Pictet AM: Den Code der Natur entschlüsseln

Biotech

Biotech-Innovation hat uns die Gentherapie und MRNA-Impfstoffe gebracht. Dank der Technologie könnte es bald eine weitere Welle von Entdeckungen geben.

10.10.2022 | 07:50 Uhr

Innovationen im Biotech-Sektor sind von lebenden Systemen und Organismen inspiriert. Ziel ist es, neue Produkte zur Förderung der menschlichen Gesundheit und der ökologischen Nachhaltigkeit zu entwickeln. Von der Gentherapie bis hin zu alternativen Proteinen – ein besseres Verständnis der Biologie und die Fähigkeit, sie zu beeinflussen, sind der Schlüssel zur Bewältigung der Herausforderungen des 21. Jahrhunderts.

Analysen akademischer Publikationen und Patente durch Economist Impact belegen eine stetige Zunahme von Biotech-Innovationen seit den 1970er-Jahren. Besonders um die Jahrtausendwende war eine ausgeprägte Beschleunigung festzustellen.

Auch wenn diese Dynamik in den letzten Jahren offensichtlich etwas nachgelassen hat, ebnen Fortschritte im Bereich des Computing den Weg für zukünftige Innovationen, sodass wieder mit einem Anstieg zu rechnen ist.

Die Doppelhelix

Die späten 1960er-Jahre waren eine Blütezeit für die Biotechnologie, nachdem Francis Crick und James Watson Mitte der 1950er-Jahre die DNA-Struktur entdeckt hatten. Dadurch wurde ein Innovationsschub im Bereich der Gencode-Forschung ausgelöst. Zu den wichtigsten Errungenschaften gehört die Polymerase-Kettenreaktion (PCR), die 1985 von Kary Mullis entwickelt wurde und eine kontinuierliche Replikation von DNA-Abschnitten ermöglicht. Mithilfe von Wärme und Enzymen können mit der PCR unbegrenzt Kopien von Genen und Genfragmenten produziert werden, was sich bei der Identifizierung von Bakterien und Viren als äusserst hilfreich erwiesen hat.

In den 1980er-Jahren wurde zum ersten Mal von Gentherapie gesprochen, damals noch ein hypothetisches Konzept, das eine Reparatur fehlerhafter Gene in Aussicht stellte. Gene enthalten die DNA, die die Form und Funktion des Körpers steuert. Es hat Jahrzehnte gedauert, bis dieses Fachgebiet zu wissenschaftlicher Reife gelangt ist – gerade erst kommt die erste Generation von Gentherapien auf den Markt.

In den 1990er-Jahren nahm das Tempo in der landwirtschaftlichen Biotechnologie zu – schädlingsresistente Kulturpflanzen erhielten ihre Zulassung und fanden schnell Verbreitung. Genaugenommen nimmt der Mensch schon seit mehr als 30.000 Jahren genetische Veränderungen an Organismen vor – er züchtete den Hund wegen seiner Folgsamkeit zum Haustier heran und baute selektiv Nutzpflanzen an, um den Ertrag zu steigern. Das erklärt die Existenz unnatürlich grosser Maiskörner, riesiger Brokkoliköpfe und süsser, saftiger Äpfel. In den 1990er-Jahren wurde die Agar-Biotechnologie industrialisiert, nebst umstrittenen Fortschritten bei der Genmodifikation. Mitte der 1990er-Jahre wurde dann zum allerersten Mal ein ausgewachsenes Tier geklont – das Schaf Dolly.

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Innovationsschub um die Jahrtausendwende

Ein besonders starker Innovationsschub für den Sektor, so unser Modell, wurde zu Beginn des neuen Jahrtausends ausgelöst, als die rasanten Fortschritte bei der Gensequenzierung, die durch das 2003 abgeschlossene Human Genom Projekt (HGP) erzielt wurden, den Grundstein für eine biotechnologische Renaissance legten.

Der HGP kartierte und sequenzierte zum ersten Mal menschliche DNA und revolutionierte damit die Forschung auf dem Gebiet der Mikrobiologie, Virologie, Pflanzenbiologie und Krankheitsforschung. Gleichzeitig wurden Software- und Collaboration-Plattformen entwickelt, die die Kosten und die Komplexität der Gensequenzierung reduzierten. Die Kosten für die Erstellung des „ersten Entwurfs“ des menschlichen Genoms lagen bei rund 300 Mio. US-Dollar.1 Heute bekommt man über Plattformen wie 23andMe einen DNA-Test für unter 200 US-Dollar.

Ein tieferes Verständnis der Humangenetik hat Einfluss auf das gesamte Krankheitenspektrum. Die Gentherapie verspricht die Korrektur genetischer Fehler, die schwere und zu Invalidität führende Erkrankungen wie Adrenoleukodystrophie (ALD) und Spinalmuskelatrophie (SMA) verursachen. In der Regel ist dafür eine Handvoll genetischer Fehler verantwortlich, die sich durchaus beheben lassen könnten. CRISPR-Cas9, ein Verfahren, um in das menschliche Genom einzugreifen (Genome Editing), lässt sich bei zystischer Fibrose, Hämophilie und Sichelzellerkrankungen sowie komplexeren Erkrankungen wie Krebs anwenden. Unser Modell fand heraus, dass CRISPR das zweithäufig patentierte Innovationskonzept seit 2000 bis heute ist.

Unser Modell hat auch eine deutliche geografische Verlagerung des Innovationsgeschehens festgestellt: Nordeuropa und die USA waren von den 1960ern bis Mitte der 1990er-Jahre die Hochburgen der Patentinnovation, während Ostasien – insbesondere China und Japan – seit Anfang der 2000er-Jahre seine Schlagzahl deutlich erhöht hat.

Biotech-Boom

Wir dürfen optimistisch in die Zukunft blicken: Es scheint, als stehen wir an der Schwelle zu einer neuen Ära der Biotech-Innovation, was wir dem Zusammenspiel von Hochleistungs-Computing und künstlicher Intelligenz (KI) zu verdanken haben.

DeepMind, ein britisches KI-Unternehmen, das zur Google-Mutter Alphabet gehört, hat kürzlich gemeldet, dass seine Plattform AlphaFold die Struktur von Proteinen vorhersagen kann. Der Prozess, bei dem Proteine aus chemischen Verbindungen in dreidimensionale Strukturen umgewandelt werden, hat Wissenschaftler jahrzehntelang vor ein Rätsel gestellt. Das DeepMind-Modell ist in der Lage, die Form eines Proteins innerhalb weniger Tage – statt wie bisher mehrerer Jahre – zu identifizieren. Fast alle Krankheiten profitieren von einem besseren Verständnis der Funktionen dieser Bausteine des Lebens.

Für Arnaud de la Tour, Mitbegründer und Vice-President von Hello Tomorrow, einem Deep-Tech-Netzwerk für Investoren, Start-ups und Unternehmen, ist AlphaFold ein entscheidender Meilenstein in der „Konvergenz von Biologie mit Robotik und künstlicher Intelligenz“.

„Auch wenn man nicht weiss, wie das mit dem Codieren geht, hat man die Bausteine, um eine App zu entwickeln. Jeder kann ganz leicht einen neuen Hefe- oder Bakterienstamm entwickeln. Das ist auch ein wenig beängstigend, daher muss es Regulierung geben“, sagt er.

Eine zweite entscheidende Veränderung, so de la Tour, ist die Demokratisierung der Biotech-Innovation – durch Fortschritte in den Bereichen Computing, Software und Automatisierung werden Eintrittsbarrieren deutlich reduziert. Das Pariser Unternehmen DNA Script zum Beispiel hat den ersten enzymatischen DNA-Drucker erfunden, mit dem Wissenschaftler bei Bedarf Moleküle oder DNA-Stränge entwickeln können. „Die Biotechnologie ist neben dem Gesundheitssektor zunehmend auch für andere Bereiche wie alternative Proteine und Kleidung relevant. Das ruft Start-ups und Aussenseiter auf den Plan, die in den seltensten Fällen ausreichend Kapital und Zeit haben, um wie in der Humanmedizin ihre Ideen durch klinische Studien verfügbar zu machen“, sagt er.

De la Tour zeichnet Parallelen zwischen ermöglichenden Infrastrukturinnovationen wie DNA Script und der Softwarewelt. „Auch wenn man nicht weiss, wie das mit dem Codieren geht, hat man die Bausteine, um eine App zu entwickeln.“ In ein paar Jahren, so seine Prognose, wird sich die Biotechnologie in die gleiche Richtung bewegen. „Jeder kann ganz leicht einen neuen Hefe- oder Bakterienstamm entwickeln. Das ist auch ein wenig beängstigend, daher muss es Regulierung geben.“

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