Interview

„There is no such thing as a free lunch“

Staatsfinanzierung durch die Notenbanken war früher undenkbar. Heute scheint dieses Vorgehen selbstverständlich. „Das kann nicht mehr ewig so weitergehen“, sagt der renommierte Investment-Experte Leonhard „Lenny“ Fischer.

24.01.2022 | 07:30 Uhr von «Matthias von Arnim»

TiAM FundResearch: Herr Fischer, seit Jahren pumpen Regierungen und Notenbanken Geld in die Wirtschaft. Die Zinsen sind niedrig, Regierungen, Unternehmen und Privatpersonen können sich günstig verschulden, die Aktienkurse steigen. Eigentlich läuft doch alles super, oder?

Leonhard Fischer: Ja, das läuft sehr gut für die Schuldner. Wir leben derzeit in einem System, in dem diejenigen Vorteile haben, die leichten Zugang zu Krediten haben. Das sind allen voran die Staaten, aber auch Unternehmen. Für Menschen, die noch nach normalen Regeln leben und ihr Erspartes auf einem Konto liegen haben, sieht die Welt nicht so rosig aus.

TiAM FundResearch: Die Notenbanken haben mit ihren Maßnahmen die Weltwirtschaft zuletzt mehrmals vor einem Kollaps gerettet. Erst in der Finanzkrise, dann in der Eurokrise und nun nach dem Corona-Crash. Profitieren davon letztlich nicht alle?

Leonhard Fischer: Nein. Es ist ein großes Missverständnis, dass das Eingreifen der Notenbanken, so wie es in den vergangenen 20 Jahren geschehen ist, für allgemeinen Wohlstand sorgt. Im Gegenteil. Wir erleben seit einiger Zeit einen gigantischen Vermögenstransfer von den Sparern zu den Schuldnern. Wer spart, ist der Dumme. Gewinner sind Staaten, Unternehmen und Spekulanten, die sich Geld leihen, um in Sachwerte wie beispielsweise Aktien oder Immobilien zu investieren.

TiAM FundResearch: Können Sie die Mechanismen, die sie meinen, genauer erklären?

Leonhard Fischer: Letztlich ist es einfache Mathematik. Wenn die Zinsen null Prozent betragen und wir eine Inflation haben, die über null Prozent liegt, dann verliert Geldvermögen an Kaufkraft. Deshalb lohnt es sich derzeit, in Sachwerte zu investieren, am besten auf Pump. Denn wenn alle gleichzeitig in Sachwerte flüchten, dann steigen deren Preise. Haben Investoren den Kauf von Sachwerten über einen billigen Kredit finanziert, erzielen sie im Laufe der Zeit einen beachtlichen Wertzuwachs. Dumm aus der Wäsche schauen diejenigen, die den Investoren dafür ihr Geld leihen.

TiAM FundResearch: War es nicht schon immer so, dass sich die Investition in Unternehmen mehr gelohnt hat als die Investition in deren Schulden?

Leonhard Fischer: Das ist zwar grundsätzlich richtig. Schließlich müssen Unternehmen mit ihren Investitionen mehr Gewinn erwirtschaften als sie für ihre Finanzierungen zahlen. Aber die Dimensionen, die wir gerade sehen, sind nicht mehr gesund. Um diese mal anschaulich zu illustrieren: Mitte der 80er-Jahre habe ich 30jährige US-Staatsanleihen mit einer Rendite von 15% gehandelt. Um nach 30 Jahren insgesamt 100 US-Dollar ausbezahlt zu bekommen, musste ich zu Beginn der Laufzeit 1,50 US-Dollar investieren. Bei einer Rendite von einem Prozent muss ich heute 75 US-Dollar investieren, um im Laufe von 30 Jahren 100 US-Dollar zurückzubekommen. Viele Staatsanleihen rentieren ja sogar unterhalb dieses Niveaus. Nimmt man die Inflation dazu, derzeit irgendwo zwischen drei und fünf Prozent, haben wir beinahe schon schmerzhaft hohe reale Negativzinsen. Da ist es nur logisch, dass die Preise für Sachwerte steigen.

TiAM FundResearch: Sparer sollten ihr Geld also nicht aufs Konto legen, sondern in Aktien oder Immobilien investieren, richtig?

Leonhard Fischer: Aktuell ist das richtig. Aber die Geschichte hat zwei Seiten. Heben die Notenbanken die Zinsen an, kippt das Modell in die andere Richtung – mit demselben Hebeleffekt. Es sollte sich niemand zu sicher fühlen. Ohne Risiko ist dieses Spiel nicht.

TiAM FundResearch: Haben Sie die Befürchtung, dass die Notenbanken die Zinsen bald wieder anheben?

Leonhard Fischer: Die Notenbanken müssen aufpassen, dass ihnen die Inflation nicht komplett entgleitet, sodass sie zu Interventionen gezwungen wären. Solange es geht, werden sie jedoch ihre Geldpolitik der vergangenen Jahre weiter fortsetzen und die Umverteilung von Vermögen weiter vorantreiben. Man muss es klar sagen: Es ist systemisch organisierter Diebstahl. Die Schuldner profitieren, die Sparer zahlen die Zeche. Das Gemeine daran ist, dass es ein schleichender Prozess ist. Wer den Effekt nachrechnet, muss erschrecken.

TiAM FundResearch: Wenn Sie sagen, dass es so gewollt ist, dann haben Sie auch eine Vorstellung davon, welches Ziel dahintersteckt. Warum sollte zum Beispiel die EZB solch einen systemischen Diebstahl, wie Sie es nennen, forcieren?

Leonhard Fischer: Die Begründung für alles, was wir in den vergangenen Jahren an Geldpolitik der EZB erlebt haben, hat Mario Draghi ausgesprochen: Der Euro muss gerettet werden. „What ever it takes.“ Sehen Sie sich die Volkswirtschaften in Europa an. Im Norden sitzen die Nettosparer, vor allem in Deutschland. Im Süden können einige Volkswirtschaften ihre Schulden kaum noch schultern. Die Notenbankpolitik der vergangenen Jahre sorgt dafür, dass das Geld vom Norden in den Süden fließt. Wir leben in einer Vermögenstransfer-Union.

TiAM FundResearch: Was könnte eine deutsche Bunderegierung dagegen tun?

Leonhard Fischer: Die Frage ist: Warum sollte sie es? Es geht schließlich um ein hehres Ziel: den Zusammenhalt der Europäischen Währungsgemeinschaft. Der über die EZB organisierte Vermögenstransfer innerhalb der Union passiert ohne demokratische Abstimmung, ohne Diskussion in Parlamenten, ohne offizielle Begründung. Auf die kleinen Sparer wird da keine Rücksicht genommen, Es geht um die ganz große Politik, ohne Legislative, einfach nur exekutiert durch einen Negativzins der EZB auf Einlagevermögen der Banken. Das ist nichts anderes als eine 0,5-prozentige Strafsteuer auf Vermögen. Erstaunlich finde ich, dass niemand danach fragt, ob die Notenbank das überhaupt darf. In Deutschland sind Negativzinsen verboten. Das hat ein Berliner Gericht erst kürzlich in einem Urteil klargestellt. Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Fall bald vor dem Bundesgerichtshof landet. Sollte dieser das Berliner Urteil bestätigen, bin ich gespannt auf die Folgen.

TiAM FundResearch: Sollten die Zinsen bald wieder steigen, könnten einige Volkswirtschaften und auch viele Unternehmen in ernsthafte Schwierigkeiten geraten. Vielleicht käme es zu einer ernsthaften Krise. Haben Sie keine Angst davor?

Leonhard Fischer: Die Krise kommt. So oder so. Das ist in unserem schuldenbasierten Geldsystem angelegt. Neues Geld wird durch Schulden geschaffen. Geld gleich Schulden. So einfach ist das. Wenn Sie Schulden, für die Sie Zinsen zahlen, zurückzahlen wollen, müssen Sie mit dem aufgenommenen Kredit einen Mehrwert erwirtschaften, der oberhalb der Schuldsumme und der Zinsen liegt. Alle müssen das. Deshalb reicht die aktuell im Umlauf befindliche Menge an Geld niemals aus, um alle Schulden zu begleichen. Es müssen also immer neue Schulden geschaffen werden, um immer höheres Wachstum zu erzielen. Sie können diese Spirale auf zwei Arten durchbrechen. Entweder durch einen Crash, der alle Ungleichgewichte wieder ins Lot bringt. Das wäre eine Marktbereinigung. Fehlallokationen würden aufgelöst, und Zombie-Unternehmen, die nur noch aufgrund niedriger Zinsen existieren, würden vom Markt verschwinden. Oder die Notenbank senkt die Zinsen unter null. Das ist dann kein großer Knall, sondern ein schleichender Prozess der Enteignung. Das ist das, was wir gerade erleben. Die Notenbank manipuliert den Markt massiv, um den großen Knall zu verhindern.

TiAM FundResearch: Es gibt keine gute Lösung, keinen dritten Weg?

Leonhard Fischer: Machen wir uns nichts vor. Der Spieleinsatz der Notenbanken, nicht nur der EZB, wird immer höher. Sehen Sie sich die Bilanzen der Notenbanken an. Die EZB hält den Gegenwert von rund der Hälfte des europäischen Bruttosozialprodukts in ihren Büchern. Es wird immer schwerer, aus diesem Ballon die Luft herauszulassen. Die große Chance, einen leichter verkraftbaren Crash zuzulassen, hat die EZB vor Jahren vertan.

TiAM FundResearch: Steht der Euro vor einem Kollaps?

Leonhard Fischer: Der Euro wird gerettet werden. Um jeden Preis. Das ist ja gerade der Auftrag der EZB – schon aus Eigeninteresse. Ohne Euro gibt es keine Europäische Zentralbank. Was sich allerdings ändern muss, ist unser Geldsystem. Ich denke, es wird etwas ganz anderes kommen, als wir es bisher kennen. Die Entwicklungen rund um Kryptowährungen und der Blockchain-Technologie machen ganz neue Ansätze denkbar. Wie diese Geldzukunft aussieht, lässt sich nur schwer vorhersehen. Jetzt geht es aus meiner Sicht darum, einen geschmeidigen Übergang vom alten in eine zukünftige Geldordnung zu schaffen.

TiAM FundResearch: Wie sollten sich Anleger angesichts dieser Aussichten verhalten?

Leonhard Fischer: Genauso, wie sich Anleger immer verhalten sollten. An den Kapitalmärkten gehört Unsicherheit über die Zukunft zum Alltag. Deshalb sollte man grundsätzlich nicht alle Eier in einen Korb legen, sondern auf alles vorbereitet sein. Für einen guten Portfolio-Mix halte ich 60 Prozent an Sachwerten, 20 Prozent Cash und 20 Prozent Geldsubstitute wie beispielsweise Gold. So ist man gut vorbereitet, um möglichst viel Substanzwert zu erhalten.

TiAM FundResearch: Herr Fischer, vielen Dank für das Gespräch.


Die interaktiven Videokonferenzen im Überblick:


Dienstag, 01.02.2022

Jupiter AM: Absolute-Return-Anleihenportfolios - Gerüstet für herausfordernde Märkte

Wird die Inflation wieder deutlich anziehen? Die Zentralbanken selbst scheinen sich nicht sicher zu sein. Wie sollen Investoren da erst wissen, wie sie sich verhalten sollen? In diesem Umfeld braucht es einen sehr flexiblen und liquiden Ansatz, um Wertpotenziale an den Anleihenmärkten zu erschließen, zu denen traditionelle Strategien keinen Zugang haben. Huw Davies, Fondsmanager des Jupiter Strategic Absolute Return Bond Fund, wird erläutern, wie sein Team vorgeht, um in allen Phasen des Marktzyklus positive Renditen zu generieren – mit einem Ansatz, der eine dynamische Vermögensaufteilung mit einem umsichtigen Risikomanagement kombiniert.

Jetzt die Videokonferenz vom 1. Februar 2022 ansehen.


Mittwoch, 02.02.2022

Pictet: Nutrition – investieren Sie in die (nachhaltige) Zukunft der Ernährung

Schlechte Ernährung – ob zu wenig oder zu viel – stellt heute eine der wesentlichsten sozialen Belastungen dar. Enorme Investitionen sind nötig, um eine wachsende Weltbevölkerung mit nährstoffreichen, hochwertigen Lebensmitteln zu versorgen und diese effizient und nachhaltig zu transportieren. Walter Liebe zeigt, welche Unternehmen Lösungen zur Verbesserung von Qualität und Nachhaltigkeit der weltweiten Nahrungsmittelversorgung entwickeln. Er nennt Beispiele für Innovationen zur Verbesserung der Produktivität in der Landwirtschaft oder die Steigerung der Effizienz beim Transport von Lebensmitteln. Und er erklärt die Nutrition Strategie von Pictet. 

Jetzt die Videokonferenz vom 2. Februar 2022 ansehen.


Donnerstag, 03.02.2022

bonafide: Einfach Meer

Als einer der führenden globalen Asset Manager widmet sich die Vermögensverwaltung bonafide ganz der blauen Revolution. Das in Liechtenstein beheimatete Unternehmen investiert mit seinem Bonafide Global Fish Fund in nachhaltige Unternehmen entlang der gesamten Wertschöpfungskette des Sektors Fish & Seafood, um zur Ernährung der Welt beizutragen und gleichzeitig attraktive finanzielle Erträge zu erwirtschaften. Geschäftsführer Marco Berweger und Unternehmensgründer Christoph Baldegger schildern im Gespräch, welche Besonderheiten die Fish & Seafood-Branche hat und welche Chancen sich Investoren hier bieten. 

Jetzt die Videokonferenz vom 3. Februar 2022 ansehen.


Dienstag, 08.02.2022

UBS Real Estate: Immobilienanlagen im Zeichen sich verändernder Arbeits- und Lebenswelten

Arbeits- und Lebenswelten verändern sich in Zeiten der Digitalisierung. Die Corona-Pandemie hat in den beiden vergangenen Jahren einen Wandel unserer Arbeitswelt beschleunigt und bestehende Trends verstärkt. Aus den Herausforderungen entstehen nun Chancen, um in zukunftsgerichtete und nachhaltige Immobilienanlagen zu investieren. Alexander Isak erklärt, was zukunftsorientiertes, nachhaltiges Investieren im Bereich von Immobilieninvestments aus Sicht der UBS bedeutet und welche Strategien die Aussicht auf solide Renditen bieten. 

Jetzt die Videokonferenz vom 8. Februar 2022 ansehen.


Mittwoch, 09.02.2022

Comgest: Schwellenländer neu gedacht - ohne China!

China gilt als die Lokomotive der Weltwirtschaft. Insbesondere in Asien gibt das Reich der Mitte mittlerweile den Ton an - wirtschaftlich und politisch. Davon profitieren etliche Schwellenländer. Und manche entwickeln sich besonders erfolgreich im Schatten Chinas - was von vielen Investoren nur am Rande wahrgenommen wird, falls überhaupt. Im Webinar klärt Portfoliomanager Emil Wolter, welche Investitions-Chancen die Schwellenländer außerhalb Chinas bieten. Und wie Comgest die aussichtsreichsten Unternehmen in diesem Markt findet.

Jetzt die Videokonferenz vom 9. Februar 2022 ansehen.


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