Ein Marktkommentar zur EU-Kleinanlegerstrategie von Prof. Dr. Michael Heuser, Wissenschaftlicher Direktor des DIVA.
17.05.2022 | 10:15 Uhr
Nach Auffassung der EU-Kommission fehlt den Bürgern Europas,
den unbedarften „Kleinanlegern“, der freie Zugang zu Anlageprodukten mit mehr
Rendite – sprich zu Aktien- bzw. Investmentprodukten. Doch ist ein EU-weiter
Regulierungsansatz hier wirklich ein geeignetes Mittel, um mehr
Investmentfreude zu erzeugen? Drei Thesen hinterfragen die Prämissen der
„EU-Kleinanlegerstrategie“:
1.) Die Annahme der Kommission, der Marktzugang von
Kleinanlegern sei beschränkt, ist fragwürdig.
Zumindest in Deutschland, immerhin dem größten europäischen Teilmarkt, wuchs
die Zahl der Fondssparpläne, der Wertpapierdepots und der Aktionäre in den
vergangenen Jahren mit hoher Dynamik. Dem liegt ein sich stetig verbesserndes
Verhältnis der Bürger zu aktienbasierten Geldanlagen zu Grunde, wie unter
anderem die Entwicklung des vom DIVA halbjährlich erhobenen Deutsche
Geldanlage-Index (DIVAX-GA) zeigt. Zugleich besteht auch das Neugeschäft der
deutschen Lebensversicherer inzwischen zu mehr als 95 Prozent aus
fondsgebundenen Produkten oder Hybridprodukten. Reine Garantieprodukte kommen
fast gar nicht mehr vor. Wegen niedriger Zinsen und steigender Inflation ist
das auch nicht überraschend. Die EU-Regulierungsinitiative scheint also auf
andere Märkte als Deutschland zu zielen. Dann ist aber zu fordern, dass eine
differenziertere Betrachtung der EU-Märkte und ihrer Marktbeschränkungen
zugrunde gelegt wird. „Für alle gleich“ ist nämlich nicht „für alle besser“.
2.) IBIP oder IBIP? Absicherung steht im Vordergrund!
Der Begriff IBIP „Insurance Based Investment Product“ ist eigentlich falsch –
tatsächlich handelt es sich meist um Investment Based Insurance Products. Denn
im Regelfall ist das primäre Motiv des Verbrauchers die Alters- bzw.
Risikoabsicherung, die ihn das Versicherungsprodukt gegenüber einem reinen
Anlageprodukt den Vorzug geben lässt. Im Übrigen sind Produkte im
Versicherungsmantel deshalb auch im Regime der Insurance Distribution Directive
(IDD) richtig verortet. Ein Übergang auf MFID II-Regeln würde einen Zugang zu
solchen Produkten nur erschweren. Abgesehen davon tragen zum Verbraucherschutz
in Deutschland noch viele weitere rechtliche Bestimmungen bei (zum Beispiel VVG,
VAG, Vermittlerverordnung, VVG-Info V, AltvPIBV). Das bürokratische Ergebnis:
Schon heute müssen für den Abschluss einer Riester-Rente (ein
Versicherungsanlageprodukt) mehr als 50 Seiten Papier ausgedruckt und sechs
Unterschriften eingeholt werden.
3.) Um den Marktzugang zu verbessern, braucht es
Beratung statt Regulierung.
Es gibt eine große Diskrepanz zwischen juristischen Anforderungen zum
Verbraucherschutz auf der einen und der Verständlichkeit von Produkten und
Bedingungen auf der anderen Seite. Wenn die EU-Kommission den Marktzugang zu
Investmentprodukten bzw. zu investmentbasierten Versicherungsprodukten
verbessern will und dabei den deutschen Markt im Blick hat, gibt es eine
entscheidende Stellschraube: die Förderung kompetenter Beratung. Denn Aufgabe
der Berater ist es, das regulierungsjuristische Fach-Kauderwelsch für den
Verbraucher zu übersetzen und seine individuelle Situation zu bewerten. Eine
Ausweitung der Regulierung, insbesondere eine Ausweitung der MIFID
II-Anwendung, würde genau das Gegenteil dessen bewirken, was die
Kleinanlegerstrategie eigentlich soll: Den Verbreitungsgrad höher rentierlicher
Anlageprodukte fördern.
Bei aller Sympathie für gemeinsame Regeln in der EU sind die Voraussetzungen in
den Mitgliedsländern schlicht unterschiedlich. In Deutschland liegt das
gesetzliche Rentenniveau bei 48 Prozent, die betriebliche Altersversorgung ist
bei weitem nicht flächendeckend vorhanden. Deshalb bleibt private Vorsorge
unerlässlich. Ohne Bedarfsklärung, Beratung und Vermittlung wird auskömmliche
Alterssicherung für alle nicht zu erreichen sein. Eine EU-Regulierung darf
dieses Ziel nicht behindern. (dp)
DIVA – Deutsches Institut für Vermögensbildung und Alterssicherung
Das DIVA versteht sich als Meinungsforschungsinstitut für finanzielle
Verbraucherfragen und ist ein An-Institut der Fachhochschule der Wirtschaft
(FHDW). Geschäftsführender Direktor ist Dr. Helge Lach, zugleich Vorsitzender
des Bundesverbands Deutscher Vermögensberater (BDV); die Wissenschaftliche
Leitung liegt bei FHDW-Professor Dr. Michael Heuser. Veröffentlichungen des
DIVA und weitere Informationen unter www.diva.de.
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