Scharfe Debatte um die Übernahme von Gerresheimer AG durch Private Equity
17.02.2025 | 11:22 Uhr
Die mögliche Übernahme der Gerresheimer AG durch ein Private-Equity-Unternehmen hat eine kontroverse Diskussion in der Finanzwelt ausgelöst. In einem viel beachteten LinkedIn-Beitrag, der innerhalb kurzer Zeit über 160.000 Impressionen bei fast 100.000 Mitgliedern erreichte, kritisierte Dr. Carl Otto Schill, Geschäftsführer einer unabhängigen Investmentboutique, die Entwicklung scharf. „Es ist erschreckend, mit welcher Geschwindigkeit erstklassige Unternehmen von Private-Equity-Investoren aufgekauft und von der Börse entfernt werden“, schrieb Schill. Besonders kritisch sieht er die niedrigen Übernahmepreise, die „deutlich unter dem von uns errechneten inneren Wert der Unternehmen“ liegen.
Laut Schill könnte dies langfristig den europäischen Kapitalmarkt erheblich schwächen: „Europas Börsen stehen vor einer gefährlichen Austrocknung! Ohne entschlossene politische Maßnahmen, die unsere Kapitalmärkte attraktiver machen und Kapital in europäische Small- und Mid-Caps lenken, droht eine Übernahmewelle durch angloamerikanische Investoren.“ Sein Appell: Die Politik müsse dringend gegensteuern, um den Markt für europäische Investoren attraktiver zu gestalten.
Geteilte Meinungen in der Finanzwelt
Die Reaktionen auf Schills Beitrag waren vielfältig. Neben vielen Likes gab es über 100 Kommentare. Während einige Kapitalmarktteilnehmer seine Bedenken teilen, sehen andere die Entwicklung als normalen Teil des Kapitalmarktes. „Das bedeutet im Umkehrschluss: Die besten Unternehmen sind begehrt – und das ist erst einmal ein positives Zeichen“, kommentierte ein Finanzanalyst.
Andere wiederum kritisieren die Kurzfristigkeit der Übernahmen. „Der Trend ist bedenklich: Die Unternehmen werden meist mit hohem Fremdkapitaleinsatz gekauft, restrukturiert und dann mit hohem Gewinn weiterverkauft – oft auf Kosten langfristiger strategischer Investitionen“, bemerkte ein Asset Manager. Ein weiterer Nutzer fragte provokant: „Wenn die Unternehmen wirklich so unterbewertet sind – warum kaufen dann europäische Investoren nicht selbst mehr Anteile?“
Einige Stimmen warnten zudem vor den volkswirtschaftlichen Folgen: „Mit jeder Übernahme geht nicht nur ein börsennotiertes Unternehmen verloren, sondern auch Wachstumspotenzial für die breite Anlegerschaft“, argumentierte ein Kommentator.
Private Equity verteidigt sich
Auf der anderen Seite verteidigten einige Stimmen das Engagement von Private-Equity-Firmen. „Es ist ein Irrglaube, dass Private Equity nur ausverkauft. Viele Unternehmen profitieren von strategischer Neuausrichtung und zusätzlichem Kapital“, schrieb ein Investor. Ein anderer fügte hinzu: „Die Alternative wäre oft eine schwache Kursentwicklung an der Börse. Private-Equity-Fonds bringen oft Effizienzsteigerungen und langfristiges Wachstum.“
Angesichts der kontroversen Debatte bleibt die Frage, welche politischen Maßnahmen erforderlich wären, um europäische Unternehmen wettbewerbsfähiger zu halten. Schill forderte bereits in früheren Statements eine bessere Förderung von Small- und Mid-Cap-Unternehmen, beispielsweise durch steuerliche Anreize oder eine Reform der Kapitalmarktregulierung. Doch ob die Politik reagiert, bleibt ungewiss.
Die Debatte zeigt einmal mehr, wie tief die Kluft zwischen langfristig orientierten Investoren und kurzfristig agierenden Kapitalmarktakteuren ist – und wie sehr die Zukunft europäischer börsennotierter Unternehmen auf dem Spiel steht.
Besonders betroffen – bei langfristigem Ausblick aber auch kurzfristigen Chancen
Den von Dr. Carl Otto Schill beratenen Investmentfonds Selection Value Partnership, der gezielt in unterbewertete europäische Small- und Mid-Cap-Unternehmen investiert, dürfte es erneut treffen. Gerresheimer ist bereits das dritte Unternehmen im Fondsportfolio innerhalb weniger Monate, das von einer möglichen Übernahme betroffen ist. Während kurzfristig steigende Aktienkurse durch Übernahmeangebote erfreulich sein können, sieht Schill hier einen strukturellen Nachteil für langfristige Investoren: „Wir investieren in Unternehmen mit hohem Wachstumspotenzial und starkem Geschäftsmodell. Wenn diese immer häufiger von der Börse verschwinden, verlieren Investoren die Chance, langfristig an ihrer Wertentwicklung teilzuhaben.“ Der Selection Value Partnership Fonds setzt daher gezielt auf Unternehmen mit solider Kapitalstruktur und nachhaltigem Wachstum, um solchen Risiken entgegenzuwirken. Doch die zunehmenden Übernahmen machen es für Fonds mit langfristigem Fokus zunehmend schwerer, geeignete Investments zu finden, während Private-Equity-Firmen attraktive Unternehmen in Europa gezielt aufkaufen.
Die Gerresheimer AG ist ein international führender Anbieter von Spezialverpackungen und Systemlösungen für die Pharma- und Healthcare-Industrie. Das Unternehmen entwickelt und produziert unter anderem Primärverpackungen aus Glas und Kunststoff für Medikamente, medizinische Geräte sowie Verpackungslösungen für Kosmetikprodukte. Zum Portfolio gehören beispielsweise Injektionsfläschchen, Ampullen, Spritzen, Insulin-Pens und Inhalatoren. Gerresheimer profitiert von langfristigen Trends wie der alternden Bevölkerung, steigenden Gesundheitsausgaben und der wachsenden Nachfrage nach innovativen Verpackungslösungen für biopharmazeutische Produkte. Das Unternehmen verfolgt eine Strategie der Innovationsführerschaft und Effizienzsteigerung, investiert stark in Automatisierung sowie nachhaltige Produktionsprozesse und verfügt über ein global diversifiziertes Fertigungsnetzwerk mit Standorten in Europa, Nordamerika und Asien.
Fonds: Selection Value Partnership – ISIN DE000A14UV29 (I) / DE000A14UV37 (P)
Gesellschaft: Value Partnership Management GmbH
Diesen Beitrag teilen: