Unterbewertete Börsen verheißen langfristig hohe Gewinne. Viele dieser Regionen lassen sich über ETFs ins Depot holen.
05.04.2019 | 07:10 Uhr von «Christoph Platt und Andreas Hohenadl»
Unerforschte Gebiete sind auf der Erde heutzutage rar. Auf den Landkarten gibt es nur noch wenige weiße Flecken - jedenfalls für Geografen. Für Investoren ist die Situation etwas anders. Sie müssen sich damit zufriedengeben, dass noch nicht alle Gebiete weltweit erschlossen sind.
Wer als Anleger in die Aktienmärkte einzelner Länder investieren will, hat es heute aber deutlich einfacher als vor 20 Jahren. Mit dem Siegeszug passiver Indexfonds wurden zunehmend mehr Regionen erschlossen. Mittlerweile sind nicht nur die großen Märkte wie die USA, Japan oder Deutschland per ETF zugänglich, sondern auch kleinere wie Mexiko, Mazedonien oder Malaysia.
Die Börsen von mehr als 40 Staaten können direkt via Indexfonds angesteuert werden, dazu kommen rund 25 Nationen, die in breiteren Regionen-ETFs enthalten sind. Für einzelne Länderinvestments haben Anleger heute die Wahl aus mehr als 400 passiven Fonds.
Die Vielfalt der Produkte erlaubt es, sehr flexibel zu investieren und zielgenau Märkte anzusteuern. Doch mit einer großen Auswahl gehen auch Probleme einher. Wenn vieles möglich ist, kann die Orientierung schwerfallen. Brasilien oder Bangladesch? Schweiz oder Südafrika? Kroatien oder Kanada? Welche Regionen sind lukrativ?
€uro am Sonntag gibt Ihnen einen Wegweiser an die Hand, welche Länder das Ziel Ihrer Investments sein sollten. Grundlage dieser "Reiseempfehlung" ist die aktuelle Bewertung der Märkte. Börsen, an denen die Anleger bereit sind, viel Geld für die Leistung eines Konzerns zu bezahlen, sind überteuert und deshalb eher zu meiden. Märkte, bei denen Anleger viel für ihr Geld bekommen, sind günstig und ergo zu bevorzugen.
Prinzipiell ist es sinnvoll, sein Kapital breit zu streuen. Nur so lässt sich die Abhängigkeit von einzelnen Investments reduzieren, das Risiko auf viele Schultern verteilen. Trotzdem dürfen Neigungen erkennbar sein, indem ausgewählte Regionen beigemischt werden.
Um die Attraktivität eines Aktienmarkts zu bestimmen, ist der Blick auf seine Bewertung eine gängige Methode. Mehrere Kennzahlen geben darüber Auskunft. Die meisten davon setzen den Kurs einer Aktie in Relation zu den Firmenkennzahlen, etwa zum Gewinn, zum Cashflow oder zum Buchwert. Ein Börsenplatz, dessen Aktien im historischen Vergleich teuer sind, ist infolge dieser Übertreibung risikobehafteter als einer, dessen Aktien im Durchschnitt billig sind.
Die Vermögensverwaltung Star Capital untersucht seit 2003, welche Märkte teuer und welche preiswert sind, um daraus Rückschlüsse auf die künftige Performance zu ziehen. Etliche Bewertungskennzahlen fließen in ihre Analysen ein, doch zwei ragen heraus: das Shiller-Kurs-Gewinn-Verhältnis und das Kurs-Buchwert-Verhältnis.
Die erste Kennziffer ist benannt nach ihrem Erfinder Robert Shiller. Der Nobelpreisträger entwickelte eine Kennzahl, bei der das oft genutzte Verhältnis zwischen Aktienkurs und Unternehmensgewinn (KGV) über einen Zeitraum von zehn Jahren geglättet und inflationsbereinigt wird. So wird vermieden, dass sich kurzfristige Schwankungen beim Gewinn stark auswirken und das Bild von der Bewertung eines Unternehmens verzerren. Die Kennzahl wird auch CAPE genannt, was für cyclically adjusted price-earnings-ratio steht - auf Deutsch: zyklusbereinigtes Kurs-Gewinn-Verhältnis.
Die zweite Kennziffer setzt den Buchwert eines Unternehmens, also das gesamte Firmenvermögen, ins Verhältnis zum Aktienkurs. Eine Firma mit einem Kurs-Buchwert-Verhältnis von eins ist an der Börse genauso teuer wie der Wert aller materiellen und finanziellen Unternehmensgüter. Normalerweise notiert eine Aktie höher als der Buchwert, weil Leistungen erbracht werden, die das Unternehmen wertvoller machen als die Summe seiner Güter.
"Kurs-Buchwert-Verhältnis und CAPE haben sich als diejenigen Indikatoren herauskristallisiert, welche die stärkste Prognosekraft haben", erklärt Norbert Keimling, Chefanalyst von Star Capital. Die Analysen der Vermögensverwaltung zielen vor allem darauf ab, die langfristige Entwicklung ausgewählter Aktienmärkte abschätzen zu können. "Wir prognostizieren anhand der aktuellen Bewertung und der historischen Daten die mittlere jährliche Rendite der kommenden 15 Jahre", erklärt er. Momentan sagt das Modell für diesen Zeitraum für die teuersten Märkte Durchschnittsrenditen von drei bis fünf Prozent voraus, für die günstigsten erwartet es jährliche Zuwächse um mehr als neun Prozent.
Beim Blick auf die 40 wichtigsten Märkte weltweit zeigt sich, dass es zurzeit große Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern gibt. Die Börsen einiger Staaten sind sehr niedrig bewertet, andere sehr hoch. Besonders teuer sind etwa Indien, Dänemark und die USA. Auffallend günstig sind Russland, die Türkei und China. Auf den folgenden Seiten stellt €uro am Sonntag die billigsten Märkte aus verschiedenen Regionen vor und empfiehlt passende ETFs. Zusätzlich erfahren Anleger, wie die bedeutendsten Märkte einer Region einzuschätzen sind.
Außer deutlichen Bewertungsunterschieden offenbart die Analyse noch etwas anderes: "Eine der wichtigsten Erkenntnisse ist, dass wir uns momentan in einem neutralen Umfeld befinden", sagt Keimling. Weder präsentierten sich die Aktienmärkte in ihrer Gesamtheit als überteuert wie 2007 noch als preiswert wie 2009. Eine weltweite Übertreibung ist also nicht zu erkennen.
Die Analysen von Star Capital geben Hinweise, welche Märkte infolge
ihrer Unterbewertung auf lange Sicht wahrscheinlich eine hohe Rendite
abwerfen werden. Zwingend ist diese Entwicklung aber nicht. "Teure
Märkte können weiter steigen, preiswerte sich schwach entwickeln", gibt
Keimling zu bedenken. Die historischen Daten sprächen aber für einen
Zusammenhang zwischen günstiger Bewertung und langfristig guter
Aktienmarktperformance.
In Europa finden sich einige preiswerte Aktienmärkte. Dazu zählen
mehrere ost- und südeuropäische Börsen. Die besten Parameter weist
Ungarn auf. Schnäppchenjäger, die via ETF in die Börse in Budapest
investieren wollen, haben allerdings bei der Produktwahl keine
Alternative: Lediglich ein Indexfonds ist verfügbar. Weil der Markt bei
internationalen Anlegern als relativ unbedeutend gilt, ist der ETF sehr
klein und deshalb nur unter Vorbehalt zu empfehlen.
Auch Polen und Tschechien sind günstig bewertet. Während Polen schon
länger via ETF für deutsche Anleger zugänglich ist, lassen sich
tschechische Aktien erst seit einem Jahr mittels Indexfonds kaufen. Für
Tschechien gilt das Gleiche wie für Ungarn: Der Markt steht kaum im
Rampenlicht, das Volumen des zugehörigen ETFs ist extrem gering. Der ETF
auf polnische Titel hat dagegen ein akzeptables Gewicht.
Um mit einem Produkt gleich in alle drei Länder einzusteigen, empfiehlt sich der Lyxor MSCI Eastern
Europe ex Russia (ISIN: LU 190 006 646 2). Er kombiniert polnische,
ungarische und tschechische Aktien.
Als Anlageregion leichter zugänglich ist Italien. Vier ETFs sind
verfügbar, mit denen sich Titel der Mailänder Börse ins Depot holen
lassen. Ein wenig Mut gehört allerdings dazu, in den Aktienmarkt dort
einzusteigen. Das Land kämpft mit einer hohen Verschuldung und die
heikle Finanzbranche spielt im Leitindex die größte Rolle.
Preiswerte Märkte finden sich auch auf der iberischen Halbinsel. Spanien
und Portugal gehören laut Star-Capital- Analyse zu den zehn günstigsten
Börsen weltweit. In beide Länder können Anleger einzeln via ETF
einsteigen.
Die beiden größten Märkte der Eurozone kommen in der aktuellen
Auswertung des Vermögensverwalters nicht ganz so gut weg. Deutschland
und Frankreich rangieren bewertungstechnisch im Mittelfeld, sind also
weder günstig noch überteuert.
Breit gestreut in Europa einsteigen kann man mit dem Xtrackers Stoxx Europe 600
(ISIN: LU 032 847 579 2). In dem ETF sind die 600 wichtigsten
Unternehmen aus ganz Europa vereint. Aktien aus Großbritannien, das
aktuell eher günstig bewertet ist, haben im Portfolio das größte
Gewicht.
Europa: Die Börsen von mehr als 20 Ländern des
alten Kontinents sind direkt über Indexfonds investierbar, zuvorderst Schwergewichte
wie Deutschland, Frankreich oder Großbritannien. Auch für Schweden gibt es einen ETF; Norwegen, Finnland und Dänemark
sind in einem "Nordic"-Indexfonds
vertreten.
Osteuropa ist ETF-technisch ebenfalls gut erschlossen, jedoch haben die
Produkte auf Länder wie Tschechien oder Ungarn sehr kleine Volumina.
Amerika ist als Investmentregion zweigeteilt. Die geografische Trennung
zwischen den beiden Hälften des Kontinents spiegelt sich auch in der
Börsenwelt wider. Im Norden strahlt der riesige US-Markt, hinzu kommt
Kanada. In Süd- und Mittelamerika findet sich eine Reihe von
Schwellenländern wie Mexiko, Brasilien oder Argentinien. Auffällig ist:
Nur in vier Aktienmärkte lässt sich via ETF direkt investieren.
Anleger, die günstige Märkte bevorzugen wollen, werden diese
Einschränkung verschmerzen können. Denn preiswert ist aktuell keiner der
verfügbaren Märkte. Kanada sowie Brasilien und Mexiko stehen
bewertungstechnisch auf den Plätzen 23 bis 27 der 40 analysierten
Märkte. Sie gelten also nicht als überteuert, sind aber auch keine
Schnäppchen.
Für vergleichsweise attraktiv hält das Star-Capital-Modell gleichwohl
Brasilien - weniger wegen seiner Bewertung als vielmehr wegen des
positiven Momentums, das hier zu erkennen ist: Die Börse in São Paulo
hat momentan einen Lauf. Zum ersten Mal in seiner Geschichte hat der
Leitindex Bovespa in den vergangenen Tagen die Marke von 100.000 Punkten übersprungen.
Ziemlich gut läuft es auch für kanadische Aktien, weshalb Star Capital
das Land trotz relativ hoher Bewertung im Mittelfeld der
Attraktivitätsrangliste einordnet.
Als unattraktiv gelten dagegen Mexiko und die USA. Bei Mexiko macht sich
neben der mittelmäßigen Bewertung negativ bemerkbar, dass es an der
Börse zurzeit nicht rund läuft. Schlechte Aussichten attestiert Star
Capital der US-Börse. Die Vermögensverwaltung hält sie für stark
überteuert. "Zurzeit notiert der US-Aktienmarkt 41 Prozent über seinem
fairen Wert", sagt Keimling. Das Shiller-KGV (CAPE) liegt bei fast 30,
das Kurs-Buchwert-Verhältnis bei 3,3. Das Analysemodell prognostiziert,
dass Anleger dort auf 15 Jahre betrachtet nur mit einer jährlichen
Rendite von 3,1 Prozent rechnen dürfen - der niedrigste Wert aller
beobachteten Märkte.
Eine etwas breitere Aufstellung in Südamerika macht der Amundi MSCI EM
Latin America (ISIN: LU 168 104 502 4) möglich. Er enthält neben
brasilianischen und mexikanischen Aktien auch einige wenige Titel aus
Chile, Kolumbien und Peru.
Nord- /Südamerika: Dominierend in dieser Region sind
aus Anlegersicht zweifellos die USA. Weit über 100 ETFs mit den
unterschiedlichsten Strategien setzen auf die größte Volkswirtschaft der
Welt. Sehr viel übersichtlicher ist das Angebot für den nördlichen
Nachbarn Kanada sowie für Mexiko. In Südamerika können
Anleger mithilfe einiger ETFs direkt auf Brasilien setzen. Das Land ist
auch Schwergewicht in Lateinamerika-ETFs, die zudem in Mexiko, Chile,
Kolumbien und Peru anlegen.
Neben Europa ist Asien zurzeit die Heimat vieler unterbewerteter Länder.
Dort finden sich mit Russland, der Türkei, Südkorea und China die
preisgünstigsten Aktienmärkte weltweit. Die Moskauer Börse ist in Sachen
Bewertung das Maß der Dinge. Das Shiller-KGV liegt bei knapp sieben,
das Kurs-Buchwert-Verhältnis bei weniger als eins. Zur niedrigen
Bewertung kommt eine hohe Dividendenrendite hinzu, die russische Aktien
attraktiv machen: Sie beträgt im Schnitt 6,2 Prozent.
Auch türkische und südkoreanische Titel sind preiswert. Ausgehend vom
aktuellen Bewertungsniveau prognostiziert das Star-Capital-Modell den
Ländern eine jährliche Rendite von zehn bis elf Prozent auf Sicht von 15
Jahren.
Zu den günstigen Märkten gesellen sich in Asien China und Singapur
hinzu. Im Reich der Mitte sind aber nur die Festlandaktien preiswert,
Titel aus Hongkong sind dagegen neutral bewertet. Anleger nutzen zum
Einstieg einen ETF, der auf den CSI 300 setzt. Der Index enthält die 300 wichtigsten Aktien, die an den Börsen in Shanghai und Shenzhen gehandelt werden.
Die größte Industrienation Asiens, Japan, zählt derzeit nicht zu den
günstigen Märkten. Auffällig ist hier, dass die beiden wichtigsten
Indikatoren, CAPE und Kurs-Buchwert-Verhältnis, weit auseinanderklaffen.
"Oft weisen die beiden Kennzahlen in die gleiche Richtung, doch es ist
auch möglich, dass keine Korrelation erkennbar ist", sagt Keimling. Das
Modell errechnet daraus eine mittelmäßige Bewertung für den japanischen
Aktienmarkt.
Ziemlich teuer sind indische Aktien. Die Bewertungen liegen deutlich
über dem historischen Durchschnitt, von ihrem fairen Wert ist die Börse
in Mumbai aktuell 24 Prozent entfernt.
Asien aus einem Guss erhalten Anleger über den Amundi MSCI EM Asia
(ISIN: LU 168 104 448 0). Chinesische Aktien sind hoch gewichtet,
daneben haben Korea, Taiwan und Indien einen signifikanten Anteil am
Portfolio.
Asien: Ähnlich vielfältig wie Europa präsentiert
sich auch Asien für den ETF-Anleger. Angefangen beim
hochindustrialisierten Japan über die aufstrebenden Riesen China und
Indien, die Rohstoffnation Russland bis hin zu den kleinen Tigerstaaten
wie Taiwan und Südkorea. In mehr als 15 Länder Asiens kann man direkt
via Indexfonds anlegen. Dazu kommen noch die Staaten aus dem Nahen Osten
wie Saudi-Arabien oder Katar, die über einen Regionen-ETF investierbar
sind.
In Afrika gibt es noch viele weiße Flecken auf der ETF-Landkarte. In den
meisten Ländern werden keine Aktien gehandelt oder der Markt ist zu
klein, um international
Beachtung zu finden. Einzig die Börse in Johannesburg ist über
Indexfonds direkt zugänglich. Südafrika wird von dem
Star-Capital-Computermodell als neutral eingestuft und ragt derzeit
weder positiv noch negativ in Sachen Bewertung heraus.
Selbst breit streuende Afrika-ETFs bestehen größtenteils aus
südafrikanischen Aktien. Der Xtrackers MSCI
Africa Top 50 (ISIN: LU 059 221 752 4) enthält nur jeweils einen Titel
aus Kenia, Ägypten und Nigeria und zwei aus Marokko. Zusammen haben
diese einen Anteil von 36 Prozent, der Rest des Vermögens ist in
Südafrika angelegt.
Auf der anderen Seite des Indischen Ozeans sind die Industrieländer
Australien und Neuseeland mögliche Anlageziele. Über deutsche Börsen
lässt sich aber nur Australien via ETF ansteuern. Unter
Bewertungsaspekten müssen Investoren über diese Einschränkung nicht
traurig sein. Von den beiden Ländern ist Australien nicht nur der
bedeutendere Aktienmarkt, sondern auch der günstigere. Richtig preiswert
ist die Börse in Down Under aber auch nicht - für Schnäppchenjäger ist
ein Einstieg also kein Muss.
Wer zu Australien noch andere Pazifik-Anrainer beimischen möchte, wird
im iShares Core MSCI Pacific ex Japan (ISIN: IE 00B 52M JY5 0) fündig.
Afrika / Australien: Durch die Anlegerbrille betrachtet, ist Afrika fast ein weißer Fleck auf der Landkarte. Nur in den südafrikanischen Markt lässt sich direkt über ETFs investieren. Breiter gestreute Regionen- oder Frontier-Markets- ETFs geben Zugang zu Ländern wie Kenia, Ägypten oder Nigeria. Gut via Indexfonds investierbar ist dagegen Australien. Weitere Staaten des pazifischen Raums (Neuseeland, Hongkong, Singapur) lassen sich über einen MSCI-Pacific-ex-Japan-ETF abdecken.
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