ODDO BHF: Doppelter Vorzeichenwechsel an den Kapitalmärkten

Prof. Dr. Jan Viebig CIO ODDO BHF SE
Kapitalmärkte

Wir erleben an den Kapitalmärkten gerade einen doppelten Vorzeichenwechsel. Zum einen tritt die Geldpolitik in den USA und Europa in eine neue Phase ein. Zum anderen vollzieht sich an den Aktienmärkten in diesen Wochen offenbar ein interessanter Favoritenwechsel.

17.04.2024 | 10:30 Uhr

In den vergangenen Monaten schien der Weg der beiden großen Zentralbanken, der Fed in den USA und der EZB für die Eurozone, vorgezeichnet: Die Marktteilnehmer gingen fest davon aus, dass die Inflation rasch besiegt werden könnte, zumal die Teuerung bei Lebensmitteln und Energie zwar zu höheren Lohnforderungen führte, aber keine Lohn-Preis-Spirale auslöste. Bis zu sieben Zinssenkungen in diesem Jahr erwarteten die Marktteilnehmer vor einigen Monaten noch für die Fed. Und auch die EZB sollte ihre Leitzinsen demnach in diesem Jahr rasch senken.

Danach sieht es nicht mehr aus. Zwar ist die Inflation im Euroraum einer ersten Schätzung zufolge im März 2024 auf 2,4 Prozent gesunken. Damit hat sich der Rückgang der Teuerungsrate fortgesetzt - im Februar 2024 lag sie bei 2,6 Prozent und ein Jahr zuvor, im März 2023, sogar noch bei 6,9 Prozent. Doch die Kerninflation, in deren Berechnung die schwankungsanfälligen Preise für Energie und Lebensmittel ausgeklammert werden, lag auch noch im März 2024 bei 2,9 Prozent. Damit hat die EZB im Kampf gegen die Inflation zwar große Fortschritte erzielt. Allerdings ist sie noch nicht besiegt. In den USA hat die Inflation sogar wieder angezogen. Der Anstieg ist nicht dramatisch, doch ist der Trend, der straff nach unten zeigte, offenbar erst einmal gebrochen. Die Inflation erhöhte sich im März 2024 im Jahresvergleich auf 3,5 Prozent. Im Januar 2024 lag sie bei 3,1 Prozent und im Februar bei 3,2 Prozent.

Es scheint sich wieder einmal eine alte Ökonomen-Weisheit zu bewahrheiten: Die letzte Meile ist die schwierigste. Nach wie vor gehen von der Lohnentwicklung Risiken aus, und auch der jüngste Ölpreisanstieg auf rund 90 Dollar pro Fass sorgt für Unsicherheiten. Die Rückführung der Inflation unter die mittelfristige Zielmarke von 2 Prozent, die sich die EZB wie auch die Fed gesetzt haben, ist kein Selbstläufer.

Wir rechnen weiterhin damit, dass die Fed und die EZB in diesem Jahr die Zinsen weiter senken werden und dass sie möglicherweise noch vor den Sommerferien einen ersten Schritt machen könnten. Doch wir stellen uns auch darauf ein, dass sowohl die Zahl der Zinsschritte wie auch das Ausmaß der Zinssenkungen in diesem Jahr unter dem bleiben werden, was die Marktteilnehmer noch vor wenigen Monaten erwartet hatten. Dies ist kein dramatischer Vorzeichenwechsel. Doch sollten die Anleger unter den aktuellen Voraussetzungen nicht allzu große Hoffnungen auf eine Unterstützung durch die Geldpolitik setzen.

Der zweite Vorzeichenwechsel betrifft die Aktienmärkte. In den vergangenen Monaten hatten Anleger nur wenig Chancen, dem Phänomen der „Glorreichen Sieben“ an den amerikanischen Aktienmärkten zu entgehen. In Anspielung auf den berühmten Western aus dem Jahr 1960 werden damit jene Tech-Aktien bezeichnet, die den Aktienindex S&P 500 in den vergangenen Monaten maßgeblich nach oben bewegt haben: Apple, Microsoft, Alphabet, Nvidia, Tesla, Amazon und Meta allein machen fast die Hälfte der Marktkapitalisierung des technologieorientierten Aktienindex Nasdaq Composite und 30 Prozent des breiteren S&P 500 aus.

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