TiAM FundResearch sprach exklusiv mit Thomas Meinke, Investmentdirektor und Vizepräsident bei Dimensional Fund Advisors in Deutschland, über die Vorteile der Diversifikation, tägliches Rebalancing, Small-Cap-Prämien und die Zukunft robuster Faktorstrategien.
03.07.2025 | 10:00 Uhr von «Jörn Kränicke»
TiAM FundResearch: Herr Meinke, Factor Investing wird oft mit „Smart Beta“-Strategien in Verbindung gebracht. Was unterscheidet Ihre Herangehensweise von klassischen Smart-Beta-ETFs?
Thomas Meinke: Die meisten klassischen Smart-Beta-ETFs basieren auf MSCI. Diese Indizes wurden ursprünglich entwickelt, um Märkte abzubilden – nicht als Investmentstrategien. Das führt dazu, dass sie nur quartalsweise oder halbjährlich rebalancieren. In dieser Zeit kann sich viel verändern: Ein Value-Titel wird vielleicht zum Growth-Titel, oder ein Small Cap entwickelt sich zum Large Cap. Trotzdem hält der ETF ihn weiterhin im Portfolio – mit potenziellen Stilabweichungen und Opportunitätskosten.
TiAM FundResearch: Wie gehen Sie bei Dimensional mit diesen Veränderungen um?
Meinke: Unser Ansatz basiert auf täglichem Rebalancing. Statt einmal im Quartal größere Umschichtungen vorzunehmen, prüfen wir kontinuierlich, ob eine Aktie noch ins gewünschte Marktsegment passt – zum Beispiel Value oder Small Cap. So bleiben wir konsequenter an den Renditequellen dran und vermeiden Stilabweichungen, die bei klassischen ETFs auftreten.
TiAM FundResearch: Aber tägliches Handeln klingt erstmal teuer – steigen dadurch nicht die Handelskosten enorm?
Meinke: Das denken viele – ich übrigens auch, bevor ich bei Dimensional angefangen habe. Aber es kommt auf die Art des Handels an. Unsere expliziten Kosten, wie Buchungsgebühren, sind minimal. Die eigentlichen Kosten entstehen implizit, vor allem durch die Geld-Brief-Spanne und Marktpreisverzerrungen bei großen Trades. Durch unser tägliches, flexibles Handeln und die Nutzung von Substituten – also vergleichbaren Aktien – handeln wir in rund 85 Prozent der Fälle auf der „richtigen Seite“ des Spreads. Das senkt die Kosten deutlich.
TiAM FundResearch: Können Sie ein Beispiel für solche Marktverzerrungen nennen?
Meinke: Ja, ein gutes Beispiel sind Indexneuaufnahmen. Wird eine Aktie neu in einen Index aufgenommen, steigt ihr Kurs oft schon vorher – weil alle wissen, dass sie zum Stichtag gekauft wird. Studien zeigen eine durchschnittliche Outperformance von vier Prozent vor der Aufnahme und eine Underperformance von fünf Prozent danach. Der Indexinvestor steigt also zum ungünstigsten Zeitpunkt ein – der Markt hat die positive Rendite ja bereits vorher erzielt. Das ist wie der Rosenkauf am Valentinstag: Wenn alle gleichzeitig kaufen, zahlt man einen überhöhten Preis.
TiAM FundResearch: Wie verhindern Sie, dass Sie in dieselbe Falle tappen?
Meinke: Wir veröffentlichen keine fixen Handelstage und sind nicht gezwungen, zu einem bestimmten Zeitpunkt große Volumina zu kaufen. Stattdessen vergleichen wir täglich ähnliche Aktien miteinander. Wenn eine Aktie heute nicht zum fairen Preis zu haben ist, kaufen wir eine vergleichbare. So handeln wir flexibel, effizient – und ohne vorhersehbare Muster, die andere Marktteilnehmer ausnutzen könnten.
TiAM FundResearch: Faktoren wie Value oder Small Cap haben in den letzten Jahren – besonders in den USA – kaum Outperformance geliefert haben. Wie sehen Sie das?
Meinke: Das ist korrekt – in den USA war es zuletzt schwierig, unter anderem wegen der Dominanz der sogenannten Magnificent 7. Aber man darf den Blick nicht nur auf die USA richten. In Europa, Asien und den Schwellenländern zeigen Value- und Small-Cap-Prämien weiterhin starke Ergebnisse. Man muss also global denken und langfristig bleiben – die Faktoren funktionieren, auch wenn sie phasenweise schwächeln.
TiAM FundResearch: Aber die globalen Small-Cap-Indizes waren schwach. Wie erklären Sie das?
Meinke: Die Small Cap-Prämie ist in der Tat differenziert zu betrachten. Wenn man einfach den MSCI World Small Cap mit dem MSCI World vergleicht, fällt die Prämie in den letzten Jahren negativ aus. Das liegt unter anderem daran, dass gewisse Marktsegmente innerhalb der Small Caps – etwa unprofitable, teuer bewertete Unternehmen – historisch massiv underperformt haben, im Schnitt sieben bis acht Prozent pro Jahr. Diese Titel verzerren das Bild.
TiAM FundResearch: Wie gehen Sie in Ihren Strategien mit dieser Problematik um?
Meinke: Wir verfolgen grundsätzlich einen Multifaktoransatz – auch in unseren Small Cap-Strategien. Das bedeutet: Selbst wenn wir einen Small Cap-Fonds aufsetzen, berücksichtigen wir zusätzlich Faktoren wie Profitabilität und Bewertung. Ziel ist es, solche underperformenden Subsegmente gezielt auszuschließen. So kann man die Small Cap-Prämie in einer „reineren“ Form erfassen – und das Ergebnis sieht deutlich besser aus.
TiAM FundResearch: Gibt es denn regionale Unterschiede beim Angebot an Small-Cap-Titeln?
Meinke: In den USA sehen wir einen Rückgang. In Schwellenländern hingegen kommen immer mehr kleinere Unternehmen an den Markt. Interessant ist, dass die sogenannte Small-Cap-Prämie – also die höhere Renditeerwartung kleinerer Firmen – weltweit ziemlich homogen ist. Je kleiner das Unternehmen, desto höher die erwartete Rendite, von Mega-Caps bis runter zu Micro-Caps.
TiAM FundResearch: Manche sagen, dass Private-Equity-Gesellschaften zunehmend gute Small Caps aufkaufen. Ist das ein Problem?
Meinke: Das wäre nur dann kritisch, wenn Private Equity dadurch tatsächlich höhere Renditen erzielen würde. Aber die Forschung zeigt: Private Equity performt netto nicht besser als Public Equity – wenn man es korrekt mit passenden Benchmarks vergleicht. Hinzu kommen höhere Kosten. Für den Privatanleger kann das also eher nachteilig sein.
TiAM FundResearch: Warum setzen Sie nicht auf neue, trendige Faktorideen? Es gibt ja unzählige Prämien am Markt.
Meinke: Richtig – die Literatur zählt inzwischen über 300 vermeintliche Faktorprämien. Wir halten jedoch nichts von kurzfristigem Daten-Mining. In den historischen Daten lässt sich fast alles finden. Entscheidend ist für uns: Hat die Prämie eine theoretische Grundlage? Nur wenn man versteht, warum ein Renditeunterschied besteht, kann man erwarten, dass dieser auch in Zukunft bestehen bleibt. Unser Modell basiert daher auf einem soliden Fundament, u.a. dem Fama-French-5-Faktoren-Modell, das um Momentum erweitert inzwischen über 90 Prozent der Renditeunterschiede am Markt erklärt.
TiAM FundResearch: Was genau ist für Sie das Fundament einer tragfähigen Faktorprämie?
Meinke: Nehmen wir als Beispiel Value. Die Idee ist ganz simpel: Wenn ich für denselben Cashflow weniger bezahle, sollte meine erwartete Rendite höher sein. Ähnlich bei Profitabilität: Wenn ich denselben Preis zahle, aber dafür ein profitableres Unternehmen erwerbe, bekomme ich langfristig mehr zurück. Diese Logik basiert auf klassischen Bewertungsmodellen, wie sie auch aktive Manager verwenden. Für uns ist aber zentral: Wir betrachten bewusst Value und Profitabilität getrennt, um jede Prämie gezielt und sauber zu erfassen.
TiAM FundResearch: Wie setzen Sie Ihre Strategien konkret um?
Meinke: Wir investieren breit in alle relevanten Faktoren. In einem Global Core Equity Fonds investieren wir in ca. 8.000 Titel aus entwickelten Märkten – physisch, nicht synthetisch. Dabei setzen wir unter anderem systematisch auf Size, Value, Profitabilität, Investment, Momentum und kurzfristige Umkehr – insgesamt acht Faktoren.
TiAM FundResearch: Sind alle Prämien gleich wichtig für die Rendite?
Meinke: Nein, einige Prämien wie Value oder Size haben stärkere Auswirkungen, andere wie Momentum sind sehr kurzlebig. Die Implementierung ist entscheidend. Momentum beispielsweise wirkt oft nur 3–6 Monate. Wenn man das falsch einsetzt, hat man hohe Handelskosten ohne Mehrwert.
TiAM FundResearch: Viele Anbieter nutzen das Kurs-Gewinn-Verhältnis für Value-Strategien. Sie setzen eher auf Kurs-Buchwert?
Meinke: Genau. Wir nutzen das Kurs-Buchwert-Verhältnis in Kombination mit einem klar definierten Profitabilitätsmaß. Das erlaubt uns, die beiden Prämien sauber zu trennen. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis enthält schon Informationen zur Profitabilität – das führt zu Überschneidungen, die wir vermeiden möchten. Zudem ist das Kurs-Buchwert-Verhältnis deutlich stabiler, was zu weniger Umschichtung im Portfolio führt.
TiAM FundResearch: Welche Datenquellen nutzen Sie für die Profitabilitätsbewertung?
Meinke: Wir gehen in der Gewinn- und Verlustrechnung nicht ganz nach unten – also nicht zum Nettoergebnis – sondern schauen deutlich weiter oben. Warum? Weil dort weniger Einmaleffekte oder Sondereffekte verzerren. Erst durch diese saubere Definition wurde die Profitabilitätsprämie, wie sie etwa von Professor Robert Novy-Marx 2012 beschrieben wurde, statistisch verlässlich messbar – über viele Märkte hinweg.
TiAM FundResearch: Gibt es auch neuere Prämien, die sie berücksichtigen?
Meinke: In seltenen Fällen ja – aber mit Vorsicht. Kürzlich haben wir eine Kurzfrist-Umkehrprämie aufgenommen: Aktien, die sehr kurzfristig stark gefallen sind, tendieren dazu, sich kurzfristig zu erholen – und umgekehrt. Der Mehrwert durch die Nutzung dieses Effekts ist klein, im Bereich von wenigen Basispunkten, aber wir optimieren unser Modell kontinuierlich, auch für solche Effekte.
TiAM FundResearch: Wie stehen Sie zu klassischen ETFs und Indexfonds im Vergleich?
Meinke: Die Idee des passiven Investierens ist überzeugend – und auch Teil unserer DNA. Einer unserer Gründer, Rex Sinquefield, war an der Entwicklung des ersten institutionellen Indexfonds in den 1970ern beteiligt. Aber: Wir glauben, dass die Umsetzung entscheidend ist. Ein klassischer ETF nutzt zum Beispiel quartalsweise Rebalancing und folgt starren Regeln. Das führt zu Stilabweichungen, erhöhten Handelskosten und verpassten Chancen. Wir hingegen rebalancieren täglich in kleinen Schritten, um effizienter zu handeln und aktuelle Daten besser zu nutzen.
TiAM FundResearch: Eine oft diskutierte Kritik betrifft auch die Zusammensetzung großer Indizes wie dem S&P 500. Was ist daran problematisch?
Meinke: Viele glauben, der S&P 500 enthalte die 500 größten US-Unternehmen – tatsächlich fehlen aber rund 80 davon, die gemeinsam so groß sind wie der gesamte deutsche Aktienmarkt. Grund ist, dass ein Komitee die Aufnahmebedingungen bestimmt, etwa auch eine Gewinnschwelle über vier Quartale. Das ist ein aktives Element in einem vermeintlich passiven Produkt.
TiAM FundResearch: Was sind die Folgen solcher Indexentscheidungen?
Thomas Meinke: Titel wie Tesla performen oft stark, bevor sie aufgenommen werden, und danach eher schwächer. Der Index verpasst also die Outperformance und nimmt die Underperformance mit – ein Effekt, der dem Anleger meist gar nicht auffällt, aber Rendite kosten kann. Wir versuchen, solche Verluste durch tägliches Rebalancing zu vermeiden.
TiAM FundResearch: Gibt es weitere versteckte Kosten bei ETFs?
Meinke: Ja. Zum Beispiel bei der Wertpapierleihe: Viele ETF-Anbieter behalten einen Großteil der Erträge ein – manchmal über 30 Prozent –, was oft nicht in der Kostenquote auftaucht. Wir geben die Erträge komplett nach marktüblichen Kosten an unsere Anleger weiter. Solche Details sind für viele Privatanleger schwer durchschaubar, aber sie machen langfristig einen Unterschied.
TiAM FundResearch: Wie sehen Sie die Zukunft des Factor Investing?
Meinke: Unser Modell wird schrittweise verbessert, aber der Großteil der erklärbaren Renditeunterschiede ist durch die etablierten Faktoren – Size, Value, Profitabilität, Investment, Momentum – bereits gut abgedeckt. Wichtig ist: Nicht jeder Faktor bringt dauerhaft Mehrwert. Es geht nicht um Modetrends, sondern um robuste, theoretisch fundierte, weltweit nachweisbare Prämien. Genau daran orientieren wir uns – seit fast 44 Jahren.
TiAM FundResearch: Kann man Faktorprämien taktisch nutzen, oder sollte man kontinuierlich auf sie setzen?
Meinke: Der beste Ansatz ist, jeden einzelnen Tag so zu investieren, als könnte genau dann eine Prämie eintreten. Man muss täglich konsistent auf die Faktoren ausgerichtet sein, sonst verpasst man potenziell die wenigen, aber entscheidenden Renditetage.
TiAM FundResearch: Können Sie ein konkretes Beispiel dafür nennen?
Meinke: Ein gutes Beispiel war die Wahl von Donald Trump. An einem einzigen Tag kam es zu einer deutlichen Small-Cap-Prämie. Wer da nicht investiert war, hat einen erheblichen Teil der Jahresrendite verpasst – ähnlich wie beim Aktienmarkt, wo das Verpassen der besten Tage massiv schadet.
TiAM FundResearch: Viele junge Anleger investieren über Neobroker. Welche Risiken sehen Sie dabei?
Meinke: Junge Anleger lassen sich leicht von Signalen und Push-Nachrichten verleiten. Dieses ständige Kaufen und Verkaufen führt selten zu besseren Ergebnissen – im Gegenteil: „Hin und her macht Taschen leer“. Ohne solides Fundament kann das schnell in Enttäuschung enden.
TiAM FundResearch: Also wäre der Umweg über einen Finanzberater sinnvoll?
Meinke: Ganz sicher. Gerade in Krisenphasen schützt ein guter Berater vor emotionalen Fehlentscheidungen. Selbst wenn er ein Prozent im Jahr kostet – ein einziges Mal Ruhe zu bewahren, kann das ein Vielfaches an Wert schaffen. Außerdem unterstützen Berater bei Themen wie Erbschaft, Planung und Strukturierung.
TiAM FundResearch: Wie entwickelt sich Ihr Geschäft in Deutschland?
Meinke: Sehr gut. Aktuell verwalten wir etwa 8,5 Milliarden US-Dollar für deutsche Investoren. Das jährliche Wachstum liegt konstant bei 10 bis 15 Prozent. Der Erfolg basiert nicht auf kurzfristigen Zuflüssen, sondern auf einem stabilen und langfristig ausgerichteten Geschäftsmodell.
TiAM FundResearch: Wie gelingt Ihnen dieses stetige Wachstum?
Meinke: Wir arbeiten eng mit Honorarberatern zusammen, die durch unsere jährlichen Konferenzen und Schulungen unsere Investmentphilosophie genau kennen. Viele neue Kontakte entstehen durch Empfehlungen. Auch Kooperationen mit Versicherungen helfen, unsere Produkte effizient und kostenschonend zugänglich zu machen.
TiAM FundResearch: Was macht Factor Investing bei Dimensional Ihrer Meinung nach einzigartig?
Meinke: Es ist die Kombination aus täglichem Rebalancing, der Nutzung aktueller Daten und einem flexiblen Handelsansatz. Wir verfolgen keine starre Indexstrategie, sondern ein aktives Management auf Basis robuster wissenschaftlicher Erkenntnisse – und das seit 1981. Flexibilität, Effizienz und Disziplin sind bei uns keine leeren Worte, sondern tief in unserer Investmentphilosophie verankert.
Zur Person:
Thomas Meinke verfügt über einen reichen Erfahrungsschatz in der Finanzbranche mit einem starken Hintergrund in den Bereichen Investment Management, Asset Allocation und Finanzanalyse. Bevor er zu Dimensional Fund Advisors kam, war er bei der Allianz Group in verschiedenen Positionen. Meinke hat auch Erfahrung in Beratungs- und Prüfungsfunktionen bei Unternehmen wie The Boston Consulting Group, EY und Deutsche Bank.Zudem hat er auch für die Deutsche Telekom gearbeitet.
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