Die stille Revolution der Geldpolitik in den Emerging Markets | |
09/2020 | |
Piroska Nagy-Mohacsi | |
Project Syndicate |
Im Zentralbankwesen der Schwellenländer hat während der Covid-19-Pandemie eine stille Revolution stattgefunden.
10.09.2020 | 09:34 Uhr
Anders als in früheren Krisen konnten sie Maßnahmen nachahmen, die von Zentralbanken in fortgeschrittenen Volkswirtschaften umgesetzt wurden: antizyklische Maßnahmen mit quantitativer Lockerung (Quantitaive Easing, kurz QE), der Kauf von Vermögenswerten in Landeswährung, Zinssenkungen und die Finanzierung der Staatsdefizite über die Druckerpressen der Notenbanken.
In der Vergangenheit hätten solche Maßnahmen die Inflation und den Abwertungsdruck auf die Wechselkurse angeheizt. Diesmal nicht. Mit Ausnahme einiger Zentralbanken, die schon vor der Pandemie in Schwierigkeiten steckten, konnten die Zentralbanken der Schwellenländer mit Hilfe von QE-Maßnahmen mehr Handlungsspielraum für die Reaktion auf die Krise schaffen.
Die Geldpolitik in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften ermöglichte diesen Wandel. Deren eigene QE-Programme hatten positive Ausstrahlungseffekte, und sie haben ihre Währungs-Swaps und Devisengeschäfte mit Rückkaufvereinbarung (Repo-Geschäfte) als Reaktion auf die Krise ausgeweitet. Unter den Maßnahmen, die von den global systemrelevanten Zentralbanken ergriffen wurden, war die Reaktion der US-Federal Reserve die wichtigste, aber auch die Swaps und Repo-Geschäfte der Europäischen Zentralbank (EZB) und der People's Bank of China (PBOC) hatten erhebliche Auswirkungen auf regionaler Ebene.
Die Auswirkungen der Zinssenkungen und der enormen Liquiditätsspritzen in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften haben infolge der weltweiten Jagd nach Rendite die Schwellenländer erreicht. Nachdem der Markt im März zunächst in Stolpern geraten war, kehrten die Kapitalströme in die Schwellenländer zurück, die in den folgenden Monaten eine starke Emission von Schuldtiteln verzeichneten. Die Schwellenländer konnten auch ihre Zinssätze senken, und ihre Zentralbanken haben ‒ dort, wo der Markt groß genug ist ‒ begonnen, auf Landeswährung lautende Vermögenswerte auszugeben.
In der Zwischenzeit hat die massive Ausweitung der Währungs-Swaps durch die global systemrelevanten Zentralbanken den Druck auf die Wechselkurse gemildert. Diese Swap-Linien dienen als Sicherheitsnetz, um Devisenknappheit auf den Inlandsmärkten vorzubeugen. Zu Beginn der Pandemie reaktivierte die Fed ihre Swap-Vereinbarungen mit der EZB, der Bank of Canada, der Bank of England, der Bank of Japan und der Schweizerischen Nationalbank und verlängerte gleichzeitig deren Laufzeiten. Im Anschluss daran stellte sie den Zentralbanken von Australien, Brasilien, Dänemark, Südkorea, Mexiko, Neuseeland, Norwegen, Singapur und Schweden Swap-Linien zur Verfügung.
Während der globalen Finanzkrise vor zehn Jahren hat die Fed zwar ähnliche Maßnahmen ergriffen, aber nun ist sie viel weiter gegangen. Ende März begann sie damit, eine neue zusätzliche befristete Repo-Fazilität für ausländische und internationale Währungsbehörden einzurichten. Diese Fazilität ermöglicht es Zentralbanken und öffentlichen Währungsinstitutionen auf der ganzen Welt, ihren Bestand an US-Staatsanleihen als Kanal für den Zugang zu Liquidität in US-Dollar zu nutzen.
Obwohl Repo-Geschäfte keine echten Währungs-Swaps sind (weil die ausländischen und internationalen Währungsbehörden bereits über auf Dollar lautende Vermögenswerte als Sicherheit verfügen müssen), haben sie sich dennoch als eine mächtige Quelle des Marktvertrauens erwiesen. Und da die bloße Verfügbarkeit von Repo-Geschäften ausreichen kann, um die Märkte zu beruhigen, müssen sie in vielen Fällen nicht eingesetzt werden.
Darüber hinaus können Repo-Geschäfte als Vorläufer für echte Währungs-Swap-Vereinbarungen dienen, nach dem Vorbild der Repo-Geschäfte der EZB mit Polen und Ungarn im Jahr 2009. In der aktuellen Krise haben die EZB und die chinesische Notenbank sowohl die Swap-Linien als auch die Repo-Geschäfte innerhalb ihres geldpolitischen Einflussbereichs ausgeweitet, wodurch die Wechselkursrisiken in den Schwellenländern stark reduziert werden konnten.
Der zusätzliche Handlungsspielraum der Zentralbanken der Schwellenländer wird so lange bestehen bleiben, wie die Geldpolitik der fortgeschrittenen Volkswirtschaften ausreichend expansiv bleibt. Die Chancen dafür sind kurz- und mittelfristig hoch, da die Zentralbanken der fortgeschrittenen Volkswirtschaften (aus verschiedenen Gründen) nicht in der Lage waren, sich vollständig aus der von ihnen vor einem Jahrzehnt eingeleiteten quantitativen Lockerung zurückzuziehen, selbst nachdem sich Wachstum und Beschäftigung erholt hatten.
Angesichts der Pandemie und der durch sie verursachten tiefen wirtschaftlichen Rezession ist tatsächlich kein Ende der quantitativen Lockerung in Sicht. Darüber hinaus haben sich mehrere Zentralbanken formell verpflichtet, die Zinssätze niedrig oder sogar negativ zu halten, und neue digitale Währungen der Zentralbanken könnten die Umsetzung solcher Maßnahmen relativ einfach machen.
Daraus folgt für die Notenbanken der Emerging Markets, dass sie auf absehbare Zeit höchstwahrscheinlich weiterhin von geldpolitischen Spillover-Effekten der global systemrelevanten Zentralbanken profitieren werden. Die Vorteile dieser geldpolitischen Freiheit sind jedoch begrenzt. Viele Emerging-Markets-Zentralbanken könnten schon bald unbeabsichtigte Konsequenzen in Bezug auf Finanzstabilität und Governance erfahren.
Schließlich werden sich die quantitative Lockerung und eine lang anhaltende Rezession unweigerlich auf die Bilanzen von Unternehmen, Haushalten und schließlich Banken auswirken. Wenn dies geschieht, werden Konkurse und notleidende Kredite sprunghaft ansteigen, und die Regierungen in den Schwellenländern werden feststellen, dass sie immer noch viel weniger fiskalischen Spielraum zur Bewältigung solcher Probleme haben als ihre Pendants aus den fortgeschrittenen Volkswirtschaften.
Governance-Fragen dürften ebenfalls auftauchen. Wenn Zentralbanken über Staatsanleihen hinaus Vermögenswerte kaufen, werden Bedenken im Hinblick auf Transparenz und Rechenschaftspflicht aufkommen. Tatsächlich könnte dies auch in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften zu einem Problem werden (obwohl sie immer noch den Vorteil von mehr fiskalischem Spielraum und robusten institutionellen Gegebenheiten haben werden).
Auf die eine oder andere Weise dürften sich in verschiedenen Bereichen der nationalen Finanzstabilität und Governance bald Schwachstellen auf den Schwellenmärkten zeigen. Die politischen Entscheidungsträger in diesen Ländern täten gut daran, weiterhin wachsam zu sein.
Piroska Nagy-Mohacsi ist Programmdirektorin und Senior Fellow am Institute of Global Affairs der London School of Economics.
Copyright: Project Syndicate
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