Pictet AM: Frischer Wind für Windkraft

Nachhaltigkeit

Warum schwimmende Windkraftanlagen eine Trendwende bei erneuerbaren Energien bewirken könnten.

26.10.2022 | 08:18 Uhr

In der Nordsee, von Schottland bis Norwegen, erzeugen Cluster aus riesigen Windrädern reichlich sauberen Strom für den Nordwesten Europas. In anderen Teilen der Welt gibt es jedoch kaum Offshore-Windkraftanlagen, da die meisten Ozeane zu tief sind und keine Verankerung im Meeresboden möglich ist. Wenn die Windkraftindustrie also global werden will, müssen die Anlagen auf der Meeresoberfläche schwimmen. Fünfzehn Jahre, nachdem ein solcher Windpark als Pilotprojekt vor der Küste Italiens getestet wurde, scheinen Energieunternehmen jetzt endlich bereit zu sein, in diese Technologie zu investieren.

Seit Dänemark 1991 den ersten Offshore-Windpark errichtet hat, hat sich die Entwicklung dieses Bereichs der Renewables-Branche an der geringen Tiefe der Nordsee orientiert. Die Windräder werden an Land gebaut und dann zu ihrem Bestimmungsort geschleppt, wo bis zu 60 Meter lange Stützpfeiler im Meeresboden verankert werden.

Die meisten Meere und Ozeane sind jedoch viel tiefer als 60 Meter. Das bedeutet, dass 80 Prozent der Offshore-Windenergieressourcen laut Wind Europe schlichtweg nicht mit diesen fest verankerten Windkraftanlagen angezapft werden können.1 Offshore-Windkraftanlagen sind ausserhalb Europas kaum verbreitet, und Ende 2017 erzeugten die Anrainerstaaten der Nordsee immer noch 82 Prozent der weltweiten Offshore-Windkapazität.2

Auch im europäischen Kern der Branche ist Offshore-Windenergie teuer. Jede fest verankerte Windkraftanlage muss so konstruiert sein, dass sie den Anforderungen des jeweiligen Meeresbodens gerecht wird. Detaillierte und kostspielige Untersuchungen sind erforderlich, um individuelle Spezifikationen zu entwickeln, und für die komplexe Installation werden Schiffe benötigt, deren Anmietung pro Tag zwischen 350.000 und 500.000 britische Pfund kostet.

„Wenn dann plötzlich drei Tage schlechtes Wetter ist, haben wir eine Million Pfund versenkt“, sagt Steven Jermy, CEO von Celtic Sea Power, einem Offshore-Windkraftunternehmen.

Die Kombination aus kleinem lokalem Markt, hohen Kosten und individualisierten Produkten, die nicht in Serie produziert werden können, machen Offshore-Windkraftanlagen wenig attraktiv.

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Frischer Wind für die Energiezukunft

Ausgehend von den derzeitigen Installationsraten geht der Global Wind Energy Council (GWEC) davon aus, dass die Welt bis 2030 weniger als zwei Drittel der Windenergiekapazität haben wird, die eigentlich erforderlich ist, um einen Temperaturanstieg von mehr als 1,5 °C gegenüber vorindustriellem Niveau zu verhindern – eines der Hauptziele des Intergovernmental Panel on Climate Change.3 Daher ist die Installation zusätzlicher Kapazitäten unerlässlich.

Aktuell werden laut GWEC nur 7 Prozent der weltweiten Windenergiekapazität offshore erzeugt, was zeigt, dass lieber auf die vergleichsweise einfach zu sichernden Onshore-Windräder zurückgegriffen wird. Die Installation von schwimmenden Windrädern auf den Weltmeeren hat das Potenzial, die globale Windkapazität erheblich zu erhöhen.

Die weltweit erste schwimmende Windkraftanlage wurde 2007 vor der Küste Italiens errichtet. Anstatt ein Fundament im Meeresboden zu versenken, wurde sie einfach mit Ankern gesichert. Somit spielt die Beschaffenheit des Meeresbodens keine Rolle und die schwimmenden Windräder könnten in Serie produziert werden.

„Die Oberfläche ist bei jedem Meer gleich“, so Jermy von Celtic Sea Power, das auf die Entwicklung schwimmender Windkraftanlagen spezialisiert ist. „Das bedeutet, wenn die Windenergieanlage ein schwimmendes Fundament hat, kann man es in Serie produzieren, weil es immer gleich ist.“

Die potenzielle Wiederholbarkeit der Produktion von schwimmenden Windkraftanlagen ist seit den 1970er-Jahren theoretisch attraktiv, als die Technologie an der University of Massachusetts, Amherst, erstmals in der Theorie vorgestellt wurde. Es wurden jedoch immer nur kleine Fortschritte erzielt, da die Forscher erst zeigen mussten, dass schwimmende Windräder über viele Jahre starken Wellen standhalten können und sich Investitionen langfristig auszahlen.

Die ersten Windräder vor der Küste Italiens waren als sechsmonatiger Proof of Concept konzipiert, danach wurden sie ausser Betrieb genommen. Das reichte aber der staatlichen norwegischen Ölgesellschaft Equinor, um 2009 mit der Entwicklung von Hywind zu beginnen, dem weltweit ersten kommerziellen schwimmenden Windpark in der Nordsee. Equinor betrieb die Anlage 10 Jahre lang, um zu beweisen, dass schwimmende Windräder eine lange Lebensdauer haben können. Als die Anlage 2019 verkauft wurde, konnten die Investoren auch sehen, dass ein Ausstieg möglich ist.

Seitdem wurden mehrere schwimmende Windkraftanlagen in Europa durch private Investitionen finanziert, darunter ein Projekt vor der Küste Portugals – das erste dieser Art, das nicht in der Nordsee realisiert wird. Internationale Fertigungs- und Energieunternehmen haben begonnen, in die Technologie zu investieren, was die Innovation weiter vorantreibt. Letztes Jahr hat Bechtel, das grösste Bauunternehmen der USA, ein Offshore-Windkraft-Pilotprojekt in Grossbritannien gestartet, und General Motors hat eine Series A-Finanzierungsrunde für das norwegische Start-up Wind Catching Systems angeführt.

Die Innovation von Wind Catching Systems besteht darin, anstelle eines einzigen riesigen Windrades eine grosse Anzahl kleinerer Windräder übereinander anzuordnen. Diese Bauform macht es möglich, dass eine einzige schwimmende Plattform die doppelte Fläche einer herkömmlichen Windkraftanlage überstreichen kann, und die vielen kleinen Windräder erzeugen ein Vielfaches der sonst üblichen Leistung. Die kleinen Windräder können zudem an Ort und Stelle von Wartungsteams repariert werden, d. h. sie müssen nicht an Land geschleppt werden – das senkt die Kosten.

Die Renewables-Sparten von Energieversorgern und Ölkonzernen wollen jetzt auch mitmischen. Im Vereinigten Königreich sicherten sich BP und Royal Dutch Shell bei der jüngsten ScotWind-Auktion das Recht, Windparks vor der schottischen Küste zu errichten. „Nach und nach treten Unternehmen, die sowohl die entsprechenden Bilanzen als auch die Technologien haben, in die Branche ein, und das ist ein gutes Zeichen“, sagt Ole Heggheim, CEO von Wind Catching Systems.

Neue Märkte

Während es bislang nur in Europa kommerzielle schwimmende Windparks gibt, geht es jetzt darum, die Technologie in andere Märkte zu exportieren. 2013 finanzierte das US-Energieministerium die erste Erprobung schwimmender Windkraftanlagen ausserhalb Europas vor der Küste von Maine. Equinor testet gerade einen schwimmenden Windpark vor der Küste Südkoreas, und Celtic Sea Energy sagt, dass das Tiefwasser vor der US-Westküste und um Japan herum mittlerweile unproblematisch für schwimmende Windräder ist.

Auch Wind Catching Systems möchte Märkte ausserhalb Europas erschliessen. „Wenn man ein schwimmendes Fundament hat, ist es viel einfacher, neue Projekte zu bauen, weil man die Windräder überall unabhängig von der Wassertiefe aufstellen kann“, sagt Heggheim von Wind Catching Systems.

Ein Beispiel dafür, wie schnell die Offshore-Windkraftbranche wachsen kann, wenn sich grosse Strommärkte öffnen, ist China: Laut GWEC gingen 2021 80 Prozent der zusätzlichen globalen Kapazität auf China zurück4 und das Land ist jetzt weltweit führend bei der Offshore-Windkapazität, so das World Offshore Wind Forum.5 Bisher hat China nur fest im Meeresboden verankerte Windkraftanlagen in den flachen Gewässern vor seiner Ostküste gebaut, aber mit schwimmenden Windrädern könnte ein viel grösserer Teil seiner Küste genutzt werden.

Eine Expansion ist jedoch weiterhin nicht unproblematisch. Da die Windkraftanlagen weiter draussen im Meer installiert werden können, kann der bis dahin unberührte Lebensraum gestört werden. z. B. wenn sich Fische oder grosse Meeressäugetiere in den Leinen oder Leitungen verfangen. Eine Wartung in der Tiefsee birgt auch Sicherheitsrisiken und könnte sich als kostspielig erweisen, wenn Schiffe wiederholt zu Einsätzen hinausfahren müssen. Die Installation und die Wartung von schwimmenden Windkraftanlagen weit vor der Küste können zudem dadurch erschwert werden, dass infolge des Klimawandels extreme Wetterereignisse zunehmen. So sank vor kurzem vor der chinesischen Provinz Guangdong während eines Taifuns ein Schiff, das eine Offshore-Windkraftanlage installieren sollte.

Ungeachtet dessen fliessen Investitionen in die Forschung und Entwicklung, um diese Hürden zu überwinden. Eine Branche, die jahrzehntelang auf Europa beschränkt war, könnte jetzt die ganze Welt erobern, mit enormen Vorteilen für die Erzeugung erneuerbarer Energien.

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