Italiens Staatspräsident Sergio Mattarella hat den Rücktritt von Regierungschef Mario Draghi angenommen. Das teilte der Quirinalspalast am Donnerstag in Rom mit. Die Regierung bleibe zunächst für die laufenden Geschäfte im Amt.
21.07.2022 | 06:59 Uhr
Zuvor reichte der Ex-Chef der Europäischen Zentralbank wie schon vor einer Woche sein Rücktrittsgesuch erneut bei dem 80 Jahre alten Oberhaupt der Italienischen Republik ein. Mattarella kommt damit eine wichtige Rolle für die Zukunft des Landes mit seinen fast 60 Millionen Einwohnern zu. Als nächstes muss er entscheiden, ob er die Parlamentskammern auflöst und damit den Weg für eine vorgezogene Wahl ebnet oder ob er einen Experten oder Politiker sucht, um eine neue Regierungsmehrheit aus dem bestehenden Parlament zu formen.
Draghi wollte bereits am vergangenen Donnerstag zurücktreten, als er im Senat von der populistischen Regierungspartei Fünf-Sterne-Bewegung das Vertrauen im Zusammenhang mit der Abstimmung über ein Milliardenschweres Hilfspaket nicht ausgesprochen bekam. Mattarella lehnte das Angebot jedoch ab. Draghi sollte sich am Mittwoch stattdessen im Senat und am Donnerstag in der Abgeordnetenkammer zur Regierungskrise erklären.
Im Senat erhielt der parteilose Banker allerdings am Mittwochabend eine herbe Klatsche, als drei seiner Regierungsparteien bei einem Vertrauensvotum über seine Regierung nicht mit abstimmten. Er gewann zwar die Abstimmung mit 95 Ja- zu 38 Nein-Stimmen, bekam aber nicht die von ihm geforderte breite Zustimmung für einen neuen "Pakt des Vertrauens".
Italien rutscht damit immer weiter ins politische Chaos. Am Vormittag reagierten die Märkte auf die drohende politische Instabilität in der drittgrößten Volkswirtschaft der EU mit einer Abwärtsbewegung. Die Börse in Mailand stand zwischenzeitlich mit zwei Prozent im Minus. Der Risikoaufschlag für zehnjährige italienische Staatsanleihen im Verhältnis zu deutschen Staatsanleihen stieg deutlich an. Das hoch verschuldete Italien könnte damit zu einer Gefahr für die EU und den Euro werden, der unter Druck geraten könnte.
Mattarellas Entscheidung könnte für das Mittelmeerland gravierende Auswirkungen haben. Eine vorgezogene Wahl würde zunächst politischen Stillstand bedeuten und in Italien, aber auch in Europa, für Instabilität sorgen. Eigentlich müsste das Parlament weitere Reformen durchsetzen, um sich die Corona-Wiederaufbaugelder aus Brüssel in Milliardenhöhe zu sichern. Außerdem muss der Haushalt für 2023 geplant werden, was in der italienischen Politik traditionell für viel Streit sorgt.
Die Wahl könnte außerdem Umfragen zufolge die politische Landschaft maßgeblich verändern. Derzeit liegt die rechtsextreme Oppositionspartei Fratelli d'Italia von Giorgia Meloni in der Wählergunst vorne. Gemeinsam mit der rechten Lega und der konservativen Forza Italia könnte der Mitte-Rechts-Block damit sehr viele Menschen und am Ende vielleicht sogar eine Parlamentsmehrheit hinter sich vereinen.
"Vor dem Hintergrund der Abstimmung gestern Abend im Senat, bitte ich die Sitzung zu unterbrechen, weil ich mich zum Präsidenten der Republik begeben werde, um ihm meinen Entschluss mitzuteilen", sagte Draghi am Donnerstag in der Abgeordnetenkammer in Rom. Zuvor gab es langen Applaus für Draghi vor Beginn der Sitzung. Viele Abgeordnete standen auf. Draghi bedankte sich bei den Parlamentariern mit einem "Grazie".
Der 74 Jahre alte Regierungschef verpasste am Mittwochabend im Senat, der kleineren der beiden Parlamentskammern, bei einem Vertrauensvotum sein Ziel, eine breite Zustimmung seiner Regierungsparteien zu erhalten. Die linkspopulistische Fünf-Sterne-Bewegung, die rechtspopulistische Lega und die konservative Forza Italia stimmten nämlich nicht mit ab.
Der parteilose Ökonom wollte am Donnerstag noch in der Abgeordnetenkammer erscheinen. Im Senat, der anderen Parlamentskammer, forderte er am Mittwoch seine Regierungsparteien auf, ihn weiter zu unterstützen und mit ihm einen neuen "Pakt des Vertrauens" zu bilden.
Der Mitte-Rechts-Block seiner Vielparteienregierung aus Experten und Politikern war dazu allerdings nur bereit, wenn die Fünf-Sterne-Bewegung von einer neuen Regierung ausgeschlossen wird. Die Sterne-Senatoren erwarteten dagegen, dass Draghi für eine Fortsetzung mit ihnen auf ihre politischen Vorschläge eingeht, was er aber aus ihrer Sicht nicht tat.
Draghi dürfte keinen Ausweg mehr sehen, als erneut seinen Rücktritt anzubieten. Das tat er bereits vor einer Woche, als die Fünf Sterne ihm im Senat bei einer Abstimmung zu einem Hilfspaket das Vertrauen nicht aussprachen. Präsident Sergio Mattarella lehnte das Gesuch damals ab. Sollte er es nun akzeptieren, könnte jemanden beauftragen, eine Regierungsmehrheit im bestehenden Parlament formen zu lassen oder er könnte die beiden Kammern auflösen, was eine vorgezogene Wahl einleiten würde. Die muss dann binnen 70 Tagen erfolgen. Deshalb wäre ein möglicher Wahltermin zwischen Ende September und Anfang Oktober.
Ohne Draghi fehlt Italien ein wichtiger Garant für Stabilität in Europa. Der parteilose Ökonom wurde Mitte Februar 2021 von Mattarella ersucht, eine Regierungsmehrheit zu bilden. Zuvor war das zweite Kabinett des heutigen Chefs der Fünf-Sterne-Bewegung, Giuseppe Conte, zerfallen. Draghi setzte seiner Regierung das Ziel, Italien sicher durch die Corona-Pandemie zu lenken und dem Land die wichtigen Milliarden-Hilfen für den EU-Wiederaufbaufonds aus Brüssel zu sichern.
Im zweiten Halbjahr 2022 muss Italien wichtige Reformen umsetzen, damit Brüssel die nächste Tranche der Corona-Wiederaufbauhilfen in Milliardenhöhe ausschüttet. Außerdem muss das Parlament den Haushalt für 2023 planen, was sich meist lange hinzieht. Im Fall einer Neuwahl wäre das Land politisch zunächst kaum handlungsfähig, und das in Zeiten steigender Inflation und Energie-Preise - bedingt durch den Ukraine-Krieg.
Quelle: dpa-AFX
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