Indien ist für Bondanleger noch weitgehend Neuland. Doch die bevorstehende Aufnahme indischer Staatsanleihen in den JPM GBI-EM Global Diversified Index sorgt für milliardenschweren Transaktionen. Wie Anleger profitieren.
09.04.2024 | 07:15 Uhr von «Ronny Kohl»
Mit 1,4 Milliarden Menschen ist Indien – neben China –das bevölkerungsreichste Land der Erde. Im Hinblick auf die Wirtschaftskraft rangiert es zurzeit an fünfter Stelle. Noch. Das starke Wirtschaftswachstum soll dem Subkontinent allerdings schon bald zum Sprung auf Rang 3 verhelfen, hinter den USA und China, aber vor Deutschland und Japan.
Was die Kapitalmärkte angeht, gilt Indien indes noch als unterentwickelt. „Lange hat sich Indien wirtschaftlich abgeschottet“, sagt Philipp von Königsmarck, Head of Northern Europe bei Legal & General IM. So hätten Anlagequoten und komplizierte technische Abläufe den Erwerb von indischen Staatsanleihen durch Investoren aus dem Ausland behindert.
Ausländischen Anlegern standen bislang lediglich 23 Staatsanleihen in lokaler Währung und mit einem Volumen von etwa 330 Milliarden US-Dollar offen. Und das auch erst seit März 2020, als die Reserve Bank of India in einem Schritt zur Öffnung des Anleihemarkts das „Fully Accessible Route“-(FAR)-Programm einführte. Gleichwohl liegen derzeit nur knapp zwei Prozent der Anleihen in ausländischer Hand – im internationalen Vergleich ein extrem niedriger Wert.
Indiens Zinspapiere im Index
Die internationale Präsenz indischer Staatsanleihen dürfte sich indes schon bald spürbar verändern. Im vergangenen September hat JPMorgan angekündigt, indische Staatsanleihen in den JPMorgan GBI-EM Global Diversified Index aufzunehmen. Ab Juni 2024 soll die Aufnahme gestaffelt über zehn Monate erfolgen, bis Indien das höchstmögliche Indexgewicht von zehn Prozent erreicht hat und damit zu China aufrückt, dessen Bonds ebenfalls mit rund zehn Prozent gewichtet sind.
Die Folgen wären beachtlich. Der JPMorgan GBI-EM Global Diversified Index bildet als Benchmark ein verwaltetes Vermögen von rund 220 Milliarden Dollar ab, was für Indien spätestens Anfang 2025 einen Anteil von mehr als 20 Milliarden Dollar bedeutet. Vor allem aber werden Investoren, die den Index als Benchmark haben, ebenfalls in indische Anleihen investieren müssen.
Auch bei anderen Indexanbietern wie Bloomberg und FTSE Russell steht Indien seit einiger Zeit auf der Beobachtungsliste. So dürfte beim nächsten Bloomberg Index-Council sehr konkret über eine Aufnahme Indiens in den Global Aggregate Index und lokale Schwellenländerindizes beraten werden, was einen weiteren Mittelzustrom in Milliardenhöhe nach sich ziehen dürfte, wie Experten erwarten.
Eine Chance für Early Birds
„Aus meiner Sicht könnte es für Anleger interessant sein, noch vor der Indexaufnahme Indiens und damit vor dem großen Geldzufluss in Indien-Bonds zu investieren“, sagt LGIM-Manager von Königsmarck. Vermehrte Nachfrage dürfte zu einem Kursanstieg führen, so wie es schon zuvor bei China der Fall gewesen sei. Vorstellbar sei eine Verringerung der Rendite um 40 oder sogar 50 Basispunkte.
Für Investoren sind indische Anleihen nicht nur wegen ihrer attraktiven Renditen interessant. Auch unter Diversifikationsaspekten könnten diese Anleihen eine gute Wahl sein. „Indien-Bonds können positiv zur Diversifikation beitragen, weil die Anleihemärkte der meisten Industrienationen positiv korreliert sind, während im Fall von Indien die Korrelation zu diesen Märkten in den letzten zehn Jahren nur sehr schwach oder sogar negativ war“, erläutert Königsmarck. Die Korrelation zu anderen Schwellenländermärkten sei ebenfalls gering, und zudem sei Indien weniger anfällig für globale Risikostimmungen als andere Schwellenländer.
Hinsichtlich der Ertragschancen wiederum wiesen die Anleihen aus dem FAR-Programm zuletzt eine durchschnittliche Rendite von über sieben Prozent auf. Die Bonität Indiens wird mit „BBB-“ benotet, was noch Investment-Grade-Status ist. Die Volatilität und der bisherige maximale Drawdown indischer Staatsanleihen bewegten sich ungefähr auf dem Level der USA und China, also Emittenten mit höherem Rating und niedrigeren Renditen.
Von Bedeutung ist auch, dass Indien als Non-Defaulter eingestuft wird, worauf Königsmarck ergänzend verweist: Seit der Gründung der Reserve Bank of India im Jahr 1935 sei keine indische Staatsanleihe ausgefallen. Zwar ist die Staatsverschuldung mit 83 Prozent des BIP für ein Schwellenland recht hoch, doch der Trend ist positiv: In den vergangenen zwei Jahren ist der Schuldenstand um sechs Prozentpunkte zurückgegangen, weshalb Indien als verhältnismäßig krisensicher gilt. Zudem ist Indien fast ausschließlich im Inland verschuldet. Daneben verfügt das Land mit etwa 550 Milliarden Dollar über die viertgrößten Devisenreserven der Welt und die zweitgrößten aller Schwellenländer, hinter China.
Was die wirtschaftliche Entwicklung Indiens betrifft, beziffern die Volkswirte von Germany Trade & Invest (GTAI) das Wirtschaftswachstum im Finanzjahr 2022/23 (per 31. März) mit 7,2 Prozent. Für das Jahr 2023/24 rechnen sie mit 6,3 Prozent und für 2024/25 mit 6,4 Prozent. Als ein Grund für die sehr positive Entwicklung gelten die Spannungen zwischen China und dem Westen, von denen Indien unter dem Strich profitiert, schon allein weil nur Indien aufgrund seiner Größe in der Lage ist, eine Alternative zu China zu bieten.
Indiens Wirtschaftskraft wächst
„Indien spielt langfristig eine wichtige Rolle innerhalb der Schwellenländer“, sagt Dina Ting, Leiterin des Global Index Portfolio Management Teams bei Franklin Templeton. Sie nennt die starke demografische Entwicklung, die politischen Reformen und das wachsende Bruttoinlandsprodukt als Gründe, auf den indischen Markt zu setzen. Sie erwartet, dass der Subkontinent nach Wirtschaftskraft bis zum Jahr 2030 zu den Top 3 aufsteigen wird – neben China und den USA.
Eine gewisse Unsicherheit ist jedoch mit den im April und Mai 2024 stattfindenden 18. Parlamentswahlen verbunden. Premierminister Narendra Modi strebt mit seiner Bharatiya Janata Party eine dritte Amtszeit an, was an den internationalen Finanzmärkten begrüßt werden dürfte.
Modis Politik hat ausländische Unternehmen angelockt, darunter Branchengrößen wie Microsoft, Toyota und Samsung, und auch den Ausbau des inländischen Kapitalmarkts zum Ziel, was als vielversprechender Faktor für zukünftige Investitionen betrachtet wird. In den Meinungsumfragen liegt Modi zurzeit vorn, wie Dina Ting anführt, und auch die Vorwahlen Ende 2023 sind positiv für ihn ausgefallen. Letztlich habe all dies zu einem steigenden Interesse institutioneller Anleger an Indien geführt.
Wer in
indische Anleihen investieren will, kann dies inzwischen auch mit ETFs tun.
Bereits seit Oktober 2021 verfügbar ist der
L & G India INR Government Bond ETF. Er
hat inzwischen ein Volumen von rund 645 Millionen Dollar erreicht. Ein
Jahr jünger und deutlich kleiner ist der Xtrackers India Government Bond ETF.
BlackRock und der britische Renten-ETF-Spezialist Tabula haben erst kürzlich
ETFs für indische Staatsanleihen aufgelegt. Der Tabula FTSE Indian Government
Bond Short Duration ETF (ISIN: IE000061JZE2) investiert in indische Staatsanleihen mit maximal fünf
Jahren Restlaufzeit. Der neue iShares India INR Govt Bond ETF (ISIN: IE0004L9EID2) hält auch länger
laufende Papiere.
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