Capital Group: Ausblick zur Jahresmitte - Erholung in Sicht

Capital Group: Ausblick zur Jahresmitte - Erholung in Sicht
Marktausblick

In den ersten Wochen des Jahres 2020 gab es für die Anleger nur sehr wenige Hinweise auf die beängstigenden Ereignisse, die in diesem höchst ungewöhnlichen Jahr geschehen würden.

23.06.2020 | 08:31 Uhr

Von Rob Lovelace, Joyce Gordon & Jeremy Cunningham


Obwohl sich das globale Wirtschaftswachstum abkühlte, gab es Gründe für vorsichtigen Optimismus. Das war damals. Jetzt ist heute. Innerhalb von drei schwierigen Monaten haben die Coronavirus-bedingten Lockdowns die Weltwirtschaft in den Ruin getrieben. Millionen haben Arbeitslosengeld beantragt. Die COVID-19-Infektionen scheinen vielerorts ihren Höhepunkt erreicht zu haben, das Risiko einer zweiten Ausbruchswelle bleibt jedoch bestehen.

Trotz alledem sind viele Aktien seit Jahresbeginn rückläufig, aber nicht unbedingt zusammengebrochen, da die Anleger optimistisch auf eine mögliche Erholung schauen. Ihre Hoffnungen werden durch die massiven staatlichen Konjunkturmaßnahmen und die extrem niedrigen Zinssätze untermauert. Einige Unternehmen, die offenbar von der Aufforderung an die Menschen, zu Hause zu bleiben, profitierten - darunter E-Commerce-, Video-Streaming- und Lebensmittel-Lieferfirmen - haben angesichts des schlimmsten Markt- und Wirtschaftsumfelds seit der globalen Finanzkrise 2008-09 deutlich zugelegt.

Wie Rob Lovelace, stellvertretender Vorsitzender von Capital Group und Portfoliomanager, in den jüngsten Investorengesprächen feststellte, weist dieser Abschwung einen einzigartigen Aspekt auf: Er wurde von den Regierungen selbst herbeigeführt, als Reaktion auf eine globale Gesundheitskrise. Daher ist es für die Anleger nicht schwer, sich ein Ende dieses Kapitels vorzustellen und sich auf eine Erholungsphase nach COVID zu freuen, die möglicherweise bereits begonnen hat.

„Diesmal ist es anders als bei der Finanzkrise von 2008 - wir können die andere Seite des Tals sehen“, so Lovelace. „Es ist schwer zu sagen, wie breit das Tal ist, aber ich glaube, dass wir in zwei Jahren einen besseren Ort erreichen werden.“

Erholung

Positionierung für eine Markterholung

Baisse-Phasen sind schmerzhaft, daran gibt es keinen Zweifel. Und wenn man sich mitten in einem starken Abschwung befindet, wie wir ihn im März erlebt haben, hat man das Gefühl, dass er nie enden wird. Aber man darf nicht vergessen, dass in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg die Hausse-Phasen weitaus robuster waren als die Baisse-Phasen, und sie haben auch wesentlich länger angehalten.

Während jeder Marktrückgang einzigartig ist, dauerte die durchschnittliche Baisse-Phase in den USA in den letzten 70 Jahren 14 Monate und führte zu einem durchschnittlichen Verlust von 33 %. Im Gegensatz dazu dauerte die durchschnittliche Hausse-Phase 72 Monate - oder mehr als fünfmal so lange - und der durchschnittliche Gewinn betrug über 279 %.

Darüber hinaus waren die Renditen oft direkt nach dem Tiefpunkt des Marktes am höchsten, wie die Anleger beim letzten drastischen Abschwung feststellen konnten. Nach dem Crash von 2008 beendeten die US-Aktien das Jahr 2009 mit einem Gewinn von 23 %. Eine Erholung zu verpassen, kann Sie viel kosten. Daher ist es wichtig, dass Sie in Betracht ziehen, auch in schwierigsten Zeiten investiert zu bleiben.

Markterholung

Die Dividenden und der Abschwung

Ein weiterer wichtiger Unterschied in diesem Abschwung besteht darin, dass sich die Aussichten für einige dividendenausschüttende Aktien dramatisch verändert haben. In früheren Baisse-Phasen haben die Dividendentitel in ihrer Gesamtheit im Allgemeinen dazu beigetragen, ein Polster gegen rasch fallende Aktienkurse zu bilden. Nicht so in diesem Jahr, da viele bisher verlässliche dividendenausschüttende Unternehmen diese Zahlungen aus Gründen der Kapitalerhaltung ausgesetzt oder gekürzt haben.

Anstatt jedoch Einkommensaktien gänzlich zu vermeiden, sollten Anleger stattdessen die fundamentalen Stärken und Schwächen jedes Unternehmens mit Blick auf die künftige Nachhaltigkeit der Dividenden betrachten, bemerkt die Portfoliomanagerin Joyce Gordon.

Tatsächlich haben ausgewählte Unternehmen aus verschiedenen Sektoren – darunter Apple, Costco, Procter & Gamble und UnitedHealth – ihre Dividenden in diesem Jahr sogar erhöht. „Der Schlüssel liegt darin, in diesem Umfeld äußerst selektiv vorzugehen“, so Joyce Gordon. „Nicht alle Dividendenzahler sind gleich. Unternehmen mit hoher Verschuldung und einer sich verschlechternden Kreditprognose sind meiner Meinung nach besonders unattraktiv.“

Dividenden-1

Ein Markt für die Einzeltitelauswahl

Angesichts der dramatischen Veränderung des makroökonomischen Hintergrunds ist die Fundamentaldatenanalyse wichtiger denn je. Attraktive langfristige Chancen finden sich in den USA, Europa, Japan und den Schwellenmärkten, jedoch ist selektives Vorgehen von entscheidender Bedeutung.

US-Aktien: Es hat sich eine große Kluft zwischen Gewinnern und Verlierern aufgetan

Es ist keine Überraschung, dass die Geschäfte in weiten Teilen der Weltwirtschaft schleppend verlaufen sind. Da viele Länder strenge Lockdown-Maßnahmen eingeführt haben, wurden Geschäfte geschlossen und die Verbraucher blieben zu Hause. Laut US-Handelsministerium sind die Einzelhandelsumsätze in den USA im April um beispiellose 16,4 % gefallen.

Aber das ist noch nicht alles. Ein Blick unter die Oberfläche des US-Aktienmarkts offenbart, dass es in dieser Phase eingeschränkter Mobilität eine große Kluft zwischen Gewinnern und Verlierern gegeben hat. Wenig überraschend haben Online-Einzelhändler und Lebensmittelunternehmen ein starkes Umsatzwachstum verzeichnet, da Verbraucher zu Hause aßen und ihre Einkäufe vom Bildschirm aus tätigten. Auch Anbieter von Breitband-Internet, Gesundheits- und Heimwerkermaterialien sowie Bildungsdienstleistungen haben von einer gesunden Nachfrage profitiert. Hingegen sind die Umsätze von Restaurants, Reise- und Freizeitunternehmen sowie Luft- und Raumfahrtunternehmen stark eingebrochen.

Europäische Aktien: Europa sieht sich mit schwierigen Rahmenbedingungen konfrontiert

Die Wirtschaftsdaten haben das Ausmaß des Schocks bestätigt, den die zur Eindämmung des Coronavirus verhängten Lockdowns verursacht haben. Eurostat meldete, dass das reale BIP der Eurozone im ersten Quartal um 3,8 % gesunken ist, wobei Frankreich, Italien und Spanien besonders schwach waren. Die PMI-Indizes für das verarbeitende Gewerbe und den Dienstleistungssektor brachen im April ein und konnten sich im Mai nur geringfügig erholen. Die Produktionstätigkeit ist nun so schwach wie nach der globalen Finanzkrise. Die Geschäftstätigkeit im Dienstleistungssektor ist auf historische Tiefstände gefallen, was bedeutet, dass das BIP im zweiten Quartal um 10-20 % fallen könnte.

Trotz dieses schwierigen Umfelds ist es möglich, unter den in Europa notierten Aktien einige interessante längerfristige Anlagemöglichkeiten zu finden. Europäische Aktien erscheinen im Vergleich zu anderen Märkten preiswert. Darüber hinaus sind diese Unternehmen nicht nur auf die Gesundheit der einheimischen europäischen Wirtschaft angewiesen, viele von ihnen haben globale Geschäfte und diversifizierte Einnahmequellen.

Japan: Entscheidend ist die Fundamentaldatenanalyse

Viele japanische Unternehmen haben heute weltweit wettbewerbsfähige Betriebe, wobei einige in Bereichen wie Automatisierung, Mechatronik und Präzisionsfertigung führend sind. Die zunehmende Leistungsfähigkeit des Landes, insbesondere im Bereich der Automatisierungstechnologien, wurde durch die akute Notwendigkeit angetrieben, die negativen Auswirkungen einer schrumpfenden und alternden Bevölkerung zu bekämpfen.

In jüngster Zeit hat sich der Fokus auf die Unternehmen gerichtet, die für die Zukunft gut positioniert sind, da sich Japan und die Welt an eine neue Normalität anpassen – ein Umfeld, das von einem veränderten Handelsgefüge geprägt ist, ausgelöst durch disruptive Technologien und ein verändertes Verbraucherverhalten, das sich durch die COVID-19-Pandemie entwickelt hat. Der plötzliche Anstieg des Bedarfs für ortsungebundene Arbeit und Telearbeit führte zu einer starken Nachfrage nach Netzwerkdiensten, Personalcomputern, Tablets, Software und Cloud-Diensten. Japan bietet wettbewerbsfähige Unternehmen in allen diesen Bereichen.

Über das richtige Unternehmen oder Produkt, die richtige Dienstleistung oder Technologie zu verfügen, ist jedoch nur ein Teil der Gleichung. Viele japanische Unternehmen sind dabei, als Reaktion auf den 2015 von der Regierung eingeführten Unternehmensführungskodex den Standard ihrer Corporate Governance aktiv zu verbessern. Zwar wird es einige Zeit dauern, bis die Unternehmen in Japan die Vorteile einer guten Unternehmensführung vollständig zu schätzen wissen und davon profitieren können, doch viele bewegen sich durch Dividendenerhöhungen, Aktienrückkäufe und ein besseres Bilanzmanagement in die richtige Richtung.

Schwellenmärkte: Wichtigster Antriebsfaktor für die Schwellenmarktrenditen sind die Fundamentaldaten

In den letzten 10 Jahren machten Aktien aus Schwellenländern 49 % der 50 größten Aktien im MSCI ACWI aus. Über fünf Jahre betrachtet erhöht sich diese Zahl auf 62 %. Während also die entwickelten Märkte auf vermögensgewichteter Basis höhere Renditen erzielt haben mögen, haben sich die Schwellenländer auf Basis der einzelnen Unternehmen als profitabler erwiesen.

Top-Aktien

Die Rolle der Fundamentaldaten, die fast zwei Drittel der Gesamtrenditen der Schwellenländer ausmachen, trägt zum Aufschwung einiger Schwellenmarktaktien bei. Dies bedeutet, dass Schwellenmarktunternehmen weniger stark von den makroökonomischen Rahmendaten abhängig sind und von langfristigen Wachstumstrends wie dem wachsenden Wohlstand der Mittelschicht, schnellerer Digitalisierung und höherem Verbrauch im Gesundheitswesen profitieren können. Dies könnte im gegenwärtigen Umfeld, in dem die wirtschaftliche Unsicherheit zugenommen hat, besonders überzeugend sein.

Anleihen international: Längerfristig niedrige Zinsen…noch immer

Die Anleihenmärkte haben sich nach dem extremen Schock an den Märkten im März stabilisiert, da Regierungen und Zentralbanken eingriffen, um die finanziellen und Marktspannungen zu lindern. Ihre Reaktionen erfolgten im Vergleich zu früheren Krisen wie der globalen Finanzkrise relativ schnell und umfangreich. Dies hat bisher dazu beigetragen, durch Zinssenkungen, Anleihenkäufe, Kreditprogramme und die Bereitstellung von Liquidität einen noch größeren wirtschaftlichen Niedergang zu verhindern. Der vorübergehende Shutdown der Weltwirtschaft ist jedoch ein einzigartiges Ereignis. Der Weg zur wirtschaftlichen Erholung wird lang sein und in Jahren, nicht in Quartalen gemessen werden.

Mit dem Eintritt in diese neue Realität wird deutlich, dass das in den letzten Jahren vorherrschende Niedrigzinsumfeld wahrscheinlich zumindest mittelfristig bestehen bleiben wird. Die Zentralbanken werden sich wahrscheinlich für eine konservative und entgegenkommende Haltung entscheiden. Zum Beispiel preist der Fed Funds Futures Markt, der die Erwartungen der Marktteilnehmer hinsichtlich der Entwicklung der Zinssätze repräsentiert, bis weit in die 2023er Jahre einen US-Leitzins von 0-0,25 % ein. Es ist zu erwarten, dass die Bilanzen der Europäischen Zentralbank (EZB), der Bank of Japan (BoJ) und der US-Notenbank (Fed) zusammen einen Wert von 20-25 Billionen US-Dollar erreichen werden. Es wird wahrscheinlich auch viele weitere Ankündigungen von Konjunkturprogrammen und Verlängerungen auslaufender Programme geben.

Renditen-1

Während Zentralbanken dazu beitragen können, die Liquidität von Unternehmen zu sichern, die ohne den Konjunkturabschwung zahlungsfähig gewesen wären, würden wir erwarten, dass die Unternehmensgewinne sinken und die Zahlungsausfälle steigen. Vor diesem Hintergrund halten wir es für unerlässlich, einen diversifizierten Ansatz mit einem starken Fokus auf aktiver Fundamentaldatenanalyse beizubehalten.

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