Die Zahl der großen Pleiten in Deutschland nimmt mit 45 Fällen in den ersten neun Monaten 2023 Kurs auf das Rekord-Niveau von 2020. Zum Vergleich: Im gleichen Zeitraum im Jahr 2022 waren es mit 26 großen Insolvenzen ein gutes Drittel weniger, 2021 waren es gerade mal 17.
27.11.2023 | 10:45 Uhr
Das ist eine Zunahme um 73 % gegenüber dem Vorjahr beziehungsweise 165 % im Vergleich zu 2021. 2020 markierte den höchsten Stand der Insolvenzen seit 2016 mit damals 58 Großinsolvenzen im Gesamtjahr und 44 Fällen im Vergleichszeitraum in den ersten neuen Monaten. Zu diesem Schluss kommt die aktuelle Analyse des weltweit führenden Kreditversicherers Allianz Trade.
Viele Pleiten beim (Mode-)Einzelhandel, bei Krankenhäusern und im Maschinenbau
„Die großen Insolvenzen sind in diesem Jahr zurückgekehrt und nehmen Kurs auf den Höchststand aus 2020“, sagt Maxime Lemerle, Leiter Insolvenzforschung bei Allianz Trade. „Besonders viele große Pleiten gab es im bisherigen Jahresverlauf im (Mode-)Einzelhandel, bei Krankenhäusern und im Maschinenbau.“
Zwei Drittel der deutschen Kliniken in prekärer finanzieller Lage
Am seidenen Faden: Modeunternehmen und Kliniken
Insgesamt zwölf große Textilunternehmen und Modeeinzelhändler schlitterten bis September 2023 in die Insolvenz sowie acht Dienstleistungsunternehmen, darunter sechs Kliniken. Das passt zu dem Lagebild des Deutschen Krankenhausinstituts (DKI), nachdem zwei Drittel der deutschen Kliniken ihre finanzielle Lage aktuell als schlecht oder sehr schlecht bezeichnen, bei den mittelgroßen Kliniken sind dies sogar noch mehr. Im Maschinenbau (5 Fälle) sowie in der Metall- (4) und der Baubranche (3) gab es ebenfalls einige große Pleiten.
Stärkste Zunahme der Pleiten im Handel, Gastgewerbe und Baubranche
Bei den bundesweiten Insolvenzen aller Unternehmensgrößen ist der Trend innerhalb der Branchen sehr heterogen. Im bisherigen Jahresverlauf bis inklusive August 2023 verzeichnete die Baubranche die meisten Insolvenzfälle, gefolgt vom Handel und Unternehmen im Dienstleistungssektor. Der Handel verzeichnete dabei den stärksten Zuwachs bei den Fallzahlen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum, aber auch das Gastgewerbe zeigt schon vor der Mehrwertsteuererhöhung Schwäche. In der Baubranche gab es im bisherigen Jahresverlauf 2023 ebenfalls deutlich mehr Fälle als noch im Vorjahreszeitraum.
Kaufzurückhaltung bei Geschenken, Textilien und Spielwaren
„In diesem Jahr dürften deutlich weniger Geschenke unter dem Weihnachtsbaum landen“, sagt Milo Bogaerts, CEO von Allianz Trade in Deutschland, Österreich und der Schweiz. „Die Lebensmittelpreise sind trotz der geringeren Inflationsrate weiterhin hoch. Verbraucher sparen deshalb bei allen anderen Ausgaben: Sie gehen weniger aus, kaufen weniger Kleidung – und Weihnachtsgeschenke. In dieser Wetterlage weht deshalb für viele Mode- und Elektronik-Einzelhändler, einige Spielwarenhersteller und -händler sowie auch teilweise Gastronomen aktuell ein kalter Herbstwind. Dabei ist gerade für diese Branchen das Weihnachtsgeschäft extrem wichtig, um mit etwas Winterspeck in die umsatzschwache ‚Saure-Gurken-Zeit‘ zu Jahresbeginn zu gehen.“
Gastrobranche durch höhere Mehrwertsteuer besonders gefährdet
In der Gastronomie sind mit der geplanten Erhöhung der bisher reduzierten Mehrwertsteuer weitere dunkle Wolken am Horizont zu sehen, die die Branche vor weitere Herausforderungen stellt.„Viele deutsche Unternehmen sind auch in diesen schwierigen Zeiten gut aufgestellt und haben die notwendigen Puffer – aber eben längst nicht alle“, sagt Bogaerts. „Wenn Wackelkandidaten dann beispielsweise noch Kredite zurückzahlen oder refinanzieren müssen, beispielsweise aus der Corona-Zeit, kann es schnell kippen.“
Bundesweite Insolvenzen: zurück zur Normalität, Vorkrisenniveau wird erst 2024 erreicht
Insolvenzen zurück in der Normalität
Die Insolvenzen in Deutschland verzeichnen 2023 nach Einschätzung von Allianz Trade einen Anstieg von voraussichtlich 22 %. Das ist der stärkste Anstieg seit der europäischen Schuldenkrise – aber von niedrigem Niveau kommend. Damit normalisiert sich das Insolvenzgeschehen weitestgehend. Am Jahresende dürften die Insolvenzen weiterhin rund 5 % unterhalb des Niveaus von vor der Pandemie 2019 liegen und dieses erst nach einem erneuten Zuwachs um 9 % im kommenden Jahr überschreiten. Bei den Großinsolvenzen ist die Normalität allerdings schon wieder Realität.
Deutlich steigende Insolvenzen in wichtigen deutschen Exportmärkten
Auch weltweit nehmen die Pleiten wieder an Fahrt auf mit einem Zuwachs von 6 %. In Ungarn (+149 %), Polen (+68 %) sowie in einigen der wichtigsten deutschen Exportmärkte – in den Niederlanden (+59 %), den USA (+47 %), Frankreich (+36 %) – dürfte es die stärkste Zunahme an Insolvenzen geben. Zu diesem Schluss kommt die aktuelle Insolvenzstudie des weltweit führenden Kreditversicherers Allianz Trade.
Schneeballeffekte möglich
„Das Risiko von Zahlungsausfällen steigt nicht nur in Deutschland, sondern mit den Niederlanden, den USA und Frankreich auch in gleich drei der wichtigsten deutschen Exportmärkte. Deutsche Unternehmen sollten daher gleich doppelt wachsam sein bezüglich drohender Schneeballeffekte und auf Warnsignale bei ihren Abnehmern achten.“ (jk)
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