Pictet AM: Die Alzheimer-Odyssee

Durchbrüche im Kampf gegen die Alzheimer-Krankheit Oktober 2023
Biotech

Die Alzheimer-Krankheit gibt Wissenschaftlern seit Jahrzehnten Rätsel auf. Nun gibt es endlich Anzeichen für Fortschritte bei der Diagnose und Behandlung.

03.11.2023 | 06:28 Uhr

Rund 55 Prozent der weltweit über 50 Millionen Demenzkranken leiden unter der Alzheimer-Krankheit1 – eine Zahl, die mit der Alterung der Bevölkerung weiter steigen wird. Nicht nur die Patienten leiden unter der Krankheit, auch für Millionen Familienangehörige und unbezahlte Pflegende, die im Jahr 2020 15,3 Milliarden Pflegestunden im Wert von 256,7 Mrd. US-Dollar für Menschen mit Alzheimer und Demenz geleistet haben, ist sie eine grosse Bürde.2 Trotz der weiten Verbreitung und der Kosten hat die Pharmaindustrie seit über hundert Jahren keine Fortschritte bei der Behandlung der Erkrankung gemacht, während für andere neurologische Krankheitsbilder Lösungen gefunden wurden.

„Die Neurologie befindet sich mitten in einer Renaissance. Das, was wir bislang für nicht behandelbar hielten, ist jetzt heilbar. Wir haben unglaubliche Fortschritte bei der Behandlung von Multipler Sklerose, Epilepsie und sogar Hirnkrebs erzielt. Aber Alzheimer und neurodegenerative Erkrankungen sind eine besondere Herausforderung, unter anderem aufgrund der Komplexität, die Krankheiten innewohnt, welche erst spät im Leben auftreten“, erklärt Matthew Schrag, Neurowissenschaftler und Arzt an der Vanderbilt University in Nashville, Tennessee.

Doch seit kurzem keimt wieder Hoffnung auf. 2021 erteilte die US-Arzneimittelaufsicht FDA die Zulassung für Aduhelm, das erste neue Alzheimer-Medikament seit 2003. Im September letzten Jahres legte das Pharmaunternehmen Eisai Daten aus klinischen Studien der Phase III vor, die zeigen, dass seine neue Therapie das Fortschreiten der Alzheimer-Krankheit über einen Zeitraum von 18 Monaten um 27 Prozent verlangsamen könnte. Kurz darauf, im Mai 2023, meldete der Rivale Eli Lilly bemerkenswerte positive Ergebnisse aus seiner Phase-III-Studie zu Donanemab – ein Wendepunkt im Kampf gegen die Krankheit, weil das Medikament in der Lage ist, Gedächtnisverlust und die Verschlechterung der kognitiven Leistungsfähigkeit zu verlangsamen.

Alle diese Behandlungen konzentrieren sich auf die Entfernung eines Proteins namens Amyloid aus dem Gehirn.

Amyloid-Plaques und Neurofibrillenbündel, die aus dem Tau-Protein im Gehirn gebildet werden, sind die pathologischen Merkmale der Alzheimer-Krankheit. Sie verhindern, dass die Neuronen richtig miteinander kommunizieren, und setzen eine Kaskade neurodegenerativer Prozesse in Gang, die sich in Symptomen wie der Verschlechterung der kognitiven Fähigkeiten, Gedächtnisverlust, schlechtem Urteilsvermögen und Rückzug aus dem sozialen Leben manifestieren.

Es sind jedoch nicht alle davon überzeugt, dass die Ansammlung von Amyloid im Gehirn wirklich die Krankheit auslöst. Einige Wissenschaftler sind sogar der Meinung, dass dies eine Sackgasse ist und wertvolle Zeit verschwendet und dadurch die Entwicklung alternativer Behandlungen ausgebremst wird.

„Ich glaube nicht, dass wir diese Frage vollständig geklärt haben, aber es ist zumindest ein positiver Schritt, den wir auf diesem Gebiet dringend brauchen“, sagt Erik Musieke, Professor für Neurologie an der Washington University School of Medicine.

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Hype versus Hoffnung

Jüngste klinische Ergebnisse zu Amyloid-Medikamenten klingen von den Prozentzahlen her beeindruckend und die Medien haben sie voller Euphorie als Durchbruch gewertet. Aber der Nutzen war sehr gering, erklärt Dr. Rachael Neve, Director of Gene Technology Core am Massachusetts General Hospital und Neurowissenschaftlerin an der Harvard Medical School. Tatsächlich lag die Verbesserung bei 1/35 bei einem kognitiven 18-Punkte-Test, an dem die Patienten teilnahmen.

Die neuen Therapien haben Nebenwirkungen wie Hirnschwellungen und winzige Hirnblutungen und sind in der Anwendung nicht praktikabel. Sie werden über intravenöse Infusionen anstatt in Tablettenform verabreicht, und es müssen MRTs durchgeführt werden, um zu kontrollieren, ob Gehirnblutungen und andere Nebenwirkungen auftreten. „Das ist nicht ohne: Jeder Patient, der diese Medikamente einnimmt, muss sich laufend teuren Hirnscans unterziehen, um sicherzustellen, dass bei ihm nicht diese potenziell lebensbedrohlichen Nebenwirkungen auftreten. Das ist aus rein finanzieller Sicht nicht nachhaltig“, warnt Neve.

Es müssen nicht unbedingt die Amyloide sein

Während die Debatte über Amyloide weitergeht, gibt es auch an anderer Stelle in der Alzheimer-Forschung Grund zu vorsichtiger Freude.

So wird zum Beispiel die Diagnostik besser. Früher konnte nur post mortem festgestellt werden, ob jemand Demenz hatte. Heute erkennen Biomarker die Krankheit. Veränderungen im Gehirn werden frühzeitig erkannt und die Reaktion auf Medikamente oder Eingriffe kann genau verfolgt werden. In der Diagnostik kamen in der Vergangenheit hauptsächlich Verfahren wie die Lumbalpunktion (auch als Spinalpunktion bezeichnet) zum Einsatz, aber jetzt gibt es auch Bluttests, die viel praktischer in der Anwendung sind.

„Es gibt mittlerweile fantastische Hilfsmittel für Alzheimer, viel mehr als bei jeder anderen neurodegenerativen Erkrankung, denken wir nur an die Biomarker. Wir können die Krankheit schon Jahre im Voraus am biologischen Status erkennen, auch wenn die Leute noch keine Symptome haben“, erklärt Musiek.

Die Forschung schreitet an vielen Flanken voran. Entzündungen, die Rolle der Blutgefässe, oxidativer Stress, synaptische Funktion und Schlaf können alles Hinweise auf eine Krankheit sein, die sich über Jahrzehnte entwickeln kann, ohne dass sie bemerkt wird.

Schrag glaubt, dass die Verbesserung unseres Verständnisses der Stoffwechselprozesse der Schlüssel sein könnte. „Wir haben viele Proteine, die sich im Gehirn ansammeln, aber nicht dorthin gehören. Ich denke, es liegt auf der Hand, dass wir uns die Abfallentsorgungssysteme im Gehirn ansehen müssen, anstatt nur zu versuchen, das Protein rauszubekommen.“

Auch die präventive Forschung nimmt Fahrt auf. Der kleinen Minderheit, die genetisch prädisponiert für diese Krankheit ist, hilft es zwar nicht, aber allein in den USA laufen über hundert Studien zu nicht-pharmakologischen Interventionen wie kognitivem Training, Bewegung und Ernährung und Finanzierung einer Datenbank, die die Gesundheit der amerikanischen Bevölkerung über mehrere Jahrzehnte verfolgt, um mehr über die Krankheit zu erfahren.

Die Alzheimer-Krankheit könnte auch von Verbesserungen bei neurologischen Interventionen im Allgemeinen profitieren. „Wir haben die Möglichkeit, Katheter ins Gehirn einzuführen und Gerinnsel zu entfernen, und durch die KI-Explosion können Dinge viel schneller und zuverlässiger weiterentwickelt werden, denken wir nur an die drastische Verbesserung bei der Chirurgietechnik“, sagt Schrag. Technologische Fortschritte auf dem Gebiet der Neurologie könnten den Menschen helfen, auch mit bestimmten Krankheiten ein gutes Leben zu führen, während die Wissenschaft nach einem Heilmittel sucht.

„Das Wachstumspotenzial ist enorm. Wir müssen die Neurodegeneration einfach in die richtigen Bahnen lenken.“

Einblicke für Investoren

Nach unserem Dafürhalten ist der Fokus auf Gesundheit einer der wichtigsten langfristigen Wachstumstreiber (oder Megatrends). Daher sehen wir eine ganze Bandbreite an thematischen Anlagemöglichkeiten sowohl im Gesundheits- als auch im Biotech-Sektor. Wir sind überzeugt, dass sich Unternehmen, die echten Mehrwert bieten, indem sie durch Prävention, bessere Therapien und besseren Zugang zu Medikamenten unsere Gesundheitsspanne erhöhen, langfristig überdurchschnittlich entwickeln dürften.

Störungen des zentralen Nervensystems sind eine der Prioritäten für die Biotech-Industrie, da sie nicht nur immenses Leiden und Kosten verursachen, sondern voraussichtlich auch mit zunehmender Alterung unserer Gesellschaft zunehmen werden. Die jährlichen globalen Kosten von Demenz liegen aktuell bei über 1,3 Bio. US-Dollar und werden laut Alzheimer’s Disease International bis 2030 voraussichtlich auf 2,8 Bio. US-Dollar ansteigen.

Die neuesten technologischen Entwicklungen – wie zum Beispiel KI – tragen zu Durchbrüchen bei der Diagnostik und Arzneimittelforschung bei. Unsere Gesundheits- und Biotech-Teams verfolgen die neuesten Entwicklungen und halten immer Ausschau nach potenziellen Investmentkandidaten.

[1] Alzheimer’s Disease International
[2] Alzheimer’s Association


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