Capital Group: Kommentar zur Zinssenkung der Fed

Zentralbank

Die Fed senkt angesichts der niedrigen Inflation erneut die Zinsen. Warum ist sie so gering?

26.09.2019 | 10:44 Uhr

Die Federal Reserve senkte die Zinsen auf ihrer September-Sitzung um 25 Basispunkte – die zweite Senkung in diesem Jahr. Diese lockere Geldpolitik ist zum Teil der niedrigen Inflation zu verdanken. Aber warum ist die Inflation auf so einem niedrigen Stand geblieben – gerade angesichts eines angespannten Arbeitsmarkts?

Die teils strukturellen, teils zyklischen Gründe dürften die Zinsen niedrig halten und die Fed für eine Weile zurückhaltend stimmen.

Wichtige Zentralbanken befürchten, dass diese Faktoren eine anhaltende Desinflation bewirken könnten, insbesondere in Industrieländern. Infolgedessen sind sie bereit, weiterhin mit unkonventioneller Geldpolitik zu experimentieren. Die Fed ist nicht die einzige große Zentralbank, die frühzeitig Maßnahmen ergreift. Die Europäische Zentralbank senkte ihren Einlagensatz im September auf ein Rekordtief von -0,5 % und kündigte Pläne für eine Wiederaufnahme der quantitativen Lockerung an.

Die niedrige Inflation bereitet den Zentralbankern Sorgen, da eine zu niedrige Inflation zu einer Deflation führen kann. Wie Wirtschaftsbücher lehren, ermutigt die Aussicht, dass die Dinge morgen weniger kosten als heute, die Menschen dazu, ihre Käufe hinauszuzögern. Es ist auch weniger wahrscheinlich, dass sie Kredite aufnehmen, da es angesichts der Deflation mit der Zeit schwieriger wird, die Verbindlichkeiten zurückzuzahlen. Wenn genügend Menschen ihre Ausgaben kürzen und Kredite meiden, ist es weniger wahrscheinlich, dass Unternehmen einstellen und investieren.

Ob die Zentralbanken die Inflation näher an den Zielwert bringen können, bleibt abzuwarten. Hier sind die fünf unser Meinung nach wichtigsten Faktoren, die die Inflation niedrig halten.

1. Technologie treibt die branchenübergreifende Desinflation voran.

Durch die Modernisierung und Effizienzsteigerung von Unternehmen können Kosten gesenkt und niedrigere Preise an die Verbraucher weitergegeben werden. Nehmen wir zum Beispiel die Übernahme von Whole Foods durch Amazon. Das erste, was Amazon tat, war, die Preise für Eier, Butter, Käse, Milch und andere Produkte zu senken.

Die Technologie wirkt sich aber auch auf die Preise für komplexere Güter und Dienstleistungen aus. Die Automobilindustrie ist ein deutliches Beispiel dafür. Alte Autos mit Verbrennungsmotor bestanden aus Stahl, Aluminium und anderen Rohstoffen. Jetzt, da Autos zu Computern werden, die autonomes Fahren ermöglichen, werden ganz andere Rohstoffe eingesetzt werden.

Die Rechenleistung ist historisch gesehen desinflationär – wenn nicht geradezu deflationär –, da die Rechenleistung schneller, die Teile besser und die Algorithmen intelligenter werden. Das ist desinflationär. Diese Art des technologischen Wandels wirkt sich auf viele Branchen aus.

2. Die Verbraucher in den USA sparen mehr und geben weniger aus.

Amerikanische Verbraucher verhalten sich anders, als sie es während wirtschaftlichen Expansionen in der Vergangenheit getan haben. Sie sparen mehr und geben weniger aus – ein Verhalten, das Ökonomen als Schuldenabbau bezeichnen. Dies wird durch die Daten unterstützt: Die Verschuldung der privaten Haushalte im Verhältnis zum BIP liegt bei einem Wert von 76, zurückgegangen von fast 100 auf dem Weg in die letzte Rezession.

Um zu verstehen, wie sich dies auf die Inflation auswirkt, sollten Sie den Immobiliensektor in Betracht ziehen – einer der ausschlaggebenden Bereiche, die die Unterkunftskosten bestimmen. Diese Komponente ist die größte im Inflationskorb. Wenn die Amerikaner also nicht zunehmend Kredite aufnehmen, um Eigenheime zu kaufen (und damit die Preise nach oben treiben), wird es für die Inflation schwerer sein, an Fahrt zu gewinnen.

Die Kerninflation – der Meßwert, der die volatilen Bestandteile Nahrungsmittel und Energie außen vor lässt – lag in den letzten 25 Jahren nur für einen einzigen längeren Zeitraum über dem 2 %-Ziel der Fed. Und das war auf dem Höhepunkt der Immobilienblase.

Kerninflation

Quelle: Capital Group

Die Dynamik einer langsamen Erholung, wie wir sie in den USA gesehen haben, spielt ebenfalls eine Rolle. Wäre diese Expansion durch ein stärkeres nachhaltiges Wachstum gekennzeichnet gewesen, wäre auch die Nachfrage gestiegen. Ohne höhere Ausgaben der Verbraucher sind die Preise nicht so gestiegen, wie Sie es im Aufschwung eines Konjunkturzyklus erwarten würden.

3. Steigende Preise für Vermögenswerte haben nicht zu viel höheren Ausgaben geführt.

Die Bemühungen der Fed, die Wirtschaft durch ihre Ankaufsprogramme für Vermögenswerte anzukurbeln, haben sich definitiv auf einige Preise ausgewirkt: Aktien und andere finanzielle Vermögenswerte sind stark gestiegen. Dies ist überproportional wohlhabenden Verbrauchern zugutegekommen, deren Finanzportfolio sich verbessert hat. Es hat aber nicht im großen Maße zu zusätzlichen Ausgaben geführt, da die Verbraucher mit höherem Einkommen einen Großteil ihres Einkommens sparen.

Die quantitative Lockerung hatte einen eher verhaltenen Einfluss auf die Mittelschicht und weniger wohlhabende Bevölkerungsgruppen. Diese geben mit höherer Wahrscheinlichkeit Geld aus, wenn sie das Gefühl haben, wirtschaftlich in einer besseren Lage zu sein. Wenn sich ihre Portemonnaies durch die Anreizprogramme schneller gefüllt hätten, hätten sie vielleicht mehr ausgegeben, aber die quantitative Lockerung erfolgte langsam und schrittweise. Wenn die Fed ihr Programm in Zukunft erneut aufnimmt, könnte dies zu stärkeren Auswirkungen führen.

4. Die Abkühlung der Konjunktur in China hat die Nachfrage nach Metallen und Rohstoffen gedämpft.

Als China 2001 der Welthandelsorganisation beitrat, löste das eine robuste wirtschaftliche Expansion aus. Dies führte dazu, dass die Nation der dominierende globale Treiber für Rohstoff- und Industriepreise wurde.

In den letzten Jahren hat sich das Wachstum Chinas jedoch von zweistelligen Jahresraten auf fast 6 % verlangsamt. Jetzt sind eine Reihe von Schwellen- und Industrieländern über Handelsbeziehungen mit Chinas wirtschaftlichem Erfolg verknüpft. Da die Nachfrage nachlässt, werden die Industrie- und Rohstoffpreise nicht mehr so schnell steigen. Dies dürfte sich auf die Handelspartner auswirken, die Exporte billiger halten und der Inflation weniger Rückenwind verleihen.

Kerninflation 1

Quelle: Capital Group

5. Die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer ist nicht stark genug, um die Löhne drastisch anzukurbeln.

Die Inflation bekam den Einfluss Chinas und anderer Schwellenländer auf andere Weise zu spüren. Diese sich rasch entwickelnden Volkswirtschaften haben Arbeitskräfte auf den Weltmarkt exportiert, was das Lohnwachstum gedämpft und eine breitere Inflation im Keim erstickt hat.

Aber eine Flut von Arbeitskräften aus der ganzen Welt ist nicht die einzige Herausforderung. Die Arbeitslosigkeit sinkt in einem späten Konjunkturzyklus im Allgemeinen auf ein sehr niedriges Niveau, was den Arbeitnehmern eine größere Verhandlungsmacht verleiht und die Löhne steigen lässt. Trotz der extrem niedrigen Arbeitslosigkeit in den USA in den letzten Jahren war das Lohnwachstum jedoch bescheiden.

Dafür gibt es mehrere Gründe. Die zunehmende Arbeitskräftemobilität erfordert nicht mehr, dass Arbeitgeber bei einem Mangel an Arbeitskräften neu eingestellten Mitarbeitern höhere Löhne zu zahlen. Außerdem haben die Arbeitnehmer in den USA weniger Verhandlungsmacht als früher, als die Gewerkschaften eine wichtigere Rolle spielten.

In der Eurozone geben Innungen, Lehr- und Ausbildungsstellen und andere strukturelle Arbeitsmarktmerkmale den Arbeitnehmern in der Regel mehr Einfluss auf die Verhandlungen mit Unternehmen. Diese Merkmale ermöglichen ein stärkeres Lohnwachstum und führen zu einem stärkeren Einfluss der Arbeitsmärkte auf die Inflation. So gibt es auch in Deutschland, das ein schwächeres Wachstum als die USA verzeichnet, eine leicht höhere Inflation. Diese anderen Volkswirtschaften weisen aufgrund einer Art institutionalisierten Lohnwachstums eher ein strukturelles Inflationssystem auf.

Die Technologie wirkt sich auch negativ auf das Lohnwachstum aus. Innovationen wie Roboter und maschinelles Lernen steigern die Produktivität und verdrängen Arbeitnehmer. Dieser Trend wird sich in den nächsten 10 bis 20 Jahren noch verstärken und den Arbeitnehmern noch weniger Verhandlungsmacht lassen. Die Arbeitgeber werden weniger Druck verspüren, die Löhne anzuheben, und die Inflation wird darunter leiden.

Auch wenn die Fed und andere Zentralbanken bei ihren Bemühungen um eine Erhöhung der Inflation weiterhin vor Herausforderungen stehen werden, könnten sich in Zukunft gewisse wirtschaftliche Impulse ändern. Wenn beispielsweise die Verbraucher ihre Ausgaben erhöhen, könnten geldpolitische Anreize größere Auswirkungen haben. Eine neue Geldpolitik könnte eine ähnliche Wirkung zeigen. Die Fed prüft zurzeit eine Option, die als „durchschnittliches Inflationsziel“ bekannt ist. Diese Strategie gibt Anreize dafür, dass die Verbraucherpreise eine Zeit steigen, um damit die Zeit auszugleichen, für die sie unterhalb des Zielwerts gelegen haben. Ziel ist es, über einen Zyklus einen Durchschnitt von 2 % zu erreichen.

Um erfolgreich zu sein, müssten die Zentralbanken das Fortbestehen der tatsächlichen Inflation überwinden. Die jüngsten Erfahrungen haben den Verantwortlichen für die Geldpolitik gezeigt, dass es nicht einfach ist, die Inflation voranzutreiben – und es braucht Zeit, die Erwartungen zu ändern.

Leitzinsen

Quelle: Capital Group

Jared Franz

Wirtschaftswissenschaftler

Jared deckt die USA und Lateinamerika ab. Er verfügt über 13 Jahre Investmenterfahrung, davon vier Jahre bei der Capital Group. Bevor er zu Capital kam, war Jared Leiter des internationalen makroökonomischen Researchs bei Hartford Investment Management Company und ein internationaler und US-amerikanischer Ökonom bei T. Rowe Price. Er hat einen Doktortitel in Wirtschaftswissenschaften von der University of Illinois und einen Bachelor-Abschluss von Northwestern.

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