Jede Woche veröffentlichen führende Vermögensverwalter und Fondsgesellschaften weltweit zahlreiche fundierte Einschätzungen zu den Finanz- und Kapitalmarktmärkten. Um einen Überblick zu erhalten, fasst TiAM FundResearch regelmäßig die wichtigsten Aussagen für Sie kompakt zusammen.
11.11.2022 | 12:24 Uhr
Diese Woche standen bei den Volkswirten und Kapitalmarktexperten die Ergebnisse der Kongresswahlen sowie die Inflationsentwicklung in den USA im Fokus ihrer Analysen.
So wirft
Dr. Michael Heise, Chefökonom von HQ Trust, einen Blick auf die US-Midterms.:
„Die geringen Gewinne der
republikanischen Partei dürften auch ein Statement vieler Wähler gegen die
antidemokratischen Vorgänge sein, die das Land am 6. Januar 2021 erschüttert
haben und die mit Ex-Präsident Trump und anderen radikalen Republikanern
in Verbindungen stehen.
Bidens Politik ist trotz der hohen Inflation nicht abgestraft worden. Offenbar
haben die Wähler seine Erfolge am Arbeitsmarkt, bei der Pandemiebekämpfung und
dem Klimaschutz doch zur Kenntnis genommen. Der Wahlausgang wurde nicht von den
Sorgen über die hohe Inflation völlig überschattet.
Die umfangreiche parlamentarische Handlungsmacht der Demokraten ist Geschichte.
In der Wirtschaftspolitik wird in den kommenden zwei Jahren wenig
passieren. Für Wirtschaft und Kapitalmärkte ist eine „lahmende“ Regierung mit
eingeschränktem Handlungsspielraum aber nicht unbedingt nachteilig. Die Märkte
haben in der Vergangenheit bei geteilten Mehrheiten im Kongress oder
oppositioneller Mehrheit in beiden Häusern im Schnitt keinesfalls schlecht
abgeschnitten.
Europa sollte sich auch nach dem verhältnismäßig guten Abschneiden der
Demokraten nicht darauf verlassen, dass der US-Sicherheitsschirm so weit
aufgespannt bleibt. Die hohen Kosten des Ukrainekriegs werden auch
angesichts einer republikanischen Mehrheit im Repräsentantenhaus immer
kritischer gesehen werden.
Für Europa Staaten wird es teurer. Es gilt mehr aus eigener Kraft zu tun, nicht
nur im sicherheits- und außenpolitischen Bereich, sondern auch was die Wachstumskraft
der Wirtschaft angeht, die in den vergangenen beiden Jahren von den
Konjunkturprogrammen der Amerikaner profitiert hat. Die wird es in den
kommenden zwei Jahren nicht geben.
Das deutlich über den Erwartungen liegende Wahlergebnis für die Demokraten gibt
Rückenwind auf dem Weg zur Präsidentschaftswahl in 2024. Die Hoffnungen der
Demokraten hängen nun stark von der wirtschaftlichen Entwicklung und der
Normalisierung der Inflationsraten ab. Weitere Konjunkturprogramme der
Regierung scheiden aufgrund der wohl fehlenden Mehrheit im Repräsentantenhaus
aus. Die Demokraten sollten daher bestehende Initiativen etwa im
Infrastrukturbereich und beim Klimaschutz rasch vorantreiben und alles auf eine
Senkung der hohen Inflation ausrichten.
Da in der republikanischen Partei mit einer sehr kontroversen Debatte über den
geeigneten Präsidentschaftskandidaten zu rechnen ist, bieten sich Chancen für
die Demokraten, die allerdings ein starkes Team brauchen. Biden muss angesichts
seines fortgeschrittenen Lebensalters eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger
aufbauen, auch wenn er nochmals kandidieren sollte.“
Maria Municchi, Fondsmanagerin im Multi-Asset-Team bei M&G Investments, schreibt
ebenfalls zu den Auswirkungen der Zwischenwahlen in den USA:
„Die Zwischenwahlen in den USA scheinen bis zum Schluss spannend zu bleiben,
insbesondere im Senat, wo die Demokraten nur über eine knappe und damit
brüchige Mehrheit verfügen. Die jüngsten Umfragen sehen die Republikaner auf
dem besten Weg, die Kontrolle über das Repräsentantenhaus zu übernehmen, aber
auch ein Sieg der Republikaner im Senat ist nicht außer Reichweite.
Historisch gesehen sind Zwischenwahlen meist ungünstig für die Partei, die die
Regierung stellt, zumal in ihrer ersten Amtszeit. Für die meisten Wähler steht
diesmal der Zustand der US-Wirtschaft im Vordergrund, insbesondere die
steigenden Verbraucherpreise und das Risiko einer Rezession. Wenn die
Republikaner eine oder beide Kammern des Kongresses übernehmen, könnte das die
Gesetzgebung für die nächsten Jahre lähmen, gerade bei wichtigen Themen wie Besteuerung,
Konjunkturmaßnahmen und Schuldenobergrenze. Ein solches Ergebnis dürfte in
dieser für das Land kritischen Zeit der US-Notenbank deutlich mehr Einfluss auf
die Wirtschaftspolitik geben.
Wir gehen davon aus, dass sich die Marktvolatilität im Zusammenhang mit dem
Wahlausgang in Grenzen halten wird. Anleger werden eher die für Freitag
angekündigten US-Verbraucherpreisdaten im Blick behalten und auf
Anzeichen achten, ob die Inflation von den Konsenserwartungen abweicht. Wir
erwarten, dass die Inflation zwar allgemein nachlässt, sich in manchen Sektoren
aber hartnäckiger zeigt, so wie es die Fed in letzter Zeit auch schon
angekündigt hat.“
Tiffany Wilding,
PIMCO-Ökonomin für Nordamerika, äußert sich über die überraschend positiven US-Inflationsdaten
und die Änderung der Inflationsprognose ihres Hauses:
„Endlich ein milderer
Inflationsbericht. Wir hatten im Oktober auf Abwärtsrisiken für die
Inflation hingewiesen, aber dieser Bericht ist sogar milder ausgefallen als wir
und der Konsens erwartet hatten. Der Kernpreisindex stieg im Vergleich zum
Vormonat nur um 0,3 Prozent (gegenüber der Konsensschätzung von 0,5 Prozent im
Vormonatsvergleich). Auch die anderen Daten sind positiver ausgefallen als erwartet.
Die Preisnachlässe vor den Ferien und ein Rückgang bei den
Gebrauchtwagen dämpften den Gesamtindex, aber auch die Mietinflation erhielt
eine dringend benötigte Verschnaufpause, nachdem sie in den letzten Quartalen
überraschend stark gestiegen war. Während wir nach wie vor davon ausgehen, dass
sich die Inflation in den nächsten Monaten wieder etwas beschleunigen wird,
stärkt dieser Bericht auch unser Vertrauen in die von uns erwartete Bandbreite
von 4,5 bis 5,0 Prozent, bei der die Fed eine Pause einlegen wird. Wir haben
auch unsere Inflationsprognose für Dezember 2023 um 0,3 Prozentpunkte
auf 3,7 gegenüber 4,0 Prozent zuvor gesenkt.
Zu den Einzelheiten des heutigen Berichts ist zu sagen, dass die Inflation in
allen Kategorien schwächer als erwartet ausgefallen ist. Die Kerngüterpreise
sanken im Vormonatsvergleich um 0,4 Prozent, während sich die Inflation bei den
Dienstleistungen auf 0,5 Prozent gegenüber 0,8 Prozent im Vormonat
verlangsamte. Darüber hinaus verzeichneten Unterkategorien innerhalb der
Kerngüter, die zinssensitiver sein sollten (Kraftfahrzeuge und Möbel), im
Oktober Preisrückgänge.
Insgesamt hat der heutige Bericht, der schwächer als erwartet ausfiel,
unsere Prognosen für das kommende Jahr auf 3,7 Prozent gegenüber 4,0 Prozent
gesenkt. Aufgrund der Methodik des BLS für Krankenversicherungen wird sich der
Preisrückgang im Laufe des Jahres fortsetzen, was die monatliche sequenzielle
Inflation unter Druck setzen. Es ist jedoch zu bedenken, dass diese Kategorien
nicht in der PCE-Inflation, die aus den Konsumausgaben (PCE= Personal
Consumption Expenditure) abgeleitet wird, enthalten sind, was dazu beitragen
würde, die Kluft zwischen den beiden Reihen zu verringern.
Eine weitere mögliche Schlussfolgerung aus diesem Bericht ist, dass die Konsumausgaben
weiter nachlassen. Die Gewinnspannen im Einzelhandel (wie aus den
Regierungsdaten hervorgeht) haben sich in den letzten Quartalen überraschend
gut gehalten; wir gehen jedoch davon aus, dass der sinkende reale Verbrauch die
Fähigkeit der Einzelhändler, diese Gewinnspannen aufrechtzuerhalten,
beeinträchtigen wird. Die Daten zu den Einzelhandelsumsätzen für Oktober werden
nächste Woche veröffentlicht, und wir werden unsere Prognose mit den
Kreditkartendaten der Großbanken abgleichen.
Beim BlackRock
Investment Institute (BII) nehmen Jean
Boivin (Head, BII), Wei Li (Global Chief Investment Strategist, BII), Alex
Brazier (Deputy Head, BII)
und Vivek Paul (Head if Portfolio Research, BII) zu folgende
Punkten Stellung:
-
„Wir glauben nicht, dass die Aktien die Rezessionsrisiken
vollständig eingepreist haben. Die Gewinnprognosen sind immer noch zu
optimistisch“
-
„Die Marktpreise zeigen, dass die Märkte
weiterhin eine Normalisierung der Inflation erwarten. Wir gehen davon aus, dass
die Kerninflation vor allem aufgrund der anhaltenden Produktionsbeschränkungen
hartnäckig bleiben wird, insbesondere auf dem Arbeitsmarkt.“
-
„Die
Inflationsdaten in den USA stehen diese Woche im Mittelpunkt, nachdem die Arbeitsmarktdaten
einen anhaltenden Arbeitskräftemangel erkennen ließen. Wir glauben nicht, dass
die Daten die Fed davon abhalten werden, die Zinsen stark anzuheben.“
Prof. Dr. Jan
Viebig, Chief Investment Officer der ODDO BHF SE, befasst sich mit dem weiteren
Zinstrend. Er
geht nicht davon aus, dass der Inflationsdruck in den kommenden Monaten
aufgrund der erwarteten Wirtschaftsschwäche nachlässt, aus drei Gründen: Zum
einen müssten die Leitzinsen nach der Taylor-Regel noch weiter steigen, um die
Lücke zwischen Inflationsziel und tatsächlicher Inflation zu schließen,
zum anderen würden sich die stark gestiegenen Erzeugerpreise noch nicht
vollständig in den gestiegenen Verbraucherpreisen widerspiegeln und schließlich
trete die EZB nicht mehr als Netto-Anleihekäufer auf, was die Renditen
von Staatsanleihen steigen lassen dürfte:
„Starke Arbeitsmarktzahlen sowie die Kommentare von Fed-Chef Powell, dass
man „noch einiges zu erledigen habe und das auch tun werde“, deuten darauf hin,
dass die Leitzinsen weiter steigen werden. Angesichts einer
Verbraucherpreisinflation von 10,7% wird auch die EZB nicht darum herumkommen,
die Leitzinsen weiter zu erhöhen. Wir erwarten, dass die EZB die Leitzinsen in
mehreren Zinsschritten bis September 2023 weiter anheben wird.
Die Duration in unseren Anleiheportfolios bleibt weiter kurz. Die Zeit,
die Laufzeiten in den Anleiheportfolios zu verlängern, um von Kurssteigerungen
bei wieder fallenden Zinsen zu profitieren, ist aus unserer Sicht noch nicht
gekommen, da die Zinsen weiter steigen werden. Angesichts des Zinsanstiegs seit
Jahresanfang haben sich die Renditen von Anleihen von Unternehmens- und
Staatsanleihen deutlich erhöht. Zudem sind die Zinsunterschiede von Investment
Grade-Anleihen und Hochzinsanleihen relativ zu Staatsanleihen hoher
Bonität auf attraktive Niveaus gestiegen. Aktuell erhält man für Euro
IG-Anleihen 4,2% und für Euro-Hochzinsanleihen 7,9% (Stand: 01.11.2022). In der
Vergangenheit hat es sich als vorteilhaft erwiesen, das Kreditrisiko
erst nach Beginn einer Rezession schrittweise zu erhöhen. Dafür ist es
noch zu früh. Wir bleiben daher noch in Lauerstellung: Wir werden das
Kreditrisiko vermutlich erst Anfang 2023 erhöhen, da wir weiterhin von
steigenden Zinsen und Risikoaufschlägen ausgehen.“
Chris Iggo, CIO
Core Investments bei AXA Investment
Managers, analysiert die Rekordgewinne im Energiesektor:
„Die relative
Wertentwicklung der US-Energieaktien gegenüber dem Gesamtmarkt und insbesondere
gegenüber den Sektoren der ‚New Economy‘ war in diesem Jahr bemerkenswert. Laut
Bloomberg verzeichnete der Energiebereich einen Kursanstieg um 64
Prozent, während Informationstechnologie und Kommunikationsdienste 32 und 44
Prozent verloren. Diese Entwicklung entspricht der wirtschaftlichen Lage. Die
Energiepreise sind hoch, während die Nachfrage nach Technologieprodukten
abnimmt, weil sich das Wachstum insgesamt verlangsamt. Die aktuelle
Konsenserwartung für den Gewinn je Aktie (EPS) im S&P
500-Energiesektor für die kommenden zwölf Monate liegt bei 70 Dollar,
verglichen mit 34 Dollar vor einem Jahr. Im Gegensatz dazu liegt die Prognose
für das EPS-Wachstum bei Kommunikationsdienstleistern bei minus 10,5 Prozent.
Die aktuelle Berichtssaison verdeutlicht die divergierende Entwicklung: Die
Gewinne im Energiesektor überraschten positiv, während
Kommunikationsdienstleister enttäuschten (plus zehn Prozent gegenüber minus
vier Prozent). In der vergangenen Woche meldeten die großen Energiekonzerne auf
beiden Seiten des Atlantiks Quartalsgewinne auf Rekordniveau.
Für
Aktienanleger mit einer Tendenz zu langer Duration, zur New Economy, Wachstum
und ESG ist dies frustrierend. Wer in Energie untergewichtet war, hat eine
Underperformance gegenüber den Benchmark-Aktienindizes. Und es passte
auch nicht zum Narrativ. Börsennotierte Energieunternehmen spiegeln nach wie
vor die weltweite Abhängigkeit von kohlenstoffbasierten Energiequellen wider
und langfristig ist davon auszugehen, dass die Nachfrage im Zuge der
Dekarbonisierung der Welt zurückgehen wird. Die Rekordgewinne im Energiesektor
sind nicht darauf zurückzuführen, dass Energie nun einen zusätzlichen inneren
Mehrwert hat. Sondern darauf, dass die Preise durch die Kombination aus der
Erholung des globalen BIP-Wachstums nach Covid und den
Lieferkettenproblemen im Zusammenhang mit der Invasion Russlands in der Ukraine
sowie den anschließenden Sanktionen in die Höhe getrieben wurden. Trotz Milliardeninvestitionen
in erneuerbare Energiequellen reicht es aber nicht, um Öl, Gas und Kohle als
dominierende Energiequellen abzulösen. Solange die Energiepreise weltweit hoch
bleiben, gilt dies auch für die Gewinne im Energiesektor.
Im Gegensatz
dazu haben die Bereiche der New Economy in 2022 gelitten. Nachdem die Ausgaben
während der Pandemie stark gestiegen sind, zeigen die jüngsten Zahlen eine
gewisse Verlangsamung bei digitaler Werbung, Cloud-Investitionen und der
allgemeinen IT-Nachfrage der Verbraucher. Die Geschäftsmodelle werden in Frage
gestellt und selbst die größten Online-Händler sind gegen die nachlassende
Konsumnachfrage nicht immun. Auch die Investitionen der Unternehmen werden 2023
angesichts der höheren Finanzierungskosten wohl schwächer ausfallen.
Die
Aktienkurse der börsennotierten Unternehmen, die diese Waren und
Dienstleistungen herstellen, waren teuer, da sie auf der Annahme eines
überdurchschnittlichen und stabileren Gewinnwachstums basierten. Diese
Annahme wird durch die Verknappung der Geldmenge und das langsamere Wachstum in
Frage gestellt. “
„Die ‚Old
Economy‘ (fossile Energieträger) ist weitgehend für die derzeitige Inflation
verantwortlich, während die New Economy dazu beigetragen hat, die Inflation in
den vergangenen zwanzig Jahren niedrig zu halten. Das Ergebnis ist, dass die
Preisniveaus weit über die Zielmarke der Zentralbanken gestiegen sind
und die Eindämmung der Preisveränderungsrate die wichtigste politische
Herausforderung ist. Die optimistische Interpretation der Notenbankaktivitäten
in dieser Woche ist, dass sie alle sagen, dass sie die bereits getätigten
Zinserhöhungen berücksichtigen müssen, und andeuten, dass künftige
Zinserhöhungen langsamer erfolgen könnten. Dennoch ist die US-Wirtschaft nach
wie vor stark und die Fed die aggressivste Notenbank. Das bedeutet, dass unsere
positive Einschätzung von Staatsanleihen immer wieder zurückgenommen
wird. Aber wir halten eine Spanne von 4,0 bis 4,5 Prozent für die
Rendite zehnjähriger Anleihen für angemessen. Im kommenden Jahr dürften längere
Laufzeiten wieder beliebter werden, da die realen Renditen ihren Höhepunkt
erreichen. Und das gilt nicht nur für Anleihen, sondern auch für
Wachstumsaktien.“
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