Interview

„Risiken und Nebenwirkungen der Ampel-Koalition“

Deutschland hat eine neue Regierung, die viele alte Probleme lösen will. Oswald Metzger, erfahrener CDU-Finanz- und Wirtschaftspolitiker und ehemaliges Grünenmitglied, ist skeptisch, ob das gelingen kann.

17.01.2022 | 07:30 Uhr von «Matthias von Arnim»

TiAM FundResearch: Herr Metzger, die neue Regierungskoalition hat sich viel vorgenommen. Mehr Digitalisierung, besserer Klimaschutz, Investitionen in die Infrastruktur – die Liste der Herausforderungen ist lang. Was erwarten Sie von der neuen Regierung?

Oswald Metzger: In der langen Regierungszeit von Angela Merkel wurde Deutschland mehr verwaltet als auf die Zukunft vorbereitet. Eine neue Regierung kann die aufgestauten Probleme jetzt nicht per Dekret lösen. Sie kann nur den gesetzgeberischen Rahmen schaffen, in dem Wirtschaft und Gesellschaft agieren können. Im besten Fall ist dieser Rahmen so großzügig gesteckt, dass sich alle Kräfte so entfalten können, dass die bereits bekannten Probleme gelöst werden. Leider bin ich da nicht besonders zuversichtlich. SPD und Grüne wollen der Wirtschaft eher Fesseln anlegen und sie in manchen Bereichen sogar direkt lenken, anstatt ihr wichtige Handlungsfreiheiten zu gewähren. Ob die FDP als kleinster Koalitionspartner hier korrigierend wirken kann, versehe ich mit einem großen Fragezeichen. Über allem schwebt zudem die Finanzierungsfrage. Die Koalitionäre sagen, sie hätten alle ihre Pläne durchgerechnet. Angesichts der gewaltigen Investitionssummen frage ich mich, welche Variablen sie dabei offengelassen haben.

TiAM FundResearch: Dem Bundeshaushalt sind durch die Schuldenbremse Grenzen gesetzt. Muss die Regierung darauf nicht Rücksicht nehmen?

Oswald Metzger: Die neue Regierung muss formell an der Schuldenbremse festhalten. Sie hat gar keine andere Wahl. Denn die Schuldenbremse ist im Grundgesetz verankert. Wollte die Regierungskoalition das ändern, bräuchte sie im Bundestag eine Zweidrittelmehrheit aller Mitglieder. Diese Mehrheit hat sie aber nicht. Die Koalition wird trotzdem Wege finden, die Verschuldung auszuweiten. Es gibt dafür ausreichend viele Möglichkeiten. Die Anzahl der Schattenhaushalte wird anwachsen. Der liberale Finanzminister Christian Lindner wird noch viel Arbeit bekommen, um die Umgehungstricks der grundgesetzlichen Schuldenbremse zu erklären.

TiAM FundResearch: Schuldenmachen ist so leicht, wie niemals zuvor. Deutschland muss für seine Bundesanleihen nicht einmal Zinsen bezahlen, sondern bekommt von Käufern sogar noch Geld dazu. Wo ist also das Problem?

Oswald Metzger: Das Problem ist, dass die Maastricht-Kriterien, zu deren Einhaltung sich alle EU-Länder einmal verpflichtet haben, weiter geschleift werden. Wenn sogar Deutschland sich nicht mehr daran gebunden fühlt, hat das für ganz Europa Auswirkungen. Gleichzeitig kauft die Europäische Zentralbank weiterhin Anleihen auf. Das Anleiheaufkauf-Programm PEPP soll zwar bald auslaufen. Aber es zeichnet sich schon ab, dass die EZB den Regierungen auch weiterhin unterstützend unter die Arme greifen wird. Wir leben in Zeiten der direkten Staatsfinanzierung durch die Notenbank. Der Trend hin zu einer europäischen Transferunion ist in diesem Zusammenhang mehr als bedenklich. Es steht zu befürchten, dass Deutschland am Ende die Zeche bezahlen wird. Und das wird richtig teuer.

TiAM FundResearch: Die Koalition will nicht für Konsum, sondern vor allem für wichtige, nötige Investitionen neue Schulden aufnehmen. Was ist daran falsch?

Oswald Metzger: Zunächst einmal bleibt das dickste Brett unberührt: die Rente. Das ist keine Investition, sondern Konsum. Schon heute wird die staatliche Rente zu einem Drittel aus Steuermitteln bezahlt. Der Anteil wird steigen. Neu ist zwar die Schaffung eines Fonds, der auch in Wertpapiere investieren darf und damit die Steuerzahler in Zukunft entlasten soll. Doch der Fonds muss erst einmal mit Steuermitteln gefüttert werden. Am Anfang sind es zehn Milliarden Euro. Das ist viel Geld und trotzdem nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Der Bundeszuschuss für die staatliche Rente beträgt derzeit 100 Milliarden Euro jährlich. Das ist dramatisch. Eine Rentenreform haben die Koalitionäre aber leider nicht vorgesehen.

TiAM FundResearch: Was ist mit Investitionen in den Klimaschutz? Das ist ja auch ein wichtiges Thema, das die Wirtschaft sogar stärken könnte.

Oswald Metzger: Vermutlich wird eher das Gegenteil der Fall sein. Das Rückgrat der deutschen Wirtschaft sind die kleineren und mittelgroßen Betriebe, die mittelständischen Unternehmen. Die sind oft hoch innovativ. Die müssten gefördert werden, auch beim Thema Innovationen für mehr Klimaschutz. Doch es ist bereits absehbar, dass der Staat vor allem wieder die großen Firmen subventionieren und mit Steuer- und Investitionshilfen unterstützen wird. Das war in der Vergangenheit schon so und wird sich auch unter der neuen Regierung wohl nicht ändern. Man kann es an den Bilanzen ja ablesen, wie sich beispielsweise die großen Autokonzerne mit Kurzarbeitergeld und Elektromobilitätsprämien saniert haben. Das ist fatal. Eine staatlich gelenkte Marktwirtschaft führt zu Ineffizienzen und nicht zu mehr innerer Stärke. Das ist eine Erkenntnis, die Grüne und SPD nicht in ihren Genen tragen. Deshalb erwarte ich hier keine Fortschritte.

TiAM FundResearch: Deutschland ist in vielen Belangen in den vergangenen Jahren im internationalen Vergleich zurückgefallen. Die Produktivität ist unterdurchschnittlich gewachsen, Investitionen wandern zunehmend ins Ausland. Das sind Trends, die man der neuen Regierung noch nicht anlasten kann. Sollte man nicht die Hoffnung auf eine Trendwende haben?

Oswald Metzger: Die neue Koalition wird von einer Partei angeführt, die schon in der alten Koalition für Vieles verantwortlich war, was schiefgelaufen ist. Dazu gehört beispielsweise das Unterlaufen der stufenweisen Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre durch die abschlagsfreie Rente mit 63. Oder die Absage an eine Koppelung des künftigen Renteneintrittsalters an die steigende Lebenserwartung. Dieser Unsinn wird nahtlos mit der neuen Regierung fortgesetzt. Ein weiteres Beispiel ist die verpfuschte Energiewende. Jetzt sollen Kohlekraftwerke sogar noch früher abgeschaltet werden, obwohl die regenerativen Alternativen noch nicht so weit sind, dass sie die entstehenden Lücken in Dunkelflautephasen bei der Grundlastversorgung füllen könnten. Gleichzeitig bringen wir mit Subventionen mehr Elektroautomobile auf die Straße und fördern elektrische Wärmepumpen bei der Raumheizung. Wir erhöhen damit den Stromverbrauch gewaltig. Erschwerend kommt hinzu, dass dieselbe Klientel, die die grüne Energiewende fordert, den Bau von Stromtrassen und Speicheranlagen behindert. Die Folge: In Zukunft werden wir Atomstrom aus Frankreich importieren, weil wir die verbliebenen Kernkraftwerke in Deutschland Ende 2022 alle abgeschaltet haben werden. Das nenne ich grünes Pharisäertum. Frankreich hat in der EU inzwischen durchgesetzt, dass Kernkraft als nachhaltige grüne Energieform gilt, die förderungswürdig ist. Aber selbst der Weltklimarat der UN hat die Kernkraft schon lange als CO2 neutral eingestuft. Unter dem Strich ist all das keine sinnvolle Zukunftspolitik, sondern einfach nur teuer und kontraproduktiv. Hier stoßen Ideologie und Praxis unvereinbar aufeinander.

TiAM FundResearch: Was wäre die Alternative?

Oswald Metzger: Der Emissionshandel als Mittel zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes wäre ein gangbarer und auch der vergleichsweise günstigste Weg. Die Bereiche Verkehr, Immobilien und Landwirtschaft müssten hier mit einbezogen werden. Das würde wirtschaftliche Anreize schaffen. Das war schon immer das beste Mittel, um Innovationen zu fördern und mit dem geringsten Aufwand die größtmögliche Wirkung für die Klimaneutralität zu erzielen. Deutschland geht mit seinem widersprüchlichen Alleingang in der Energiepolitik genau den umgekehrten Weg.

TiAM FundResearch: Der Emissionshandel funktioniert aber nur dann gut, wenn möglichst viele Länder mitmachen. Wie wollen Sie so etwas schaffen?

Oswald Metzger: Man müsste in der Tat einen Club der Willigen gründen, der das Konzept mitträgt. Eine einzige Volkswirtschaft kann das nicht stemmen – und es wäre auch wirkungslos. Deutschland allein kann die Welt nicht retten. Vor allem dann nicht, wenn weltweit weiterhin neue Kohlekraftwerke gebaut werden. Internationale Zusammenarbeit ist aber bei diesem Thema grundsätzlich gefragt, egal, welche Lösung man anstrebt.

TiAM FundResearch: Was würden Sie sich für Deutschland in den kommenden Jahren wünschen?

Oswald Metzger: Eine bessere Förderung von Selbständigkeit, Gründergeist und Innovation. Seit einigen Jahren gibt es den bedauerlichen Trend, dass immer mehr junge Menschen den Job in einer staatlichen Verwaltung einer Selbstständigkeit vorziehen. Verwaltung schafft aber kein Wachstum und schon gar keine Innovation. Noch hat Deutschland eine höhere Patentanmeldungsquote als China. Ich würde mir für Deutschland gerne wünschen, dass das so bleibt.

TiAM FundResearch: Herr Metzger, vielen Dank für das Gespräch.


Die interaktiven Videokonferenzen im Überblick:


Dienstag, 01.02.2022

Jupiter AM: Absolute-Return-Anleihenportfolios - Gerüstet für herausfordernde Märkte

Wird die Inflation wieder deutlich anziehen? Die Zentralbanken selbst scheinen sich nicht sicher zu sein. Wie sollen Investoren da erst wissen, wie sie sich verhalten sollen? In diesem Umfeld braucht es einen sehr flexiblen und liquiden Ansatz, um Wertpotenziale an den Anleihenmärkten zu erschließen, zu denen traditionelle Strategien keinen Zugang haben. Huw Davies, Fondsmanager des Jupiter Strategic Absolute Return Bond Fund, wird erläutern, wie sein Team vorgeht, um in allen Phasen des Marktzyklus positive Renditen zu generieren – mit einem Ansatz, der eine dynamische Vermögensaufteilung mit einem umsichtigen Risikomanagement kombiniert.

Jetzt die Videokonferenz vom 1. Februar 2022 ansehen.


Mittwoch, 02.02.2022

Pictet: Nutrition – investieren Sie in die (nachhaltige) Zukunft der Ernährung

Schlechte Ernährung – ob zu wenig oder zu viel – stellt heute eine der wesentlichsten sozialen Belastungen dar. Enorme Investitionen sind nötig, um eine wachsende Weltbevölkerung mit nährstoffreichen, hochwertigen Lebensmitteln zu versorgen und diese effizient und nachhaltig zu transportieren. Walter Liebe zeigt, welche Unternehmen Lösungen zur Verbesserung von Qualität und Nachhaltigkeit der weltweiten Nahrungsmittelversorgung entwickeln. Er nennt Beispiele für Innovationen zur Verbesserung der Produktivität in der Landwirtschaft oder die Steigerung der Effizienz beim Transport von Lebensmitteln. Und er erklärt die Nutrition Strategie von Pictet. 

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Donnerstag, 03.02.2022

bonafide: Einfach Meer

Als einer der führenden globalen Asset Manager widmet sich die Vermögensverwaltung bonafide ganz der blauen Revolution. Das in Liechtenstein beheimatete Unternehmen investiert mit seinem Bonafide Global Fish Fund in nachhaltige Unternehmen entlang der gesamten Wertschöpfungskette des Sektors Fish & Seafood, um zur Ernährung der Welt beizutragen und gleichzeitig attraktive finanzielle Erträge zu erwirtschaften. Geschäftsführer Marco Berweger und Unternehmensgründer Christoph Baldegger schildern im Gespräch, welche Besonderheiten die Fish & Seafood-Branche hat und welche Chancen sich Investoren hier bieten. 

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Dienstag, 08.02.2022

UBS Real Estate: Immobilienanlagen im Zeichen sich verändernder Arbeits- und Lebenswelten

Arbeits- und Lebenswelten verändern sich in Zeiten der Digitalisierung. Die Corona-Pandemie hat in den beiden vergangenen Jahren einen Wandel unserer Arbeitswelt beschleunigt und bestehende Trends verstärkt. Aus den Herausforderungen entstehen nun Chancen, um in zukunftsgerichtete und nachhaltige Immobilienanlagen zu investieren. Alexander Isak erklärt, was zukunftsorientiertes, nachhaltiges Investieren im Bereich von Immobilieninvestments aus Sicht der UBS bedeutet und welche Strategien die Aussicht auf solide Renditen bieten. 

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Mittwoch, 09.02.2022

Comgest: Schwellenländer neu gedacht - ohne China!

China gilt als die Lokomotive der Weltwirtschaft. Insbesondere in Asien gibt das Reich der Mitte mittlerweile den Ton an - wirtschaftlich und politisch. Davon profitieren etliche Schwellenländer. Und manche entwickeln sich besonders erfolgreich im Schatten Chinas - was von vielen Investoren nur am Rande wahrgenommen wird, falls überhaupt. Im Webinar klärt Portfoliomanager Emil Wolter, welche Investitions-Chancen die Schwellenländer außerhalb Chinas bieten. Und wie Comgest die aussichtsreichsten Unternehmen in diesem Markt findet.

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