Die OPEC muss handeln

Interview

Was der Nachfrageeinbruch für Erdölproduzenten bedeutet, warum die Preis-Achterbahn allen schadet. Ein Interview mit Karin Kneissl , ehemalige österreichische Außenministerin.

26.05.2020 | 14:00 Uhr

Die gesamte Weltwirtschaft wurde von der Corona-Pandemie getroffen, doch kaum einen Bereich hat es so durcheinandergewirbelt wie den Ölmarkt. Über die weitreichenden Konsequenzen des globalen Nachfrageeinbruchs und die Perspektiven für die kommenden Monate und Jahre spricht €uro FundResearch mit Karin Kneissl. Die ehemalige österreichische Außenministerin und Autorin (ihr neues Buch „Diplomatie Macht Geschichte — Die Kunst des Dialogs in unsicheren Zeiten“ erscheint im Juni) gilt als ausgewiesene Expertin für Energiepolitik und den Nahen Osten.


€uro FundResearch: Frau Kneissl, wie heftig muss man sich den aktuellen Nachfrageeinbruch auf dem Ölmarkt vorstellen?

Karin Kneissl:  Dass wir grundsätzlich einen Nachfragerückgang erleben, war den Erdölproduzenten seit langem bewusst. Die OPEC hat dies zuletzt in ihrem World Oil Outlook vom November 2019 aufgegriffen, nämlich infolge der Tendenz weg vom Verbrennungsmotor. Selbst in China, seit langem das Zugpferd der Ölnachfrage, ging die Entwicklung bereits seit 2014stärker in Richtung Dienstleistung, wo weniger fossile Energien gebraucht werden. Zu Beginn des Jahres lag die Weltölproduktion bei rund 100 Millionen Barrel pro Tag. Niemand, wirklich niemand hat sich so etwas wie einen globalen Stillstand vorstellen können. Wir sprechen aktuell von einem Erdölverbrauch von schätzungsweise 30 bis 40 Millionen Barrel pro Tag weniger. Die größte Förderkürzung aller Zeiten, die im April von OPEC und nicht- OPEC-Produzenten gemeinsam getätigt wurde, reicht nicht, um das auszugleichen. Ein solches Szenario konnte weder die Internationale Energieagentur IEA, noch eine OPEC-Statistik, noch irgendeine nationale Behörde in der Breite erahnen konnte.

Die IEA ist zuletzt etwas optimistischer geworden und geht jetzt, aufs Jahr betrachtet, von einem täglichen Nachfrage-Minus von 8,6 statt zuvor 9,3 Millionen Barrel Rohöl aus. Der Ölpreis ist daraufhin gestiegen. Wie sicher sind solche Prognosen?

Wir wissen schlicht nicht, wie es weitergeht. Zum einen haben wir die Gesundheitsbehörden, die vor einer zweiten und dritten Infektionswelle warnen. Auf der anderen Seite gibt es politische Stimmen, die, wie ich meine zu Recht, sagen, einen zweiten Shutdown können wir uns nicht leisten. Und dann gibt es natürlich noch die Hoffnung auf wirksame Medikamente oder sogar einen Impfstoff innerhalb der nächsten Monate. Allein diese drei Szenarien würden ja zu ganz unterschiedlichen Folgen in der Energienachfrage führen.

Was denken Sie, was passiert?

Man kann sich da nur vortasten. Wenn wir einmal nur bei der Mobilität bleiben: Etwa 37 Prozent der Tageserdölproduktion gehen in die Mobilität. Eines ist glaube ich jetzt schon klar: Die Luftfahrt wird an dem aktuellen Einschnitt massiv leiden, für längere Zeit. Der Tourismus wird nicht so schnell anspringen. Und viele Führungsetagenhaben gesehen: Es geht auch ohne Reisen. Nicht alles lässt sich per Videokonferenz erledigen, aber vieles eben schon. Dann der Automobilsektor, der bereits seit zwei Jahren große Probleme hat und diese zusätzliche Belastung so nötig gebraucht hat wie einen Kropf. Auch das wird Folgen haben für die Berechnung der Erdölnachfrage. Ich sehe den Knackpunkt aber nicht darin, ob es am Ende sieben, acht oder doch 15 Millionen Barrel am Tag weniger sind. Sondern darin, was man sich als Förderunternehmen leisten kann. Dort müssen die Entscheidungsträger überlegen, wie viel sie investieren, um im Herbst oder im nächsten Frühjahr genug Öl zu produzieren, damit es dann keine Engpässe gibt, wie es in den letzten 30 Jahren immer wieder der Fall war.

Aber dann könnten sie ihr Öl doch teurer verkaufen, wäre das so schlecht?

Erinnern wir uns an die Dekade 1999 bis 2008: Da war der Ölpreis mal bei zehn, mal bei 150, dann wieder bei 60 Dollar. Solche Achterbahnfahrten sind schlecht für Produzenten und für Konsumenten. Allein die Expats, Ausländer, die in den Golfstaaten arbeiten und Geld in ihre Heimatländer schicken. Verlieren sie ihren Job, hat das weitreichende Konsequenzen infolge des Wegfalls der Geldtransfers in die Herkunftsländer, und führt beispielsweise wieder zu mehr Migration.

Börsennotierte Energiekonzerne wie Total oder Exxon streichen aber gerade ihre Investitionen um ein Viertel oder sogar mehr zusammen...

Wenn ich heute in dem Umfang kürze, wird mich das irgendwann einholen. Die Firmen müssen sich jetzt wieder einmal neu erfinden. Die wirklich bedeutenden Konzerne sind ohnehin nicht mehr die europäischen, nordamerikanischen, obwohl die wichtig sind und immer wieder technologische Trends gesetzt haben, sondern Sinopec, CNOOC oder Gazprom. Letztendlich mischen sich in dem Geschäft immer wieder fundamentale Fakten von Angebot und Nachfrage mit Geopolitik.

Saudi-Arabien ergreift recht drastische Sparmaßnahmen, verdreifacht die Mehrwertsteuer und streicht Zulagen für Staatsbedienstete.Was bedeutet die aktuelle Situation für die Golfstaaten? .

Der frühere saudi-arabische Ölminister Ali Al-Naimi hat immer gesagt „Wir brauchen einen Erdölpreis von mindestens 90 Dollar pro Fass“, obwohl Saudi-Arabien Förderkosten von nicht einmal neun Dollar pro Fass hat. Sie brauchen also einen Gewinn von mindestens 80 Dollar pro Fass, um ihren Wohlfahrtsstaat und ihre sehr teure Außenpolitik zu finanzieren. Allein der Jemen-Krieg, der im März 2015 vom Zaun gebrochen wurde, kostet gerüchteweise zwischen fünf und acht Milliarden Dollar pro Monat. Aber Saudi-Arabien hat sehr lange gezögert, irgendwelche Steuern oder Abgaben einzuführen, denn auch dort kennt man das Prinzip „no taxation without representation“ – ich kann nicht anfangen, Leute zu besteuern, wenn ich ihnen kein politisches Mitspracherecht gebe. Das gibt es in Saudi-Arabien wirklich nur in sehr, sehr reduzierter Form. Das Erhöhen der Mehrwertsteuer, das Streichen bestimmter „Goodies“ für die Bürger, das hinterlässt schon Spuren.

Das heißt doch: Wenn die Golfstaaten auf Dauer keine demokratischen Zugeständnisse machen wollen, benötigen Sie einen höheren Ölpreis. Wie können sie das erreichen?

Es muss eine einvernehmliche Entscheidung innerhalb der OPEC+, also der 13 OPEC und 10 Nicht OPEC Produzenten, geben, die Produktionsquoten aufeinander abzustimmen. Daran werden wohl auch die USA mitwirken, wie dies nun schon der Fall war.Ich sage immer, Totgesagte leben länger. Die OPEC wurde schon Dutzende Male totgesagt und wird trotzdem wohl ihren 60. Geburtstag im Herbst feiern können.

Hat die amerikanische Frackingindustrie noch eine Zukunft? 60 Prozent der Firmen sollen von der Pleite bedroht sein.

Die Branche ist schon seit Jahren in einer verwundbaren Situation. Bisher ist es diesen  Unternehmen immer wieder gelungen, durch neue Technologien und Effizienzmaßnahmen ihre Förderkosten zu drücken. Aber wenn die Firmen hochverschuldet sind und dann vor allem keinen mehr finden, der ihnen das Schieferöl abnimmt, weil die Lager voll sind, dann ist das ein großes Problem.

Im April ist sind die Preise für WTI-Futures erstmals in den negativen Bereich gerutscht. Investoren, die über ETCs auf steigende oder fallende Ölpreise setzen, wird daran eine gewissen Mitschuld zugesprochen. Wie bewerten Sie den Einfluss von Anlegern auf den Erdölmarkt?

Ich sehe das schon skeptisch. Der Futures-Handel hat seine Berechtigung bei vielen speziellen Öldestillaten. Aber das Rohöl wurde in den 90er Jahren zum Spekulationsobjekt, ein Spielball losgelöst von den harten Fakten von Angebot und Nachfrage. 

Wo steht der Ölpreis am Jahresende?

Ich könnte mir vorstellen, dass Öl dann teurer ist als heute.

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