Rohstoffe und Immobilienaktien an Attraktivität gewinnen.
Ein besonderes Fokus-Thema des Berichts ist die Frage, welche Anlageklassen in Zeiten steigender geopolitischer Risiken als sicherer Hafen gelten können. Die Analyse stellt fest, dass traditionelle Schutzmechanismen wie US-Staatsanleihen an Glaubwürdigkeit verlieren. Historisch verlässliche Safe-Haven-Strukturen zeigen Brüche – und diese Entwicklung zwingt Anleger zur Neuorientierung.
Gold nimmt eine zentrale Rolle ein. Über Jahrtausende war es Grundlage monetärer Systeme, und selbst heute wird es im Bankenregime nach Basel-Regeln als Tier-1-Kapital anerkannt. Seine Knappheit, Haltbarkeit und Unabhängigkeit von staatlichen Emittenten machen es zu einem beständigen Wertaufbewahrungsmittel. Robeco verweist darauf, dass ein römischer Soldat in Gold annähernd denselben Wert erhielt wie ein US-Soldat heute – ein bemerkenswerter Beleg für die Stabilität des Edelmetalls über die Jahrtausende hinweg. Allerdings ist Gold nicht perfekt: Es erzeugt keine laufenden Erträge, verursacht Lagerkosten und kann in Krisen durchaus an Wert verlieren, wie historische Preisschwankungen zeigen. Dennoch stieg Gold in der globalen Finanzkrise stärker als fast alle anderen Assetklassen, und auch in Zeiten hoher Inflation zählt es zu den robustesten Anlagen.
Bitcoin wird häufig als „digitales Gold“ bezeichnet, doch die Unterschiede sind erheblich. Während Bitcoin zwar gewisse Knappheits- und Dezentralisierungseigenschaften besitzt, fehlt ihm die lange Historie eines verlässlichen Wertspeichers. Zudem existiert kein intrinsischer Grundwert – anders als bei Gold, das auch in der Industrie genutzt wird. Van der Welle betont, dass Bitcoin in den vier größten Aktienmarktkorrekturen seit seiner Einführung schlecht abgeschnitten hat und damit aktuell nicht als sicherer Hafen gelten kann. Hinzu kommt der hohe Energieverbrauch, der aus Sicht nachhaltigkeitsorientierter Investoren ein Problem darstellt.
Fiatwährungen bleiben deshalb weiterhin wichtige Stabilisatoren. Besonders der US-Dollar und der japanische Yen haben historisch als Fluchtwährungen gedient. Der Euro hingegen konnte erst in jüngeren Krisenphasen stärker überzeugen. Gleichzeitig deutet Robeco auf eine schleichende Verringerung globaler Dollarreserven hin, was langfristig zu tektonischen Verschiebungen in der Währungswelt führen könnte.
Die Konsequenz aus all dem lautet: Anleger sollten im Bereich sicherer Häfen breit diversifizieren. Da US-Staatsanleihen nicht mehr den gleichen Schutz bieten wie früher, rücken Gold, Rohstoffe, defensive Aktien, ausgewählte Staatsanleihen wie deutsche Bunds sowie solide Fiatwährungen stärker in den Vordergrund.
Der Robeco-Ausblick schwankt zwischen Tech-Euphorie und politischer Unsicherheit. KI kann die Produktivität revolutionieren, doch geopolitische Risiken, Inflation, Nachhaltigkeitsthemen und unberechenbare politische Entscheidungen sind ein Damoklesschwert. Robeco sieht Renditechancen vor allem in Schwellenländern, Rohstoffen und ausgewählten Anleiheklassen, während Risiken bei überbewerteten US-Aktien und risikoreichen Unternehmensanleihen steigen. Gleichzeitig erfordert die neue geopolitische Realität einen differenzierten Blick auf sichere Häfen – mit Gold als stabiler Säule und Bitcoin als spekulativem Unsicherheitsfaktor. (jk)

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