Wird der IWF endlich aus Argentinien lernen? | |
12/2019 | |
Stephen Grenville | |
Project Syndicate |
Argentiniens politisch unlösbare Schuldenkrise führt uns mit aller Deutlichkeit vor Augen, dass der Internationale Währungsfonds immer noch nicht weiß, wie er mit der Volatilität internationaler Kapitalströme in Schwellenländer umgehen soll. Außerdem unterstreicht die Krise die Notwendigkeit einer Reform des IWF selbst.
04.12.2019 | 11:50 Uhr
Angesichts der Tatsache, dass es in der Geschichte Argentiniens zahlreiche Zahlungsausfälle gegeben hat, müssen wir mindestens zwei Jahrzehnte zurückgehen, um die aktuelle Situation zu verstehen. Über weite Teile der 1990er-Jahre hatte Argentinien erfolgreich einen festen Wechselkurs eingeführt, den der IWF als sinnvolle Option zur Eindämmung der Inflation betrachtete. Der Ansatz erwies sich als so erfolgreich, dass Argentinien umfangreiche internationale Kapitalzuflüsse anziehen und ein hohes Zahlungsbilanzdefizit finanzieren konnte.
Doch 1998 schien der Wechselkurs vor dem Hintergrund ungünstiger Terms of Trade, eines starken US-Dollars und Kapitalfluss-Krisen in Asien und Russland überbewertet. Es schien, dass dem Wechselkurssystem eine gewisse Flexibilität verliehen werden sollte, doch es war nicht klar, wie dies geschehen sollte. Die Abkehr von einem festen Wechselkurs ist immer ein traumatisches Erlebnis mit klaren Gewinnern und Verlierern.
Unterdessen begegnete der IWF Argentiniens Problemen weiterhin wohlwollend, denn das Land war seinen Empfehlungen gefolgt und hatte Freunde in Washington, D.C. Argentinien genoss den Vertrauensvorschuss und behielt den festen Wechselkurs bei. Der IWF gewährte großzügige Unterstützung und verordnete sein gängiges politisches Rezept: einen radikalen Sparkurs.
Sparmaßnahmen hätten funktionieren können, wenn das einzige Problem vorübergehende Illiquidität gewesen wäre. Aber Argentinien hatte zu viele Kredite aufgenommen, und seine Gläubiger erkannten, dass sein Wechselkurssystem nicht aufrechterhalten werden kann. Im Dezember 2001 stellte der IWF seine Unterstützung widerstrebend ein. Der damalige argentinische Präsident Fernando de la Rúa flüchtete spektakulär per Hubschrauber, als die Wirtschaft ins Chaos stürzte. Angesichts von Bankenschließungen, 20% Arbeitslosigkeit und einem Rückgang des BIP um 28% konnte das Land seine Auslandsschulden nicht mehr bedienen.
Bis 2010 war das Chaos beseitigt und die Umschuldung argentinischer Verbindlichkeiten beendet. Mit dem Amtsantritt eines neuen, marktliberalen Präsidenten, Mauricio Macri, im Jahr 2015 konnte der Kreislauf von vorn beginnen. Dieses Mal hat Argentinien auf Drängen des IWF einen vollständig freien Wechselkurs eingeführt. Da sich die Auslandsverschuldung durch Umschuldungen verringert hatte, floss wieder ausländisches Kapital ins Land. Die Investoren waren bereit, sogar 100-jährige Anleihen eines Landes zu kaufen, das in den letzten 200 Jahren achtmal pleitegegangen ist.
Die Begeisterung der Investoren und die innenpolitischen Flitterwochen dauerten so lange, wie das internationale wirtschaftliche Umfeld unproblematisch war. Als die Zuflüsse 2018 dann ins Stocken gerieten, musste der IWF erneut einspringen und die externe Finanzierungslücke mit einem atemberaubenden 50-Milliarden-Dollar-Kreditprogramm schließen (das später auf 57 Milliarden US-Dollar erhöht wurde). Aber auch hier war das Problem der externen Finanzierung kein vorübergehendes Phänomen, und die argentinischen Wähler begannen bald, gegen die vom IWF geforderten Reformen aufzubegehren. Da sich die Auslandsverschuldung auf über 100 Milliarden Dollar beläuft und ein Großteil des IWF-Geldes bereits ausgezahlt wurde, kündigte Argentinien Ende des vergangenen Monats unilateral eine „Reprofilierung“ der Verbindlichkeiten an.
Für das argentinische Volk ist das eine düstere Nachricht; für den IWF stellt es ein grundlegendes politisches Versagen dar. Es ist nun klar, dass fiskalische Sparmaßnahmen und ein freier Wechselkurs nicht ausreichen, um die Volatilität von Kapitalströmen zu verkraften. Die einzige Frage ist, was als nächstes kommen soll, nicht nur für Argentinien, wo der IWF darum kämpfen wird, sein Kreditprogramm zu retten, sondern für den Fonds selbst.
Erstens muss der IWF bessere Wege finden, um untragbare Verschuldungssituationen von Staaten zu bewältigen. Das Problem einer untragbaren Inlandsverschuldung lässt sich immer durch Umschuldung oder Insolvenz lösen. Aber internationale Verschuldung ist eine andere Sache, und hier lässt die Bilanz des IWF einiges zu wünschen übrig. In der Asienkrise 1998 lehnte der Fonds eine Umschuldung rigoros ab. In der Griechenlandkrise 2010 ermöglichte er es Gläubigern (hauptsächlich ausländischen Banken), sich vor ihrer eigenen Dummheit zu schützen. Und im Falle Argentiniens weigerte sich der IWF, während er selbst ein massives Kreditprogramm gewährte, seinen Einfluss geltend zu machen, damit Geierfonds übergangen werden, die die Umschuldung von 2010 unterlaufen hatten.
Zweitens sollte sich der IWF der Tatsache stellen, dass unbeschränkte internationale Kapitalströme für fragile Schwellenländer zu volatil sind. Nachdem er Kapitalverkehrskontrollen lange abgelehnt hat, hat er sich verspätet – und ohne Begeisterung – für ein „Kapitalflussmanagement“ ausgesprochen, allerdings nur als letztes Mittel, wenn alle anderen Maßnahmen (nämlich schmerzhafte Sparmaßnahmen) ausgeschöpft sind.
Beschränkungen des Kapitalzuflusses sollten nicht im politischen Werkzeugkasten verstauben, sondern in vielen Schwellenländern normal sein. Der IWF sollte seine Unterstützung zum Ausdruck bringen, wenn Länder solche Beschränkungen auf volatile Portfoliozuflüsse anwenden. Schwellenländer sollten keine erheblichen externen Defizite aufweisen, nur weil ausländische Investoren euphorisch sind. Die gleichen Investoren werden massenhaft abwandern, sobald sich die Bedingungen ändern.
Drittens sollte der IWF Interventionen auf dem Devisenmarkt aktiv unterstützen, wenn die Marktvolatilität eindeutig zerstörerische Wirkung entfaltet, anstatt sie nur widerstrebend zu tolerieren. Eine Reihe asiatischer Volkswirtschaften hat die Vorteile einer disziplinierten Marktintervention unter Beweis gestellt. Der Fonds sollte ihre Erfahrungen nutzen, um operative Leitlinien zu entwickeln.
Viertens müssen die Mitgliedstaaten des IWF die interne Steuerung der Organisation überarbeiten. Das Programm für Argentinien ist nur die jüngste in einer Reihe von Entscheidungen, bei denen die politisch motivierten Interessen größerer Mitglieder Vorrang zu haben scheinen, während das schwerfällige Exekutivdirektorium weitgehend ausgeklammert wird.
Argentinien stößt in Washington, D.C. traditionell auf Wohlwollen (etwa im Vergleich zu den asiatischen Krisenländern 1997-98). Die rasche Genehmigung des 50-Milliarden-Dollar-Programms und seine beiläufige Erweiterung auf 57 Milliarden US-Dollar haben den Eindruck verstärkt, dass das Land trotz seiner chronischen Unfähigkeit, mit seinen Schulden umzugehen, eine Sonderbehandlung erfährt.
Wenn die Zeit für eine Obduktion gekommen ist, wird dem Opfer die Schuld zugewiesen. Argentiniens politische Defizite und seine Unzulänglichkeiten im Bereich Governance werden als Beweis angeführt werden, was schief gelaufen ist, und das nicht zu Unrecht. Aber das ist nicht der Punkt. Es ist Aufgabe des IWF, in schwierigen Situationen zu agieren. Um diese wirkungsvoll zu erfüllen, muss er nicht nur die angeschlagene argentinische Wirtschaft reformieren, sondern sich selbst.
Stephen Grenville, ehemaliger stellvertretender Gouverneur der Reserve Bank of Australia, ist Non-Resident Fellow am Lowy Institute in Sydney.
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