TiAM FundResearch blickt auf die Woche zurück und gibt einen Ausblick auf die kommenden Tage. Diesmal im Fokus: ein Blick über den großen Teich – nach Argentinien.
01.09.2025 | 07:15 Uhr von «Matthias von Arnim»
Rückblick auf die vergangene Woche
Argentiniens Präsident Javier Milei ist am vergangenen Mittwoch mit Steinen beworfen worden. Milei stand auf einem Pick-up, der langsam durch die Menschenmenge fuhr. Der Präsident ist derzeit auf Wahlkampftour. In der Provinz Buenos Aires wird kommenden Sonntag ein neues Parlament gewählt. Rund 38 Prozent aller Argentinier wohnen hier. Die Provinz ist also nicht ganz unwichtig für Mileis weitere Regierungszeit. Deshalb wirbt der Präsident für sich und seine Partei auch in Gegenden, die nicht als die allerbesten gelten. Lomas de Zamora, wo die Steine flogen, ist so ein Ort. Am Rande der Hauptstadt Buenos Aires gelegen, wohnen hier viele, die von Mileis Regierung enttäuscht sind. Oder glauben, enttäuscht sein zu müssen. Denn es gibt zwei Wahrheiten im Land der Steaks und des Tangos.
Die eine Wahrheit lautet: Milei ist kein feinfühliger Romantiker. Sein Fetisch ist die Kettensäge. Sein Credo lautet: Weniger Staat bedeutet mehr Wirtschaftswachstum. Also hat der Präsident stante pede kurz nach seinem Amtsantritt begonnen, Staatsbedienstete vor die Tür zu setzen sowie viele Gesetze und Sozialleistungen zu streichen. Das tat vielen Staatsbediensteten und Empfängern staatlicher Unterstützungszahlungen weh. Unter ihnen waren viele, die Milei gewählt hatten und nun enttäuscht sind.
Die andere Wahrheit lautet: Es gab für viele Argentinier einen Grund, Xavier Milei zu wählen – nämlich die Zustände zum Zeitpunkt der Wahl. Argentinien ist seit der Jahrtausendwende de facto pleite. Seit der Abwahl Carlos Menems hat es kein Präsident mehr geschafft, Argentiniens Volkswirtschaft auf solide Beine oder gar auf einen Wachstumskurs zu bringen. Stattdessen wuchsen nur die Schulden, die Korruption und das Ausmaß der Wahlgeschenke in Form von steigenden Sozialleistungen und Subventionen für die Agrarwirtschaft. Die Inflation betrug vor zwei Jahren annähernd 211 Prozent. Der argentinische Peso befand sich im freien Flug. Weder Staat noch Unternehmen waren deshalb international hoffähig. Argentinische Anleihen galten als brandheiße Kartoffeln, an denen sich nur Hasardeure die Finger verbrennen wollten. Teil Zwei dieser anderen Wahrheit lautet: argentinische Anleihen sind wieder begehrt. Eindrückliches Beispiel: Eine Argentinien-Anleihe mit einem Zinssatz von gerade einmal 0,5 Prozent und einer Laufzeit bis Juli 2029 ist allein in den vergangenen Monaten um rund 49 Prozent im Wert gestiegen. Selbst unter der Berücksichtigung, dass der Peso gegenüber dem Euro in dieser Zeit rund 33 Prozent an Wert verloren hat, war der Kauf der Anleihe für ausländische Investoren bis jetzt kein schlechtes Geschäft.
Wie kann es sein, dass so viel Anlegervertrauen in den Pampastaat zurückgekehrt ist? Nun, seit seinem Amtsantritt im Dezember 2023 hat Präsident Javier Milei Argentiniens Wirtschaft mit radikalen Reformen umgekrempelt. Er hat die Ausgaben reduziert, die Wirtschaft dereguliert und die Bekämpfung der Hyperinflation zum obersten Ziel erklärt. Mit Erfolg: Heute steigen die Preise monatlich noch etwa um zwei bis drei Prozent. Das ist immer noch viel, aber nicht mehr zu vergleichen mit den dreistelligen Inflationsraten vor Mileis Amtsantritt. Dessen Austeritätspolitik greift erstaunlich schnell. Bereits seit dem dritten Quartal 2024 wächst Argentiniens Wirtschaft wieder. Im ersten Quartal betrug das Wachstum 5,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Allein im Mai lag das Wachstum bei fünf Prozent. Zudem profitiert das Land von einem starken Anstieg an M&A-Aktivitäten. Im vergangenen Jahr sind Deals mit einem Umfang von rund acht Milliarden US-Dollar abgewickelt worden. Und sogar die sozial Schwachen profitieren wieder. Die Armut hat sich unabhängigen Quellen zufolge seit Anfang 2024 bis heute halbiert. Der Arbeitsmarkt ist immer noch angespannt – was aber vor allem an den vielen ehemaligen Staatsbediensteten liegt, die sich schwer damit tun, in den boomenden neuen Branchen Arbeitgeber zu finden. Dabei suchen die Unternehmen in den Bereichen Technik, Medizin sowie der Dienstleistungssektor mit IT, Finanzen und Software händeringend nach Fachkräften.
Fazit: Xavier Milei wird hierzulande immer noch gern als der Verrückte mit der Kettensäge gesehen. Ein Möchtegern-Diktator ohne soziales Herz. Doch Milei hat im Gegensatz zu Machtpolitikern wie etwa Viktor Orban, Donald Trump oder dem ehemaligen brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro bisher keine Anstalten gezeigt, die Demokratie in seinem Land zu beschädigen. Stattdessen hat er seine Kettensäge genau angesetzt, wo es nötig war. Ob das Volk es ihm dankt, wird sich nun zunächst bei der Parlamentswahl der größten Provinz und bei den folgenden Legislativwahlen am 26. Oktober zeigen. Einer Steinigung ist Milei in der vergangenen Woche zum Glück noch entgangen. Er blieb unverletzt. Aber die Vorkommnisse lassen erahnen, warum deutsche Politiker radikale Reformen scheuen und dafür lieber Xavier Milei verteufeln.
Interessante Termine in den kommenden TagenAm Dienstag findet im Alten Rathaus in Hannover die Netzwerkveranstaltung «Horizons by heise» statt. Der Kongress versteht sich als „Plattform für Gestalter des digitalen Wandels in Unternehmen“. Diskutiert werden Themen wie beispielsweise die digitale Verwaltung. Als Redner für den Impulsvortrag haben die Veranstalter Richard David Precht eingeladen. Da kann man fast gar nichts falsch machen. Der leider einzige hierzulande bekannte deutsche Universal-Philosoph hat wirklich ausnahmslos zu jedem Thema etwas zu sagen.
Am Mittwoch stellt Bundeslandwirtschaftsminister Alois Rainer (CSU) in Berlin den offiziellen Erntebericht 2025 vor. Die Ergebnisse sind absehbar. Die Ernte war, wie immer, schlechter als im Durchschnitt der vergangenen Jahre. Deshalb werden die Bauern – vor allem in Bayern – höhere Subventionen und Entschädigungen fordern. Also alles wie gehabt. Ach ja, Alois Rainer setzt sich ausdrücklich dafür ein, dass „im Interesse einer ausgewogenen Ernährung“ künftig in den Kindergärten wieder mehr Fleisch angeboten wird. Mal sehen, wie er dieses Ziel in seinem Erntebericht unterbringen wird.
Am Donnerstag stellen Experten des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung in einem Online-Pressegespräch ihre aktuellen Forschungsergebnisse zum demografisch bedingten Fachkräftemangel vor. Anhand aktueller Zahlen und Analysen zeigen die Wissenschaftler auf, welche Erwerbspotenziale es insbesondere bei Müttern, älteren Erwerbstätigen sowie Zugewanderten gibt – und welche Lösungsansätze sinnvoll erscheinen.
Am Freitag öffnet in Berlin die Internationale Funkausstellung (IFA) ihre Tore. Bereits seit 1924 zeigen hier Aussteller ihre Neuheiten, Innovationen und Visionen. Mit Blick auf das, was heute bereits Technik-Alltag ist, mutet der Name „Funkausstellung“ irgendwie putzig an. Die Veranstalter nutzen deshalb nur noch die Abkürzung IFA und versuchen bereits eine vorsichtige Umdeutung der drei Buchstaben in „Innovation for All“. Falls jemand eine noch bessere Idee hat: Eine eMail an die Veranstalter genügt. Eine Faxnummer gibt es schon lange nicht mehr.
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