Seit zehn Jahren haben Emerging-Market-Währungen stark abgewertet. Wer in Lokalwährungsanleihen investiert hat, hat nur selten Währungsgewinne verbucht; die Wechselkursentwicklung sorgte meist für Volatilität und Verlust.
07.12.2020 | 08:46 Uhr
Die folgende Abbildung zeigt, wie hoch die Verluste sind: Seit Anfang 2010 hat die türkische Lira mehr als 80% und der brasilianische Real fast 70% verloren.
Haben die Emerging-Market-Währungen jetzt ihren Tiefpunkt erreicht? Und sollten wir in den nächsten zehn Jahren jetzt mit einer generellen Aufwertung rechnen?
Natürlich könnten unterbewertete Emerging-Market-Währungen in den nächsten zwölf bis 18 Monaten zulegen, wenn sich die Weltwirtschaft von COVID-19 erholt und wieder stärker wächst. Aber an einer längerfristigen Aufwertung gibt es nach wie vor Zweifel.
Obwohl viele Emerging-Market-Währungen nach unserem Modell für den fairen Wert jetzt fundamental unterbewertet sind, dürften strukturelle und konjunkturelle Faktoren eine Aufwertung verhindern. Sie könnten sich daher oft als Value-Fallen erweisen.
Nach unserem fundamentalen Wechselkursmodell sind Emerging-Market- Währungen unterbewertet
Nach den Abwertungen der letzten Jahre stellt sich zwangsläufig die Frage, ob die Emerging-Market-Währungen jetzt unter ihrem fairen Wert notieren.
Leider lässt sich ein gleichgewichtiger Wechselkurs nicht eindeutig ermitteln. Man kann den fairen Wert unterschiedlich definieren. Wir bevorzugen einen Gleichgewichtsansatz – unser selbst entwickeltes FEVER-Modell. FEVER steht für Fundamental Equilibrium Value Exchange Rates.
Unser Modell beruht unter anderem auf der Kaufkraftparität (PPP), die die langfristige Entwicklung der in- und ausländischen Verbraucherpreise zu den Wechselkursen in Beziehung setzt. Das Modell berücksichtigt aber auch, dass sich der gleichgewichtige reale Wechselkurs ändern kann. Für die Analyse von Emerging-Market-Währungen ist das sehr wichtig.
Unser Modell kann daher zwei empirische Beobachtungen abbilden: erstens, dass die Währungen von Ländern mit einer niedrigen Inflation auf Dauer meist aufwerten, beispielsweise der japanische Yen, und zweitens, dass auch ein schnelles Produktivitätswachstum in der Regel zu Währungsaufwertungen führt, so wie in den 1990er-Jahren bei Emerging-Market-Währungen.
Die folgende Abbildung zeigt, wie unser Fundamentalmodell den fairen Wert von Emerging-Market-Währungen zurzeit einschätzt.
Man sieht zweierlei: Erstens sind die meisten Emerging-Market-Währungen jetzt unterbewertet – ganz anders als vor zehn Jahren, als sie meist überbewertet waren. Zweitens streuen die Bewertungen heute sehr viel stärker als früher. Einige Währungen sind noch immer leicht überbewertet, vor allem die asiatischen, einschließlich des chinesischen Renminbi. Andere scheinen hingegen stark unterbewertet, etwa die türkische Lira, der brasilianische Real und der kolumbianische Peso.
Konjunktureller Gegenwind ...
Da viele Emerging-Market-Währungen der Konjunktur folgen, hängt das Ausmaß einer Währungsrallye vom allgemeinen Wirtschaftsausblick ab.
Nach unserer jüngsten Prognose rechnen wir nach Corona mit einer etwas schwächeren Erholung als 2008/2009, also nach der internationalen Finanzkrise. 2021 dürfte die Weltwirtschaft um 5,4% wachsen.
Wir gehen davon aus, dass vor allem das hohe Wachstum Chinas und eine weniger starke Erholung anderer Emerging Markets die Weltkonjunktur bestimmen.
Viele Besonderheiten der Corona-Rezession, etwa ihre Folgen für die Rohstoffpreise, der nachlassende Tourismus und weniger Heimatüberweisungen treffen die Emerging-Market-Länder besonders hart. Da unklar ist, wie schnell und wo ein COVID-19-Impfstoff verfügbar sein wird, dürfte die Gesundheitskrise viele Emerging Markets noch länger beschäftigen. Da sie außerdem weniger geld- und fiskalpolitischen Spielraum haben als viele Industrieländer, bleibt ihre Wirtschaftslage schwierig.
Da viele Emerging Markets dem Beispiel der Industrieländer gefolgt sind und ihre Geld- und Fiskalpolitik gelockert haben, ist ein Anstieg der Verschuldung auf ein nicht mehr nachhaltiges Niveau ein nicht zu unterschätzendes Risiko.
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