TiAM FundResearch blickt auf die vergangene Woche zurück und gibt einen Ausblick auf die kommenden Tage. Diesmal im Fokus: der G20-Gipfel in Indien.
11.09.2023 | 07:30 Uhr von «Matthias von Arnim»
Am Wochenende haben sich die Staats- und Regierungschefs der G20-Staaten in Neu-Delhi getroffen. Ende der Nachricht. Denn die im Vorfeld mit viel Tamtam groß angekündigte Konferenz hätte man sich auch schenken können. Der G20-Gipfel ist ein Relikt aus einer Zeit, als die führenden Wirtschaftsnationen solche Gelegenheiten genutzt haben, um miteinander zu reden. Über Wirtschaft und Politik, Krieg und Frieden. Und seit einigen Jahren zuweilen auch über die Themen Klima und Umwelt. Am Wochenende in Neu-Delhi ging es vor allem darum, Gespräche und Themen zu vermeiden. Es fing schon damit an, dass Xi Jinping nicht am Treffen teilnahm. Deutlicher konnte der chinesische Alleinherrscher nicht zum Ausdruck bringen, was er von der Veranstaltung hält. Das Signal war unmissverständlich. China hat kein Interesse mehr an internationaler Zusammenarbeit und Austausch auf Augenhöhe. Das Land hat eigene Interessen. Und setzt diese mit aller Gewalt durch. Das ist wörtlich zu nehmen. Statt auf Diplomatie setzt Xi Jinping lieber und immer öfter auf die chinesische Volksarmee. Sei es im indischen Grenzgebiet, im südchinesischen Meer oder vor der Küste Taiwans: China hält sich nicht an internationale Abkommen und diskutiert nicht, sondern macht seine eigenen Regeln. Das bekommt sogar auch Russland zu spüren. Laut der neu aktualisierten chinesischen Standardkarten hat die Volksrepublik mit einem Federstrich rund 100 Quadratkilometer russischen Territoriums annektiert. Die Insel Bolschoi Ussurijski am nordöstlichen Zipfel des Landes heißt jetzt Heixiazi Dao und erscheint laut offizieller Landkarte plötzlich als Teil Chinas. Armes Russland. Wenn Du solche Freunde hast, brauchst Du eigentlich keine Feinde mehr.
China selbst ist nicht mehr auf der Suche nach Freunden. Das Land kämpft mit gewaltigen wirtschaftlichen Problemen. Die Konjunktur lahmt, Bevölkerung, Wirtschaft und Staat sind hoch verschuldet. Wer die Konjunkturdaten studiert, reibt sich die Augen. Was ist nur aus dem einstigen Wirtschaftswunderland geworden? Was ist los im Reich der Mitte? Diese Frage hätten vermutlich etliche Teilnehmer des G-20-Gipfels gerne auch Xi Jinping gestellt. Doch der Mann erklärt sich nicht gerne im offenen Dialog. Er verkündet lieber frei von Kritik und Diskussion seine eigenen Wahrheiten. Wie alle Diktatoren dieser Welt vor und nach ihm. Das ist wohl der Hauptgrund für sein Fernbleiben. Und weil er nicht da war, musste er auch nicht Stellung beziehen zu Fragen des Klimaschutzes. China ist für rund ein Drittel des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich. Ohne die Einbindung Chinas sind internationale Klimaschutzprogramme kaum das Papier wert, auf dem sie stehen. Macht China nicht mit, ist das in etwa so, als ob man die Hauswand dämmt, um Energie zu sparen – und dabei gleichzeitig alle Fenster und Türen offenlässt. In dem Zusammenhang ist es geradezu tragisch, dass Chinas Regierung den Klimaschutz zwar als zentrales Ziel ausgegeben hat – im Moment aber angesichts der Wirtschaftskrise andere Prioritäten setzt. Der Schlachtruf heißt: China first. Das Thema Klimaschutz ist da im Moment gerade nicht so wichtig.
Und so kommt es, dass Neu-Delhi am Wochenende nur die Kulisse für bunte Fotos und leere Phrasen geliefert hat. Sinnbildlich dafür steht die gemeinsame Abschlusserklärung der G20. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine wird dort nicht mehr, wie noch im Vorjahr, explizit verurteilt. Stattdessen wird nur noch auf Resolutionen der Vereinten Nationen verwiesen, die unter anderem Russland und China gar nicht unterschrieben haben. Sogar die russischen Forderungen nach einer Lockerung der Sanktionen sind Teil der Erklärung.
Ach ja, etwas Neues gibt es am Rande des Gipfels doch noch zu vermelden: Die Afrikanische Union (AU) wird Mitglied der G20. Zur Info: Der AU gehören alle international anerkannten afrikanischen Länder sowie das völkerrechtlich umstrittene Land Westsahara an. Insgesamt sind es 55 Staaten. Neben der EU mit ihren 27 Mitgliedern ist die AU jetzt die zweite Staatengemeinschaft, die Teil der G20 ist. Der Gipfel müsste nun eigentlich in G101 umgetauft werden (19 Staaten plus 27 EU-Mitglieder plus 55 afrikanische Staaten). Oder dank der hinzugewonnenen Vielstimmigkeit einfach in Quatsch-Comedy-Club. Oder man löst die Versammlung wegen ihrer spätestens jetzt offensichtlich gewordenen Bedeutungslosigkeit einfach auf und gründet irgendetwas Neues. Zum Beispiel einen Club freier Demokratien. Die Zahl der Mitglieder bliebe jedenfalls überschaubar.
Ende der Nachricht.
Am Dienstag gibt das Handelsministerium der Volksrepublik China die Höhe der ausländischen Direktinvestionen (FDI, Foreign Direct Investment) in China bekannt. Die Zahl umfasst das gesamte Investitionskapital von ausländischen Unternehmen, wirtschaftlichen Organisationen und Einzelpersonen (einschließlich Übersee-Chinesen, Einwohner von Hongkong und Macau sowie chinesische Unternehmen, die im Ausland registriert sind), in chinesische Firmen, Projekte und Ressourcen. Um es kurz zu machen: Die ausländischen Direktinvestitionen sind seit drei Jahren rückläufig. Am Anfang konnte man das noch auf die Corona-Selbstisolierung des Landes zurückführen. Doch mittlerweile hat sich der Trend verfestigt. Ausländische Investoren sind zurückhaltender geworden im Umgang mit China.
Am Mittwoch eröffnet im US-amerikanischen Detroit die North American International Auto Show. Das war einmal eine der bedeutendsten Automobilmessen der Welt. Heute spielt die Musik in Shanghai. Trotz chinesischer Krise. Oder vielleicht sogar deswegen. Die chinesische Automobilindustrie wird bis unter die Achseln vom Staat subventioniert. Insofern wird auch die Messe in Detroit spannend: Wie präsentieren sich die chinesischen Autoriesen dort? Vermutlich nicht bescheiden. Diese Zeiten sind lange vorbei.
Am Donnerstag tagt der EZB-Rat, um die nächste Zinsentscheidung zu fällen. Man hört, dass Frankreich gerne eine Zinserhöhungspause hätte. Oder wenigstens nur eine minimale Erhöhung um 0,25 Prozentpunkte. Na, dann. Im Frankfurter Zins-Turm wurde seit Bestehen der Währungsunion vermutlich noch nie gegen die Interessen Frankreichs entschieden.
Am Freitag eröffnet in der indischen Finanzmetropole Mumbai der Weltgewürzkongress. China stellt nach Sri Lanka die zweitgrößte ausländische Delegation. Im Gegensatz zum G20-Gipfel dürfte hier für jeden Geschmack etwas dabei sein. Und wem die Sache zu fad wird, kann ja noch nachwürzen. Die Veranstaltung dauert bis zum Sonntag.
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