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„KI-Boom: Anfang vom Ende oder erst der Anfang?“

Terry Ewing ist Head of Equities bei Mediolanum.
Interview

Künstliche Intelligenz treibt die Märkte – doch wie nachhaltig ist der Boom? Terry Ewing, Head of Equities bei Mediolanum International Funds, warnt vor Übertreibungen à la Dotcom-Blase, sieht aber zugleich enormes Potenzial. Im Gespräch mit TiAM FundResearch erklärt er, warum wir beim KI-Boom noch ganz am Anfang stehen, welche Chancen sich in Europa eröffnen – und wo Anleger jetzt wachsam sein sollten.

23.10.2025 | 10:30 Uhr von «Jörn Kränicke»

TiAM FundResearch: Mr. Ewing, die Aktienmärkte haben einen langen Bullenmarkt hinter sich. Stehen wir kurz vor dem Ende – oder geht es noch weiter aufwärts?

Terry Ewing: Das ist natürlich eine schwierige Frage und eine Glaskugel habe ich auch nicht. Insgesamt halte ich die US-Märkte jedoch für hoch bewertet. Aber: Die aktuelle Technologie-Revolution ist fundamental. Viele sprechen zu Recht von einer vierten industriellen Revolution. Neue Chip-Architekturen ermöglichen mathematische Durchbrüche, die den Weg für maschinelles Lernen, Künstliche Intelligenz und nun auch Generative AI geebnet haben. Wir sind hier – um ein Baseball-Bild zu bemühen – vielleicht im dritten oder vierten Inning von neun. Das bedeutet: Der Anfang ist gemacht, die ersten großen Gewinner stehen fest. Doch der größte Teil der Anwendungen und neuer Geschäftsmodelle liegt noch vor uns.

Wie wirkt sich diese Welle der Innovation auf die Märkte aus?

Ewing: Sie schafft enorme Investitionschancen, aber auch Fragen zu ihrer Dauerhaftigkeit. Die Anfangseuphorie ist vorbei, jetzt geht es stärker um die Anwendungsebene. Ein Beispiel: In Kombination mit Apps wie Expedia können KI-Systeme heute innerhalb von Sekunden komplette Reisen organisieren – inklusive Bewertungen, Videos und Buchung. Solche Anwendungsfälle verändern Nutzerverhalten und -erwartungen fundamental. Gleichzeitig stellen Investoren zunehmend die Frage: Können Unternehmen wie OpenAI oder deren Partner die massiven Investitionen wieder reinholen? Denn wir sehen zunehmend, dass einige der jüngsten Transaktionen im KI-Bereich mit Schulden finanziert werden, und Unternehmen wie Nvidia, die ihre Kunden sogar beim Kauf der eigenen Produkte finanzieren müssen. Das erinnert an überhitzte Phasen der Vergangenheit.

Droht also eine neue Tech-Blase wie Ende der 1990er-Jahre?

Ewing: Einige Warnsignale sind da. Etwa die hohe Zahl und extreme Kurssteigerungen von IPOs – zuletzt im Schnitt plus 30 Prozent am ersten Handelstag. Auswüchse, die wir seit der Dotcom-Zeit nicht mehr gesehen haben. Auch der Einstieg vieler Privatanleger über Neobroker wie Robinhood treibt die Kurse. Zocker-Aktien und Meme-Stocks erleben Höhenflüge. Zugleich sehen wir spekulative Zuflüsse in Themen wie Nuklearenergie oder Krypto. Aber anders als damals sind die großen Tech-Konzerne heute hochprofitabel, mit starken Cashflows und dominanten Marktpositionen. Die Bewertungen sind ambitioniert, aber nicht völlig unrealistisch.

Europa wurde lange unterschätzt. Wie sehen Sie den alten Kontinent?

Ewing: Wir waren schon vor einem Jahr der Meinung, dass Europa unterbewertet ist. Inzwischen holen Banken und Industriewerte deutlich auf. Die Bilanzen der Banken sind so solide wie seit der Finanzkrise nicht mehr, Überschusskapital wird zunehmend an Aktionäre zurückgegeben. Industriekonzerne wiederum profitieren vom globalen Infrastruktur- und KI-Ausbau, etwa im Bereich Stromnetze. Firmen wie Prysmian, die Netze verbinden, sehen volle Auftragsbücher auf Jahre hinaus. Das verleiht Stabilität und Rechtfertigung für steigende Bewertungen.

Und wie sieht es in Asien aus?

Ewing: Japan ist ein Sonderfall. Dort beginnt nach Jahren der Kapitalineffizienz ein Umdenken. Unternehmen nutzen überschüssiges Kapital sinnvoller, gleichzeitig profitieren auch japanische Industriekonzerne von der globalen KI- und Infrastrukturwelle. China bleibt komplex, aber in ausgewählten Bereichen wie Rohstoffen oder seltenen Erden bestehen Chancen.

Was sind aus Ihrer Sicht die größten Risiken für die Märkte?

Ewing: Politische Eingriffe und Handelskonflikte bleiben Risikofaktoren. Neue Zölle etwa sind am Ende nichts anderes als eine Steuer für Konsumenten und Unternehmen. Auch spekulative Exzesse – etwa hochverschuldete Tech-Deals oder Meme-Stocks – können Korrekturen auslösen. Aber ich sehe derzeit keine Anzeichen für einen strukturellen Crash. Eher eine mögliche Abkühlung in den USA nach der starken Rally.

Und Ihr Ausblick für die nächsten zwölf Monate?

Ewing: Global gibt es viel Liquidität, die Notenbanken lockern, über 60 Länder senken die Zinsen. In den USA rechne ich mit weiterem Gewinnwachstum, wenn auch auf anspruchsvollem Bewertungsniveau. Europa hat Nachholpotenzial, vor allem in Banken und Industrie. In Summe denke ich: Ja, die Märkte sind anspruchsvoll bewertet – aber mit den enormen strukturellen Wachstumsthemen, insbesondere rund um KI, Energieinfrastruktur und Reshoring, bleiben die positiven Perspektiven für Aktien insgesamt intakt.

Zur Person:

Terry Ewing ist seit 2020 Head of Equity bei Mediolanum. Er arbeitet seit über 31 Jahren im Asset Management und war zuvor Senior Portfoliomanager bei der Abu Dhabi Investment Authority (ADIA), dem zweitgrößten Staatsfonds der Welt. Zuvor arbeitete Ewing für Ignis Asset Management, Old Mutual Asset Management und Britannic Asset Management.

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