Capital Group: Die „Nachtwache“ bringt Licht in Marktstörungen

Capital Group: Die „Nachtwache“ bringt Licht in Marktstörungen
Unternehmensverschuldung

Bei oberflächlicher Betrachtung erscheint es unwahrscheinlich, dass ein niederländisches Gemälde aus dem 17. Jahrhundert eine sonderliche Relevanz für das volatile Anlageumfeld von heute hat. Von Julian Abdey , Jared Franz & Anne-Marie Peterson.

21.07.2020 | 09:23 Uhr

Wenn Sie jedoch Rembrandts Meisterwerk „Die Nachtwache“ in Ruhe betrachten, werden Sie feststellen, dass jede Person auf dem Gemälde in eine andere Richtung blickt, wodurch jeder Einzelne einen einzigartigen Blickwinkel zur Gruppe beiträgt.

Springen wir nun 400 Jahre in die Zukunft, wo die „Nachtwache“ als Inspiration für ein multidisziplinäres Researchteam bei Capital Group dient, das danach strebt, ein tieferes Verständnis von Marktstörungen zu erlangen, indem es die Risiken beurteilt und die Gelegenheiten untersucht, die sich in Zeiten extremer Krisen ergeben. Es dürfte nicht überraschen, dass der derzeitige Fokus der Gruppe auf COVID-19 liegt.

„Das Ziel von Night Watch ist es, sich hochgradig ungewisse Ereignisse anzusehen, bei denen das Ergebnis weitestgehend unklar ist, und diese aus allen Blickwinkeln zu untersuchen“, erläutert Ökonom Jared Franz von Capital Group, der für die USA und Lateinamerika zuständig ist. „Wie die Personen auf dem Gemälde halten wir Ausschau in alle Richtungen, beurteilen alle möglichen Szenarios und betrachten alle potenziellen Ergebnisse.“

Szenarioplanung statt Vorhersagen

"Regel Nr. 1 von Night Watch ist: Vorgefasste Meinungen müssen leider draußen bleiben. Der Ausgangspunkt darf nicht sein, wovon man glaubt, dass es geschehen wird – vielmehr muss man sich ansehen, was passieren könnte“, fügt Julian Abdey, ein Aktienportfolioverwalter und aktiver Teilnehmer der Gruppe, hinzu. "Hier geht es um die Beurteilung der möglichen Szenarios – von sehr negativ bis sehr positiv – und das Verständnis dessen, was jedes einzelne für eine Vielzahl von Asset-Preisen bedeuten würde. Letztendlich liegt es im Ermessen der verschiedenen Anlageabteilungen sowie der einzelnen Portfolioverwalter und Analysten, festzustellen, wie wahrscheinlich jedes einzelne ist."

Dieses Konzept trifft den Kern von The Capital System℠, das auf den zahlreichen und vielfältigen Perspektiven der Anlagespezialisten von Capital Group aufbaut, gepaart mit unabhängigen, auf hoher Überzeugung basierenden Entscheidungen. Night Watch trifft keine eigenen Anlageentscheidungen, sondern trägt dazu bei, dass das breitere Unternehmen fundierte Entscheidungen treffen kann.

Das Night Watch-Team von Capital Group wurde im Anschluss an die weltweite Finanzkrise von 2008–09 gebildet, um sich um die Szenarioplanung im Umfeld schwerer Rezessionen zu kümmern. In jüngeren Jahren untersuchte das Team das Risiko steigender Unternehmensverschuldung. Dieses Jahr nahm sich die Gruppe ihrer vielleicht gewaltigsten Krise an: dem Coronavirus-Ausbruch und den daraus resultierenden Lockdowns durch die Regierungen, die den schlimmsten Konjunktureinbruch seit der Großen Depression ausgelöst haben.

Das Unternehmensschulden-Dilemma

Bei der Analyse der Unternehmensverschuldung gab das Night Watch-Team eine Frühwarnung hinsichtlich der steigenden Schuldenstände und der sich verschlechternden Kreditbedingungen am US-amerikanischen Markt für Unternehmensanleihen heraus.

Im Anschluss an die Finanzkrise schufen die ultraniedrigen Zinssätze und die Zentralbankaktivitäten zum Ankauf von Anleihen ein Umfeld, in dem sich viele Unternehmen große Summen Geld zu historisch niedrigen Finanzierungskosten leihen konnten. Die „Jagd nach Rendite“ einiger Anleger beschleunigte den Vorgang, was die Unternehmen ermutigte, weiter ihrem Kreditrausch zu frönen, obwohl sich der Zyklus bereits in einem späten Stadium befand. Noch besorgniserregender: Unternehmen mit verhältnismäßig niedrigen Kreditratings machten letztes Jahr über 50 % des Marktes aus.

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„Wir konnten beobachten, dass in die Höhe schießende Schuldenstände bei den Unternehmen zu einem Ungleichgewicht in der Wirtschaft führten“, so Franz – dessen Formel für die Vorhersage einer Rezession zu gleichen Teilen aus einem späten Wirtschaftszyklus, steigendem Ungleichgewicht und einem Katalyator besteht, der alles ins Rollen bringt. „Wir arbeiteten eng mit unserem Fixed-Income-Team zusammen, um das Downside-Risiko für bestimmte Unternehmensanleihen zu quantifizieren, damit dieses seine Anlageentscheidungen für jedes einzelne Wertpapier treffen konnte.“

Dieser Ansatz für die Anlage in Anleihen ist ein wichtiger Aspekt bei der Aufrechterhaltung eines ausgewogenen und aktiv verwalteten Portfolios, wie Festzins-Portfolioverwalter John Queen erklärt.

„Eine der wirklichen Stärken von Night Watch und anderen multidisziplinären Researchgruppen besteht in der Tatsache, dass es mehrere Ansichten zu jedem Problem gibt – oder gewissermaßen mehrere Augen, durch die dieses gesehen wird“, so Queen. „Einige unserer Analysten sind zugleich auch Anleger, weshalb wir beim Herannahen einer Krise die Branchen und die Unternehmen bereits gut kennen und schnell handeln können, falls dies angesichts der Entwicklungen erforderlich ist.“

Auge in Auge mit dem Virus

Bei ihrer laufenden Coronavirus-Analyse untersuchte die Night Watch-Gruppe einmal mehr die Krise aus allen Blickwinkeln, einschließlich der wirtschaftlichen, marktbezogenen und gesundheitlichen Aspekte. Das Team betrachtete zahlreiche Rezessions- und Erholungsszenarios im Detail: V-förmig, U-förmig, W-förmig, L-förmig und selbst einen Verlauf, der dem Logo von Nike ähnelt. Dabei erstellte es ein wöchentliches Dashboard, mit dem sich in Echtzeit verfolgen lässt, welche Szenarios wahrscheinlicher sind.

Was die US-Wirtschaft betrifft, häufen sich Franz zufolge die Anzeichen für eine U-förmige Erholung. Massive Konjunkturmaßnahmen der Regierung helfen, die wirtschaftlichen Auswirkungen abzumildern, doch behindern steigende Infektionszahlen in zahlreichen US-Staaten die Erholungsanstrengungen.

„Es gibt immer noch viel, was wir bezüglich des Virus nicht wissen, und ich denke, dass die nächsten paar Monate hart werden“, meint Franz. „Längerfristig, vielleicht in einem Jahr oder so, halte ich es für wahrscheinlich, dass es eine Impfung geben wird, und das lässt auf eine stärkere Erholung Ende 2021 oder Anfang 2022 hoffen.“

Tatsächlich funken die weltweiten Aktienmärkte eine solche Erholung, wenn man die außerordentliche Rally seit Ende März betrachtet. Aus historischer Sicht war dieses Muster schon oft zu beobachten, wenn Märkte sich ihren Weg mit Vollgas aus früheren Ausbrüchen bahnten, einschließlich der Schweinegrippe, MERS, Ebola und des Zikavirus.

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Auswirkungen auf Anlagen

Die Anlagen während des COVID-19-Ausbruchs beschleunigten in mancher Hinsicht Trends, die es bereits vor der Pandemie gab, beispielsweise das Wachstum von E-Commerce und Cloud Computing. Das Virus trieb den Niedergang einiger Unternehmen voran, beispielsweise im klassischen Einzelhandel, die schon zuvor ums Überleben kämpften. Doch hatte es auch eine verheerende Auswirkung auf einige Branchen, denen es zuvor gut ging, insbesondere die Reise- und Tourismusbranche – was bedeutet, dass die Aussichten sehr sektor- und unternehmensspezifisch sind.

Unternehmen wie Amazon, Netflix und Shopify profitierten enorm von der „Stay at home“-Ära, während Unternehmen wie Airbus, Boeing und Royal Caribbean darunter litten. Jedoch können beide Szenarios attraktive Anlagegelegenheiten bieten, wie Aktienportfolioverwalterin Anne-Marie Peterson anmerkt.

„Ich verfolge eher einen Mikro- als einen Makro-Ansatz, doch steht außer Frage, dass das aktuelle Makroumfeld zu einer Phase außerordentlichen Wandels führt“, so Peterson. „Einige Unternehmen werden stärker, einige werden schwächer und einige verschwinden. Ich denke, das Night Watch-Team demonstriert vor allem, dass wir eine unglaubliche Gruppe von Forschern haben, die diese Makroereignisse auf einem sehr profunden Niveau beurteilt, was uns hilft, die Risiken zu verstehen und letztendlich die langfristigen Anlagegelegenheiten zu ergreifen, die sich häufig in Krisenzeiten ergeben.“



Über die Autoren

Julian Abdey - Aktienportfoliomanager

Julian ist ein Aktienportfoliomanager mit 24 Jahren Erfahrung in der Investmentbranche. Bevor er zu Capital kam, war er Portfoliomanager und Analyst für Aktienforschung bei HSBC Asset Management, wo er US-Finanzunternehmen betreute und verschiedene wachstumsorientierte Fonds verwaltete. Er besitzt einen MBA von Stanford und einen Wirtschaftsabschluss von der Cambridge University.

Jared Franz - Wirtschaftswissenschaftler

Jared ist Wirtschaftswissenschaftler für die USA und Lateinamerika. Er verfügt über 15 Jahre Investitionserfahrung. Bevor er 2014 zu Capital kam, war Jared Leiter der internationalen makroökonomischen Forschung bei der Hartford Investment Management Company und ein internationaler und US-amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler bei T. Rowe Price. Er hat einen Doktortitel in Wirtschaftswissenschaften von der University of Illinois und einen Bachelor-Abschluss von Northwestern.

Anne-Marie Peterson - Portfoliomanagerin

Anne-Marie Peterson ist Portfoliomanagerin mit 25 Jahren Erfahrung. Sie hat einen Bachelor in Volkswirtschaftslehre von der University of California, Irvine, und ist CFA-Absolventin.

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