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Interview

Georg Kell: „CO2 wird die Währung der Zukunft“

Der frühere UN-Exekutivdirektor war bei den Vereinten Nationen für die Gründung mehrerer Nachhaltigkeitsinitiativen verantwortlich und arbeitet nun für VW. Kell über seine Rolle beim vom Dieselskandal belasteten Autobauer, die Verantwortung von Unternehmen und die Frage, wer beim Klimaschutz noch schläft.

26.11.2019 | 10:30 Uhr von «Julia Pfanner»

Mehr als 25 Jahre war Georg Kell bei den Vereinten Nationen und gründete unter anderem den UN Global Compact, die weltgrößte freiwillige Initiative für nachhaltiges Unternehmertum. 2016 berief der Automobilkonzern VW einen eigenen Nachhaltigkeitsbeirat. Kell war von Anfang an dabei. Seine Zwischenbilanz über die Werteentwicklung in Wolfsburg und in anderen Großunternehmen.

€uro am Sonntag: Sie sind Sprecher des Nachhaltigkeitsbeirats von VW. Der Konzern war mit seinem Dieselskandal alles andere als ein Vorbild beim Thema  Nachhaltigkeit. Hatten Sie keine Angst um Ihre Glaubwürdigkeit?

Georg Kell: Als ich die Anfrage bekam, war ich intuitiv der Meinung: Krise bedeutet Chance. In den letzten 20 Jahren habe ich viele Krisen miterlebt. Ich liebe sie inzwischen.

Wieso das?

Wenn eine Firma gegen die Wand fährt, ist sie bereit, alles zu hinterfragen. Dann besteht die Möglichkeit der Erneuerung. Meine drei goldenen Regeln, um stärker aus einer Krise hervorzukommen: schnell handeln, das Problem am Kern angehen und die Lektionen daraus lernen. Was bedeutet es und wie kann ich es in eine organisatorische Stärke umsetzen, die mich fit für die Zukunft macht?

Haben Sie ein Beispiel?

Meine erste Erfahrung mit einer großen Krise war 2006 die Korruptionsaffäre von Siemens. Ich habe den Konzern damals als Exekutivdirektor des UN Global Compact, wo Siemens Mitglied war, besucht. Ich habe den neuen Vorstand, Peter Solmssen, unterstützt und eng mit dem neuen Compliance- und Antikorruptionsteam, hier besonders mit Sabine Zindera, zusammengearbeitet. Das hat sich für alle ausgezahlt. Siemens hat in der ganzen Welt Initiativen angestoßen, um die Bedingungen in der öffentlichen Auftragsvergabe zu ändern. Das war nicht immer erfolgreich, gab aber viele positive Impulse, um Unternehmensführung in der Welt zu verbessern. Und Siemens entdeckte, wie es wieder wettbewerbsfähiger wird.

Was erwarten Sie jetzt von VW?

Wir haben von Anfang an darauf bestanden, dass drei Dinge passieren müssen: Technologie-, Politik- und Kulturwandel. Wir haben konsequent argumentiert: Die langfristig einzig glaubwürdige Antwort auf den Diesel ist die Elektrifizierung der Mobilität. Zudem soll VW die Regulierung mitgestalten, um neue Standards und weniger CO2-Ausstoß zu unterstützen. Und die Compliance muss offener kommunizieren.

Wie zufrieden sind Sie bisher?

Bei der Elektrifizierung ist der Beirat begeistert. VW hat schon Werke umgestellt. Für den Technologiewandel hat keine andere Firma weltweit so viele Mittel eingesetzt — 30 Milliarden Euro. Das ist gigantisch, das ist langfristiges Denken. Und ein sehr großes Wagnis, ob der Markt die neuen Produkte auch annimmt. Aber das ist auch die wichtige Lektion im Krisenmanagement: das Kernproblem angehen. Die Antwort auf die Dieselkrise ist E-Mobilität.

Und bei den anderen Forderungen?

Auf unser Drängen wurde die Dekarbonisierung Konzernstrategie. Das wird auch nachweislich angewandt — weltführend, möchte ich behaupten. Die neuen Produkte werden CO2-neutral angeboten, das hat auch gigantische Konsequenzen für die Lieferkette. VW drängt jetzt alle Zulieferer, auf erneuerbare Energien umzusteigen. VW-Chef Herbert Diess war auch groß in der Politik unterwegs. Er ist jetzt fast befreundet mit den Grünen, weil sie die Themen mehr unterstützen. Man stelle sich den Wechsel vor. Die Unternehmenskultur ist viel offener geworden, man redet mehr nach außen.

Windrad - Erneuerbare Energien


Abbildung: Windrad - Sichtbares Zeichen von erneuerbaren Energien


Wie sehen Sie Ihre Stellung bei VW?

Wir haben Topzugang zu allen, intensiven Austausch, auch sehr konträre Diskussionen, die wir sehr schätzen. Auch bei uns im Beirat. Wir sind hier sehr verschiedene Leute mit verschiedenen Fachgebieten. Unsere drei Forderungen haben wir VW auch mehrmals schriftlich unterbreitet. Ich glaube, wir haben zumindest eine Rolle dabei gespielt, das Ganze zu beschleunigen. Schon mit Matthias Müller als VW-Chef hat die Transformation begonnen, aber mit Diess haben wir noch mal einen Zacken zugelegt. Er hat verstanden, dass die Klimafrage fundamental ist, hat sie verinnerlicht, auch persönlich. Es nervt ihn etwa, dass der Rasen in Wolfsburg so giftgrün ist. Wo sind da die Bienen?

Der Wille der Konzernspitze ist da?

Ja, der ganze Vorstand wurde auch ausgewechselt, das ist Teil der Erneuerung. Das sind Leute, die die Themen verstehen, moderner denken und offen nach außen sind.

Würden Sie im Extremfall das Handtuch werfen?

Wenn wir betrogen oder nur als Aushängeschild benutzt werden, würden wir geschlossen mit öffentlichem Protest zurücktreten. Wir setzen ja auch unseren Ruf aufs Spiel. Aber wir wollen die Welt verändern, sehen Krisen als Chance. Und ich glaube und weiß aus persönlicher Erfahrung, es ist möglich, sich von innen heraus zu verändern. Würde man das nicht glauben, müsste man eigentlich die Hälfte der Welt sofort abschreiben, vielleicht sogar mehr.

Es gab Gerüchte, VW könnte beim  E-Autobauer Tesla einsteigen. Was ­würden Sie davon halten?

Dazu kann ich mich nicht äußern. Ich weiß nur, dass Diess und Tesla-Chef Elon Musk befreundet sind. Ich weiß auch, dass Tesla für VW der Ansporn ist. Das Motto ist in etwa: Tesla hat gezeigt, dass E-Mobilität sexy, attraktiv und verkaufbar ist, wir wollen sie für den Massenmarkt bauen. Wettbewerb sieht man positiv, das Rennen läuft.

Für VW, Daimler oder BMW sind gerade die margenstarken SUVs mit hohem Verbrauch sehr wichtig. Diese Fahrzeuge haben doch nichts mit Umweltbewusstsein zu tun, oder?

Ja, das mit den SUVs ist eine Krux. Das stört mich schon lange. Wir haben das öfter diskutiert, haben die Zahlen von VW dazu auch genau angesehen. Ich persönlich bin völlig gegen SUVs. Der Materialverschleiß ist gigantisch. Das illusorische Gefühl der Sicherheit, zum Teil auf Kosten anderer, ist eine Diskriminierung, die denen zugutekommt, die es sich vielleicht leisten können. Aber: Auch SUVs werden elektrifiziert. Material- und Energieverbrauch bleiben dennoch größer. Das sind Nachfragetrends, die man bedingt beeinflussen, aber nicht unbedingt bestimmen kann. Natürlich ist wichtig, dass man genug Gewinn einfährt, sonst kann man in der Branche nicht mithalten. Man muss die Transformation schließlich auch finanzieren können.

Die CO2-Grenzwerte der EU werden 2021 strenger. Werden sie gerissen, soll es Bußgelder hageln. Steuern die Autokonzerne nicht halb blind darauf zu?

Nein, das hat bei VW die Alarmglocken klingeln lassen und die Umstellung auf E-Mobilität beschleunigt. Es sind aber noch viele Fragen offen. Wie würde etwa die italienische Regierung auf Bußgelder für Fiat reagieren? Da ist, glaube ich, Europapolitik sehr wichtig, weil es gerade in Spanien und Italien kaum Lademöglichkeiten für E-Autos gibt. Aber ein vielleicht noch wichtigerer Treiber als die EU-Regulierung für die E-Mobilität ist China, das Europa hier voraus ist. Das ist für alle der wichtigste Markt. Es setzt immer mehr Standards, das erzeugt unheimlichen Druck. Hier laufen einige der spannendsten Technologieexperimente, VW ist voll dabei.

Vor 19 Jahren gründeten Sie den UN Global Compact. Was hat sich in Firmen seither bei Nachhaltigkeit getan?

Es haben sich viele kleine Dinge bewegt, die sich zu großen Veränderungen addieren — bei sozialer Verantwortung, Personalmanagement, Umweltfragen, Leitlinien, Korruption und Transparenz. Auch beim Management von Lieferketten sowie Menschenrechtsfragen in der Lieferkette. Die Geschäftsmodelle haben sich fast grundlegend verändert. Zwei Beispiele: Als wir starteten, konnte man in Deutschland noch Schmiergelder von der Steuer absetzen. Heute sind Antikorruption und Transparenz sehr wichtig. Der Siemens-Skandal war ein Katalysator. Umweltfragen ging man bisher nur aus Sicht der Kostenminimierung an, nun wird immer mehr verstanden: Es geht um den Kreislauf der Rohstoffe. Ich muss wertvolle Rohstoffe wie Kobalt nicht immer wieder kaufen, sondern kann sie zu 100 Prozent wiederverwenden. 

Ihre Zwischenbilanz ist positiv?

Ich weiß von immer mehr Firmen, die solche Themen auf Vorstandsebene behandeln, man nimmt sie ernst. Als wir angefangen haben, standen sie noch nicht mal auf der Agenda. Es hat ein fundamentales Umdenken stattgefunden.

Haben die Unternehmen von selbst erkannt, dass Umweltschutz wichtig ist?

Nein, das sind die veränderten Rahmenbedingungen. Mit dem technologischen Wandel kommen Transparenz und die Digitalisierung als Element für Effizienzsteigerung und neue Geschäftsmodelle. Umweltfragen sind nicht mehr nur externe Faktoren, es geht jetzt um positive Rückkopplung. Man muss ein völlig neues Verhältnis herstellen. Dazu kommen soziale Fragen, man kann nicht mehr nur von oben kommunizieren, muss etwa auf den Einzelnen mehr zugehen. Das hat die Themen vorangebracht. ESG (Kürzel aus dem Englischen, steht für umweltfreundliche, soziale und nachhaltige Unternehmensführung) ist keine Zugabe mehr, sondern bekommt finanzielle Relevanz. Macht man Fehler, zahlt man einen hohen Preis. Macht man es richtig, ist man im Wettbewerb gut positioniert.

Eine Analyse Ihres Vermögensverwalters Arabesque sieht die Treibhausgasemissionen von 80 Prozent der weltgrößten Konzerne bis 2050 nicht im Einklang mit dem Pariser Klimaziel von 1,5 Grad Temperaturanstieg. Eine magere Bilanz, oder?

Richtig, gerade was den Klimawandel und CO2 betrifft — das ist sehr ernüchternd. Erst mal: Es gibt von etwa 70 000 gelisteten Firmen nur für 2900 einigermaßen verlässliche Daten. Selbst von den 200 größten legt über ein Drittel seine Treibhausgasemissionen nicht vollständig offen. Das ist zum Teil strategisch gewollt, das sind teils Ölfirmen oder andere schmutzige Firmen, aus der Stahlbranche und so weiter, die sich nicht die Blöße geben wollen. Da muss die Gesetzgebung schon ein bisschen nachhelfen. Denn CO2 wird die Währung der Zukunft.

Wie sinnvoll ist denn die CO2-Bepreisung in Deutschland und in der EU?

Sie sind ein wichtiges Instrument, aber nur eines. Wichtig ist auch die Infrastruktur, es geht im Grunde um Energieproduktion und Elektrifizierung. Auch Landwirtschaft und Gebäude sind wichtige Faktoren. Bei Gebäuden steht Deutschland international sehr gut da. Solche Stärken kommen aber nicht richtig zum Zug, weil die alten Industrien kein Interesse an einem schnellen Wandel haben. Das gilt global. Die fossile Industrie ist gewaltig, investiert jährlich Milliarden, damit der Wandel nicht so schnell vorangeht, teils um ihn zu bremsen. Da gilt Schumpeters Denken von Erneuerung und Zerstörung: Die einen wollen das Alte erhalten, es bringt  ja noch Geld, die anderen gehen mit  den Veränderungen, versuchen Marktanteile zu gewinnen. Wir sind mittendrin.

Wie sehen Sie denn die Rolle der Bewegung, die die 16-jährige Greta Thunberg angestoßen hat?

Ich persönliche glaube, sie hätte den Friedensnobelpreis verdient gehabt. Phänomenal, wenn eine Schülerin innerhalb eines Jahres eine globale Bewegung auf die Beine stellen kann, die so viel Druck auf Entscheider ausübt. Ich war vor einiger Zeit im deutschen Wirtschaftsministerium, nachdem Schüler protestiert hatten. Sie fragten dort, wie sie damit umgehen sollen, waren völlig verloren. Ich konnte mir ein hämisches Lächeln nicht verkneifen. Mein Rat war: Geht raus, gebt zu, wir haben versagt, das ist objektiv richtig. Wir wollen uns ändern, helft uns. Das hätten sie tun sollen, finde ich. Ich war nach Thunbergs Rede vor der UN-Generalversammlung aber etwas besorgt, sie kam sehr bitter rüber. Ich hoffe nicht, dass sich eine Radikalisierung der Bewegung anbahnt. Bei solchen Massenbewegungen kommen oft Enttäuschung, Frust, Wut und dann Destruktion.

Wer ist Schuld, wenn Klimaziele nicht erreicht werden?

Das ist eine gesellschaftliche Herausforderung, bei der wirklich jeder eine Verantwortung hat — private, aber auch Regierungen: Die Rahmenbedingungen müssen die Dekarbonisierung unterstützen, nicht blockieren. Es gibt immer noch perverse Subventionen für fossile Brennstoffe, in Deutschland etwa für den Diesel. Die Grundsatzentscheidung für einen CO2-Preis, wenn auch viel zu niedrig, ist zu begrüßen. Ich wünsche mir aber, dass Deutschland und Europa verstehen, dass der Klimawandel keine Kostenfrage ist, die man umverteilen muss, sondern dass man die Chancen für Erneuerung in Industrie und Gesellschaft erkennt. Ich vermisse das horizontale Denken, das Digitalisierung und Dekarbonisierung verknüpft. Ich fürchte, man denkt hier zu getrennt. Sie gehen Hand in Hand. China hat das verstanden, ist sehr progressiv, was Technologie angeht, und sieht die Verknüpfung primär als Wettbewerbsvorteil.

In der Finanzwelt ist das Thema ESG ja gerade groß im Kommen.

Auch die Finanzwelt hat bisher geschlafen. Den Begriff ESG gibt es schon seit 2004, es hat sich jahrelang nichts getan. Kurzfristig gesehen, lohnt es sich natürlich finanziell immer noch, die Welt zu verbrennen, weil der Markt die Risiken durch den Klimawandel noch nicht richtig berücksichtigt. Teils fehlen noch die Tools dazu, teils auch das Wissen und die Bereitschaft. Die ganze Evaluierung hat noch nicht Schritt gehalten. Aber die Finanzwelt nähert sich jetzt der Realwirtschaft an. Ich bin begeistert, dass sich ESG-Investing und verantwortliches Unternehmertum nun parallel entwickeln, gegenseitig unterstützen. Da entsteht ein völlig neues Marktmomentum. Die Finanzwelt kann dann als positive Kraft des Strukturwandels mitwirken. Sie hat auch keine physischen Vermögenswerte, kann sich viel schneller umstellen als die Realwirtschaft.

Institutionen im Überblick

UN Global Compact

Weltweite, freiwillige Initiative für verantwortungsvolle Unternehmensführung unter dem Dach der Vereinten  Nationen. Gegründet  im Jahr 2000, sind heute mehr als 13 000 Firmen und Organisationen dabei.

VW-Nachhaltigkeitsbeirat

Den Beirat hat der Autokonzern im Herbst 2016 ins Leben gerufen. Er soll den Konzern  unabhängig und nicht weisungsgebunden zu Nachhaltigkeit und gesellschaftlicher Verantwortung beraten.

Arabesque Partners

Deutsch-britischer Vermögensverwalter, der die Performance und  die Nachhaltigkeit von Unternehmen mithilfe von Big Data und selbstlernenden Quant-Modellen beurteilt.

Vita

Georg Kell hat mehr als ein Vierteljahrhundert für die  Vereinten Nationen gearbeitet. 2000 gründete er im Auftrag des damaligen UN-Generalsekretärs Kofi Annan den UN Global Compact, dessen Exekutivdirektor er lange war. Später war er für die Einführung weiterer bekannter UN-Nachhaltigkeitsinitiativen wie die Principles for Responsible  Investments verantwortlich.

Heute ist er Sprecher des VW-Nachhaltigkeitsbeirats und Aufsichtsratschef beim Vermögensverwalter Arabesque Partners

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