Jede Woche veröffentlichen führende Vermögensverwalter weltweit zahlreiche fundierte Einschätzungen zu den Finanz- und Kapitalmarktmärkten. Um einen Überblick zu erhalten, fasst TiAM FundResearch regelmäßig die wichtigsten Aussagen für Sie kompakt zusammen.
04.08.2023 | 12:30 Uhr von «Peter Gewalt»
Diese Woche stellen Finanzmarktexperten die Herabstufung der Bonität und die konjunkturelle Entwicklung der USA in den Mittelpunkt ihrer Analysen.
So ordnet Greg Wilensky, Head of U.S. Fixed Income, Janus Henderson Investors das Downgrade der USA wie folgt ein:
„Unsere wichtigste Erkenntnis ist, dass die Herabstufung durch
Fitch wenig bis gar keinen Einfluss auf unsere konstruktive Haltung gegenüber
hochwertigen Anleihen hat.
Anleger sollten sich nicht auf die Herabstufung des Ratings
konzentrieren, sondern ihre Anlageentscheidungen datenabhängig treffen und
auf die Wirtschaft, die Arbeitsmärkte, die Inflation und die Maßnahmen der
Federal Reserve (Fed) achten.
Infolge der verschärften Kreditbedingungen und des kumulativen
Effekts von 5,25 % Zinserhöhungen erwarten wir, dass sich die US-Wirtschaft in
den kommenden Monaten abschwächen und die Inflation weiter zurückgehen wird.
Unserer Ansicht nach preisen die Risikomärkte eine relativ weiche Landung ein,
während die Laufzeitmärkte das Rezessionsrisiko besser widerspiegeln.
Das schiere Schuldenvolumen von Staaten, Unternehmen und
Privatpersonen bedeutet jedoch, dass die Zinssätze nicht mehr so stark steigen
müssen wie in der Vergangenheit, um die gleiche Wirkung zu erzielen. Wir sind
daher der Meinung, dass der Zinsstraffungszyklus der Fed – d. h. die Anhebung
der Zinssätze zur Abkühlung der Inflation – sich seinem Ende nähert, was sich
positiv auf die Anleihenmärkte auswirkt.
Unter dem Strich bleiben hochwertige Anleihen unserer Meinung
nach für Anleger attraktiv. Kurzfristige Anleihen bieten derzeit höhere Renditen,
da sie enger an die Leitzinsen der Zentralbanken gekoppelt sind. Dieses
Szenario ist für Anleger, die Erträge suchen und ein geringeres Durationsrisiko
bevorzugen, von Vorteil, auch wenn es wahrscheinlich zu einem geringeren
Kapitalzuwachs führen wird, sollten die Zinsen fallen. Der Spielraum für Kapitalgewinne
ist bei Anleihen mit längeren Laufzeiten größer, wenn auch mit einem höheren
Zinsrisiko.
Daher bevorzugen wir weiterhin Renditen am kurzen Ende der
Zinsstrukturkurve, während wir die Duration selektiv erhöhen, um im Falle einer
wirtschaftlichen Abschwächung die dringend benötigten defensiven Merkmale zu
bieten.“
DWS Global Chief Investment Officer Björn Desch meint zur Fitch-Entscheidung:
„Sowohl aus kurzfristiger Marktsicht als auch aus politischer Sicht scheint die Entscheidung, das langfristige Rating der Vereinigten Staaten von "AAA" auf "AA+" herabzustufen, wenig bedeutsam. Zumindest in einer Hinsicht war der Zeitpunkt recht günstig gewählt. Ausgerechnet heute war es beruhigend, von den "außergewöhnlichen Stärken" des Landes zu lesen, die das Fitch-Rating weiterhin stützen: "Mehrere strukturelle Stärken untermauern die Ratings der Vereinigten Staaten. Dazu gehören die große, fortschrittliche, gut diversifizierte und einkommensstarke Wirtschaft, die durch ein dynamisches Geschäftsumfeld unterstützt wird. Entscheidend ist, dass der US-Dollar die wichtigste Reservewährung der Welt ist, was der Regierung eine außerordentliche Finanzierungsflexibilität verleiht.“
[………..]
Abgesehen davon
ist es schwer zu verstehen, warum Fitch Ratings jetzt gehandelt hat und nicht
zu irgendeinem Zeitpunkt vor, während oder unmittelbar nach dem jüngsten Streit
um die Schuldenobergrenze. Oder auch zu vielen anderen Zeitpunkten in den
vergangenen 12 Jahren seit der Herabstufung durch S&P im Jahr 2011. Wir
sind der Meinung, dass zumindest in Bezug auf die von Fitch erwähnte
"Erosion der Regierungsführung" und die "wiederholten
politischen Streitereien um die Schuldenobergrenze und Beschlüsse in
letzter Minute, die das Vertrauen in die Haushaltsführung untergraben
haben", das Schlimmste hinter uns liegen könnte.
Nichts davon
ändert etwas an der Tatsache, dass die derzeitige Fiskalpolitik die USA
auf einen unhaltbaren Pfad führt. Nach Angaben des Congressional Budget Office
wird die Verschuldung der öffentlichen Hand nach derzeitiger Gesetzeslage von
97% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) im Jahr 2022 auf 181% im Jahr 2053 ansteigen.[2] Noch
erschreckender ist, dass der aktuelle Haushaltssaldo (Juni) bei minus 8,5% des
BIP liegt.[3] Dies
ist zum Teil auf verspätete Steuereinnahmen zurückzuführen. Doch selbst die in
letzter Zeit übliche Rate von -5% des BIP hätte in einem anderen Land oder
einer anderen Epoche sicherlich die Alarmglocken schrillen lassen, nicht
zuletzt angesichts einer alternden US-Bevölkerung, die höhere Ausgaben,
insbesondere im Gesundheitswesen, erfordern wird. Noch einmal: Weder die
Blockaden des Kongresses in Bezug auf Gesetzesänderungen bei den Ausgaben für
Sozialleistungen oder bei der Besteuerung noch die Nachteile möglicher
"Alternativen", wie z. B. eine länger anhaltende Inflation, sollten
für die Marktteilnehmer Neuigkeitswert haben.
Auswirkungen auf
die Anlageklassen
In Anbetracht all dessen erwarten wir kaum direkte Auswirkungen auf die Märkte.
Viele institutionellen Anleger haben seit der Herabstufung durch S&P im
Jahr 2011 ihre Mandatsbedingungen anpasst, weshalb wir nun höchstens vereinzelt
mit erzwungenen Verkäufen rechnen würden.[4]
Für Geldmarktfonds im Speziellen hat der US-Finanzmarktregulator (SEC)
US-Staatspapiere als "zulässige Wertpapiere" ohne Bezugnahme auf
Ratings eingestuft.[5] Es
ist auch erwähnenswert, dass die Herabstufung keine Auswirkungen auf andere mit
AAA bewertete Wertpapiere hat, die von US-Einrichtungen ausgegeben werden, d.
h. sie wird sich nicht direkt auf Anleihen auswirken, die von
US-Bundesbehörden (mit Ausnahme des Finanzministeriums), staatlich geförderten
Unternehmen oder US-Kommunen ausgegeben werden. Wir gehen daher davon aus, dass
die Auswirkungen auf die Risikostimmung an den Devisen- und Aktienmärkten
ebenfalls nur von kurzer Dauer sein werden. Langfristig könnte es jedoch zu
geringfügigen Umschichtungen zugunsten von Anleihen anderer Länder kommen, die
noch mit AAA bewertet sind.“.
Erik S. Weisman, Chief Economist und Fixed
Income Portfolio Manager bei MFS Investments, ordnet die ökonomische Situation in den Vereinigten Staaten
wie folgt ein:
„Seit 40 Jahren sind Inflation und Zinsen nicht mehr so stark gestiegen wie
jetzt. Da wundert es nicht, dass Anleger seit einiger Zeit auf die Rezession
warten.
Doch nach den jüngsten Zahlen ist sie zumindest verschoben. Gerade erst wurde
das US-Wachstum im 1. Quartal nach oben korrigiert. Die
Haushaltseinkommen wachsen ordentlich, die Erstanträge auf Arbeitslosengeld
fallen wieder, die Bestellungen langlebiger Güter legen zu. Alles in allem
scheint es den Verbrauchern recht gut zu gehen. Bei diesen Zahlen kann man kaum
glauben, dass wir erst vor wenigen Monaten eine Mini-Bankenkrise überstanden
haben – zumal das Kreditangebot kaum zurückgegangen ist.
Die Frühindikatoren sind aber nicht ganz so gut. Ich halte eine Rezession
daher noch immer für den wahrscheinlichsten Fall. Aber es bleibt unklar, wann
es so weit ist.
Frühindikatoren
verheißen nichts Gutes
Inverse Zinsstrukturkurve: Seit dem Zweiten Weltkrieg war die Steigung
der Zinsstrukturkurve (gemessen an der Differenz zwischen aktuellem und in 18
Monaten erwartetem 3-Monats-Zins) ein perfekter Rezessionsindikator.
Spätfolgen der massiven Zinserhöhungen: Man kann sich kaum vorstellen, dass
Zinserhöhungen der Fed um über 500 Basispunkte zusammen mit der
Bilanzsummenverringerung der Fed und anderer Notenbanken keinen Abschwung
verursachen.
Geldmenge: Die Geldmenge, etwa M2, ist im Vorjahresvergleich gefallen.
Das gab es zuletzt in den 1940ern und 1950ern.
Frühindikatoren: Der Index des Conference Board ist 14 Monate in Folge
gefallen.
Kreditbedingungen der Banken: Die Standards sind sehr viel straffer geworden.
Also, wo ist denn nun die Rezession? Sie steht sicher nicht unmittelbar
bevor. Schließlich braucht es Zeit, bis die Geldpolitik die Realwirtschaft
wirklich beeinflusst. Viele Unternehmen schließen Verträge mit zwölf, 18 oder
24 Monaten Laufzeit. Die Fed kann die Zinsen in dieser Zeit kräftig anheben,
ohne dass es gravierende Folgen hätte. Die vollen Auswirkungen bekommt man
vielleicht erst in zwölf bis 24 Monaten zu spüren. In diesem Zeitfenster
befinden wir uns jetzt.“
Notenbanken
gewinnen Glaubwürdigkeit zurück
Die Notenbanken wissen, dass sie Glaubwürdigkeit verspielt haben. Zu lange
haben sie darauf bestanden, dass die Inflation vorübergehend und nur die Folge
pandemiebedingter Lieferkettenstörungen sei. Ich fürchte daher, dass sie es
jetzt übertreiben und überraschend lange an einer straffen Geldpolitik
festhalten.
So gesehen scheint die anhaltende Stärke des US-Arbeitsmarkts nicht mit dem
Ziel vereinbar, die Inflation wieder einzudämmen. Wenn der Arbeitsmarkt stabil
ist und die Einkommen kräftig steigen, können die Verbraucher mehr Geld
ausgeben. Die Inflation würde dann hoch bleiben – und sich sicher nicht in die
Richtung entwickeln, die die Fed möchte. Der Arbeitsmarkt muss schwächer
werden, damit die Fed ihr Inflationsziel erreicht.
Es bleibt abzuwarten, ob die Fed heute genauso entschlossen ist wie zu Zeiten
des legendären Notenbankchefs Paul Volcker in den 1980ern. Wird sie auch
dann an hohen Leitzinsen festhalten, wenn die Wirtschaft einbricht – weil sie
glaubt, die Inflation nur so eindämmen zu können? Oder wird sie das Gleiche tun
wie in den letzten 30 Jahren, also die Geldpolitik bei den ersten
Schwächezeichen lockern und damit den sogenannten Fed Put noch einmal
verlängern? Das werden wir wohl erst wissen, wenn das Wachstum nachlässt
und sich die Inflation über dem Zielwert verfestigt.
Dann haben die Notenbanken die Wahl zwischen zwei Übeln. Sie können die
Rezession verschärfen, indem sie bei einer restriktiven Geldpolitik bleiben,
oder die Inflation wieder anfachen, indem sie zu früh lockern.
Chris
Iggo, CIO Core Investments, AXA Investment
Managers meint dazu:
„Wenn die US-Wirtschaft einer harten
Landung entgeht, dürften Aktien Anleihen weiter hinter sich lassen. Die
Vergangenheit zeigt uns, dass Aktien meist nur in Rezessionen länger deutlich
hinten liegen, weil die Unternehmensgewinne dann wegen niedrigerer
Umsätze fallen und die Bewertungen zurückgehen. In der Regel senken die
Notenbanken dann massiv die Leitzinsen. Aber wir befinden uns nicht in der
Rezession. Im 2. Quartal ist die US-Wirtschaft überraschend stark gewachsen,
und für 2024 werden steigende Unternehmensgewinne erwartet. Im Juli haben
Aktien zwei bis drei Prozent zugelegt, nach sieben bis neun Prozent
Gesamtertrag im 2. Quartal. Die Credit Spreads sind stabil, die
Anleihenrenditen bewegen sich in einem gut etablierten Korridor. Die Kurse
bilden im Wesentlichen eine weiche Landung ab, und zumindest in den USA könnte
sie den Daten zufolge diesmal besonders weich ausfallen. Wenn die Rezession
noch kommt, kommt sie spät. Auch wenn die Zinsen nicht weiter steigen, könnten
sie noch lange auf dem aktuellen Niveau verbleiben.
Erneutes Leitzinsmaximum: An den Märkten erwartet man keine weiteren Zinserhöhungen
in den USA. Zwar bezeichnete die Fed die letzte Anhebung – auf 5,25 bis 5,50
Prozent – nicht explizit als die letzte, bestand aber darauf, dass alle
weiteren Entscheidungen von den Daten abhingen. Damit bestätigte sie indirekt
die These vom Leitzinsmaximum. Weitere Zinserhöhungen sind also nur dann zu
erwarten, wenn das zuletzt schwächere Wirtschaftswachstum und die niedrigere
Inflation wieder steigen. Vor allem aber spricht nichts dafür, dass die Fed die
vorzeitige Ankündigung von Zinssenkungen für nötig hält. Für 2023 erwartet sie
keine Rezession und sie ist noch immer fest davon überzeugt, dass der
Wirtschaft eine weiche Landung gelingt. Wie ich letzte Woche schrieb,
würde die Wirtschaft dann eine Zeitlang unter dem Trend wachsen, sodass genügend
Reservekapazitäten entstehen, um die Inflation weiter zu drücken. Das
Wirtschaftswachstum von 2,4 Prozent p.a. im 2. Quartal 2023 spricht dafür, dass
das Trendwachstum nach wie vor kaum unterschritten wird. Überraschend stark
waren die Investitionen, was gut für den mittelfristigen Konjunkturausblick
ist. Der Konsum war etwas schwächer, stieg aber ebenfalls.
[……]
Optimistische Aktienmarkterwartungen: Angesichts der Lage am Anleihenmarkt und der in den Zinsen und Spreads enthaltenen Konjunkturerwartungen sollte es nicht überraschen, dass auch die Aktienkurse zu einer weichen Landung passen. In den USA geht man davon aus, dass die Gewinne der S&P-500-Unternehmen 2024 um zwölf Prozent z.Vj. steigen (auf Basis der IBES-Konsensschätzungen), und für den EuroStoxx werden 2024 7,7 Prozent erwartet. Eine Rezession sieht anders aus. In Rezessionen sind die Gewinne bislang meist ebenso gefallen wie die Bewertungen, sodass Aktien hinter Anleihen zurückblieben.
Die aktuellen Kurse und Konjunkturdaten sprechen also für eine weiche Landung. Wenn es dabei bleibt, dürften US-Aktien Anleihen hinter sich lassen; die Anleihenerträge werden dann etwa den aktuellen Renditen entsprechen. Übermäßige Anleihengewinne sind unwahrscheinlich, weil ein deutlicher Renditerückgang nicht wirklich zu erwarten ist. Credits dürften aufgrund ihrer Spreads Staatsanleihen aber hinter sich lassen.
[….]
Asynchrone Konjunktur? Wenn es in Europa zu einer harten und in den USA zu einer weicheren Landung kommt, bedeutet das Mehrertrag für amerikanische Aktien und europäische Anleihen. Außerdem würde der Dollar wieder aufwerten. Das wäre zwar ungewöhnlich, würde aber dazu passen, dass die USA schneller mit dem Inflationsschock fertig werden und die US-Wirtschaft insgesamt stabiler ist. Europa hat die Leitzinsen nicht nur langsamer erhöht, sondern ging dabei auch von einer expansiveren Geldpolitik aus – Stichwort Negativzinsen. Außerdem musste Europa mit Schocks wie der Energiekrise, höheren Staatsausgaben etwa für Verteidigung und der unzureichenden Erholung der chinesischen Nachfrage fertig werden. Sie hat große Auswirkungen auf Sektoren wie Luxusgüter, Automobile und Reisen.
Make America Great Again? Seltener hört man von einem Szenario, in dem die US-Wirtschaft weiter stark wächst, weil künstliche Intelligenz und die Netto-Null hohe Investitionen erfordern, die wiederum Konsum und Unternehmensausgaben beflügeln. Auch das muss nicht preistreibend sein, vor allem wenn der Kapazitätsaufbau Angebotsprobleme löst – durch Digitalisierung, mehr Energieeffizienz und weitere Automatisierung. Für Zinssenkungen wäre dann weniger Raum, und für fallende Langfristrenditen ebenfalls. Die Aktienhausse würde indessen weitergehen. Ein solches Szenario passt durchaus zu zwölf Prozent Gewinnwachstum im nächsten Jahr, und es wäre eine interessante Ausgangsbasis für die Präsidentschaftswahlen im Herbst 2024. Dann wären es nämlich die Demokraten, die Amerika wieder groß gemacht haben. Darüber könnte man in den letzten Sommerwochen einmal nachdenken.
Diesen Beitrag teilen: