Die Lage scheint bei Immobilien nicht länger das einzig entscheidende Thema zu sein: Nachhaltigkeit und Energieeffizienz rücken immer mehr in den Vordergrund. Langfristig könnten diese Punkte für die Wertentwicklung sogar zum entscheidenden Faktor werden
15.11.2022 | 07:30 Uhr von «Gerd Hübner»
Wer nach den größten Klimasündern sucht, landet schnell bei der Gebäudewirtschaft. So entfallen in der Europäischen Union insgesamt 40 Prozent des Energieverbrauchs und 36 Prozent der Treibhausgasemissionen auf Gebäude. Ähnlich sieht es hierzulande aus. Die gute Nachricht lautet zwar, dass die Treibhausgasemissionen im Gebäudesektor nach Angaben der Bundesregierung in Deutschland von 210 Millionen Tonnen im Jahr 1990 auf 120 Millionen Tonnen in 2020 zurückgegangen sind, doch ist damit das Ziel noch nicht erreicht: Bis 2030 soll der Kohlendioxidausstoß auf 67 Millionen Tonnen noch weiter reduziert werden. Bis 2050 muss der Gebäudesektor gar klimaneutral sein. Das Gleiche gilt auf europäischer Ebene, wo im Rahmen des „Green Deal“ ebenfalls bis 2050 Klimaneutralität erreicht werden soll. Und dafür ist die Verbesserung der Energieeffizienz von Gebäuden ein entscheidender Faktor.
Regulatorik treibt Nachhaltigkeit voran
Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber auf Bundes- wie auch auf EU-Ebene zahlreiche Programme und regulatorische Maßnahmen eingeleitet. Dazu zählen das Klimaschutzprogramm 2030 der Bundesregierung oder das „RepowerEU“-Programm, bei dem es nicht nur um den Ausbau der erneuerbaren Energien, sondern auch um Energieeinsparungen und mehr Effizienz geht, was als der schnellste und billigste Weg gilt, um weniger CO₂ auszustoßen. Zugleich sollen private Investorengelder in nachhaltige Projekte umgeleitet werden – das Bewusstsein der Investoren für das Thema Nachhaltigkeit nimmt somit ganz klar endlich zu.
Laut Bloomberg soll das weltweit nach ESG verwaltete Vermögen bis 2025 auf über 53 Billionen Dollar anwachsen – das wäre mehr als ein Drittel des global angelegten Kapitals. Das verwaltete Vermögen betrug 718 Milliarden Euro – 48 Prozent über dem Vorjahr. Und dieser Nachhaltigkeitsboom macht eben auch vor Immobilien nicht halt. Laut BNP Paribas Real Estate erreichte das Investmentvolumen in zertifizierten Green Buildings 2021 hierzulande mit rund 12,4 Milliarden Euro ein Rekordniveau. Gleichzeitig werden Core-Immobilien laut einer Studie der Deutschen Hypo gegenwärtig kaum noch ohne Nachhaltigkeitszertifikat gebaut.
Green Buildings auf dem Vormarsch
Seit 2013 hat sich die Zahl der zertifizierten Gebäude in Deutschland vervierfacht. „Tatsächlich“, folgert Ludger Wibbeke, Geschäftsführer Hansainvest, „sehen sich alle beteiligten Parteien im Immobilienbereich – vom Projektentwickler bis zum Mieter – wachsenden regulatorischen Anforderungen gegenüber.“ Vor allem aber sind es die Investoren, die diese Entwicklung berücksichtigen müssen. „Es ist zu beobachten, dass ESG-spezifische Risiken immer häufiger integraler Bestandteil von Anlagestrategien und im Risikomanagement institutioneller Investoren werden“, hat der Experte beobachtet. Dabei erweist sich der ESG-Fokus gerade im Immobiliensegment seiner Ansicht nach als besonders sinnvoll. „Aufgrund der langen Investitionszyklen in diesem Bereich kann dies langfristige Wertstabilität gewährleisten und Miet- und damit Ertragspotenziale steigern.“
Sind nicht
zertifizierte Gebäude schwieriger zu vermieten? Davon scheinen die
Immobilienfondsmanager hierzulande aus-
zugehen. Laut einer aktuellen Untersuchung des Analysehauses Scope meinen
59 Prozent der befragten Manager, dass sich die Einbeziehung von
ESG-Kriterien auf die künftige Anlageperformance positiv oder sehr positiv
auswirken wird. Kein Wunder also, dass nach Angaben der Fondsanalysten inzwischen
20 von insgesamt 28 untersuchten offenen Immobilienfonds entweder
Artikel-8-Plus- oder Artikel-9-Fonds sind. Das heißt, sie dürfen an Anleger
verkauft werden, die eine nachhaltige Anlage präferieren.
Doch woran orientieren sich nun Investoren, die direkt eine Immobilie erwerben wollen? Wann ist ein Objekt wirklich so nachhaltig aufgestellt, dass es ein möglichst hohes Renditepotenzial hat?
Standards benötigt
Die ESG-Kriterien selbst dürften hier nur bedingt weiterhelfen. „Insgesamt fehlen bei Immobilien derzeit noch einheitliche und branchenweite Standards, wie Nachhaltigkeitsmerkmale zu erfassen und nachzuweisen sind und wie die notwendigen Daten erhoben werden sollen“, macht Wibbeke klar. Zudem müssen die Daten, die für eine ESG-Beurteilung relevant sind, aus vielen unterschiedlichen Quellen zusammengetragen, transparent gemacht und dann für Investoren gut erfassbar aufbereitet werden.
Hinzu kommt, das hier auch soziale und Governance-Aspekte berücksichtigt werden müssen. „Im Bereich Soziales gibt es zwar Indikatoren wie Nutzerkomfort oder die Infrastrukturlage der Immobilien und bei der Governance das CSR-Konzept eines Eigentümers oder die Umsetzung bestimmter Richtlinien, jedoch ist zum Beispiel die Messung sozialer Kriterien beim Mieter nicht mehr ganz so einfach“, sagt der Experte weiter.
Eine bessere erste Orientierungshilfe könnten dagegen die Zertifizierungen bieten. In Deutschland sind mit dem Zertifikat der Deutschen Gesellschaft für nachhaltiges Bauen (DGNB) sowie den amerikanischen und britischen Zertifikaten LEED und BREEAM drei Systeme anerkannt.
Fokus auf Energieeffizienz
DGNB selbst kommt übrigens in einer Analyse zu dem Ergebnis, dass die durchschnittliche Wertsteigerung bei zertifizierten Immobilien – gemessen am Verkaufspreis beziehungsweise den erzielten Mieten – rund sieben Prozent beträgt. Klar scheint dabei zu sein, dass es für die Vermietbarkeit von Gebäuden, die nicht zertifiziert sind, künftig schwieriger wird. Neben einer Zertifizierung scheint aber vor allem die Energieeffizienz eine entscheidende Rolle zu spielen.
Laut dem Bundesverband energieeffiziente Gebäudehülle erzielten Häuser mit hoher Energieeffizienz in den vergangenen zwölf Monaten bis zu 35 Prozent höhere Preise und wurden 67 Prozent stärker nachgefragt als unsanierte Vergleichsobjekte. Dabei ist allerdings bemerkenswert, dass genau bei diesem Thema viele Bestandsgebäude noch hinterherhinken.
„Deutsche Bestandsimmobilien weisen im Durchschnitt den vergleichsweise schlechten Energiekennwert E auf“, informiert Michael Legnaro, Gründer und Geschäftsführer der Agora Group. „Und im Bundesschnitt haben gerade einmal 14 Prozent aller Gebäude Energieausweise mit den positiven Kennwerten A+, A oder B.“
Immobilieninvestoren werden künftig also sehr genau hinsehen, wo sie investieren. Doch dieser größere Aufwand wird sich langfristig definitiv auszahlen.
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