Capital Group: Welche Unternehmen erweisen sich in der COVID-Ära als erfolgreich?

Capital Group: Welche Unternehmen erweisen sich in der COVID-Ära als erfolgreich?
Interview

Als Managerin für weltweite Aktien bei Capital Group konnte Jody Jonsson die Entwicklung der Globalisierung verfolgen, während sie in Genf, San Francisco, Los Angeles und London lebte und arbeitete. Sie hat in ihren mehr als 30 Jahren Berufstätigkeit viel erlebt, aber kein Jahr war so wie 2020.

04.11.2020 | 08:15 Uhr

Jonsson sucht nach wachstumsorientierten multinationalen Unternehmen, die von der Veränderung der globalen Handelsmuster profitieren. Das mag in einer Zeit, in der die durch eine Pandemie verursachte Abschottung die Weltwirtschaft fast zum Erliegen gebracht hat, wie eine gewaltige Aufgabe erscheinen.

Wie agieren multinationale Unternehmen in einem so turbulenten Wirtschafts-, Markt- und Handelsumfeld? In dem folgenden Interview spricht Jonsson über ihre Ansichten:

Sind Sie in der Lage, inmitten der beispiellosen Handelsunterbrechungen, die wir in diesem Jahr erlebt haben, überzeugende Anlagemöglichkeiten zu finden?
Absolut. Der Schlüssel liegt darin, sich daran zu erinnern, dass der Welthandel nicht nur physische Waren umfasst, die von einem Ort zum anderen bewegt werden. Heutzutage findet der grenzüberschreitende Handel zunehmend online über digitale Transaktionen und Dienstleistungen statt, die in vielen Fällen keinen Grenzbeschränkungen unterliegen und nicht durch Transportprobleme behindert werden. Ich suche nach gut geführten multinationalen Unternehmen, die von der Veränderung der Muster im Welthandel und nicht einfach nur von seinem Wachstum profitieren können.

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In der COVID-Ära hat sich eine große Lücke zwischen Unternehmen mit gut entwickelten globalen E-Commerce-Kapazitäten und jenen aufgetan, die nicht in der Lage waren, ihre Geschäfte schnell auf den Onlinehandel zu verlagern. Zwar ist 2020 mit Sicherheit das schwierigste Jahr, das ich in meiner beruflichen Laufbahn im Investmentbereich je erlebt habe, aber es ist auch eines der besten Jahre überhaupt für große multinationale Unternehmen mit effizienten digitalen Geschäftsmodellen. In vielen Fällen hat sich ihr Wachstum während des Abschwungs beschleunigt.

Amazon, Alphabet, Facebook und Netflix sind die Namen, an die die Menschen in Bezug auf digitale Anführer denken, es gibt aber auch Online-Zahlungsverarbeiter wie PayPal, Cloud-Computing-Anbieter wie Microsoft und Chiphersteller wie Taiwan Semiconductor, die in der Phase der extremen Markt- und Wirtschaftsvolatilität eine unglaubliche Widerstandsfähigkeit bewiesen haben. Ich denke, dass insbesondere digitale Zahlungsverarbeiter eine spannende Gelegenheit darstellen, da wir einen steilen Anstieg bei den „kontaktlosen“ Transaktionen beobachten konnten.

Sobald diese Krise vorüber ist, werden meines Erachtens viel mehr Menschen kein Problem mehr damit haben, digitale Zahlungen zu leisten, und sie werden vermutlich nicht mehr so häufig wie früher das Gefühl haben, bar zahlen zu müssen. Das ist ein starker Rückenwind für Unternehmen wie PayPal, Mastercard, Visa und MercadoLibre, um nur einige zu nennen. Ich denke, in zehn Jahren werden digitale Zahlungen die Norm sein, und die Menschen werden Sie komisch anschauen, wenn Sie versuchen bar zu bezahlen.

Was ist es, was multinationale Unternehmen in unsicheren Zeiten so widerstandsfähig macht?

Meiner Ansicht nach liegt das daran – allgemein gesprochen – dass diese Unternehmen von intelligenten, taffen und erfahrenen Managern geführt werden, die schon in allen Arten von Handelsumfeldern tätig waren, sowohl günstigen als auch ungünstigen.

In den meisten Fällen sind das große, krisenerprobte Unternehmen mit einer guten Kapitalausstattung, die ihren Weg zum Erfolg finden können, ganz gleich, welche Steine ihnen in den Weg gelegt werden. Es gibt einen Grund dafür, dass multinationale Unternehmen die Weltwirtschaft dominieren. Starke globale Unternehmen werden meiner Ansicht nach aus der Pandemie noch stärker hervorgehen als zuvor. Sie sind einfach besser in der Lage, den Sturm zu überstehen. Nichts, was wir in der COVID-Ära erlebt haben, hat meine Meinung diesbezüglich verändert.

Welche anderen interessanten Anlagethemen haben sich während der Pandemie herauskristallisiert?


Die Gesundheitsversorgung ist offensichtlich ein Bereich, dem gerade viel Aufmerksamkeit zuteil wird. Alle Augen ruhen auf den Pharmaunternehmen, die an der Entwicklung eines Impfstoffs gegen COVID arbeiten. Was ich aber noch viel interessanter finde, sind Unternehmen, die medizinische Geräte und Verbrauchsmaterialien anbieten, wie z. B. Thermo Fisher. Wir wissen vielleicht nicht, welcher Arzneimittelhersteller der erste sein wird, der einen sicheren und wirksamen Impfstoff entwickelt, aber wir wissen, dass er die speziellen Geräte und die Verbrauchsmaterialien kaufen muss, die von weniger bekannten Unternehmen im Gesundheitssektor zur Verfügung gestellt werden.

Im klassischen Einzelhandelssektor, der in den letzten sieben Monaten schwer getroffen wurde, gibt es zahlreiche Belege dafür, dass starke Unternehmen noch stärker werden. Ich würde da als Beispiele die US-Einzelhandelsunternehmen Costco und Home Depot nennen. Als „systemrelevant“ erachtete Einzelhandelsunternehmen, die zudem die Fähigkeit haben, eine in die Höhe schießende Nachfrage zu decken, konnten ihren Marktanteil vergrößern. Je länger die Lockdowns andauern, desto mehr Menschen gewöhnen sich daran, in diesen Geschäften einzukaufen, und sie werden es wahrscheinlich auch weiter tun, wenn die Wirtschaft wieder vollständig geöffnet wird. Nike ist ein anderes Beispiel für ein Unternehmen, das extrem gut damit gefahren ist, den Vertrieb massiv in den Onlinehandel zu verlagern. Im Wesentlichen hat die COVID-Krise die Stärke guter Geschäftsmodelle verstärkt.

Sind die dominierenden multinationalen Unternehmen in den Vereinigten Staaten ansässig?

Die USA haben gewiss eine große Zahl davon, aber Anleger, die sich nur auf die USA fokussierten, würden sich selbst einen Bärendienst erweisen. Europäische Aktien beispielsweise sind auf Indexbasis vielleicht hinter den US-Märkten zurückgeblieben, aber es gibt bestimmte Unternehmen außerhalb der USA, die weltweit führend sind. Nestlé zum Beispiel — der größte Lebensmittelkonzern der Welt. Und LVMH — das größte Luxusgüterunternehmen der Welt. Ich betrachte multinationale Unternehmen nicht als US-Unternehmen, französische Unternehmen oder britische Unternehmen, sondern ich betrachte sie als globale Unternehmen, die globale Gelegenheiten bieten.

Bei den Schwellenmärkten ist es im Wesentlichen genauso. Ja, es gibt dort weniger große multinationale Unternehmen, aber ihre Zahl und ihr Einfluss wachsen. In den letzten drei Jahrzehnten ist Taiwan Semiconductor zu einem der größten Chiphersteller der Welt geworden, mit einer beeindruckenden Kundenbasis, zu der unter anderem Apple, Sony und Qualcomm zählen. Viele andere Länder, z. B. China, Indien und Brasilien, fördern ihre eigenen multinationalen Giganten, die eine echte Konkurrenz für ihre Pendants aus den USA und aus Europa darstellen.

Glauben Sie angesichts der Handelskriege, der Zunahme populistischer Politik und den Sorgen rund um das Virus, dass sich der Prozess der Globalisierung umkehren kann?

Ich sehe das nicht als eine Umkehr, ich sehe das als einen Prozess, in dem multinationale Unternehmen sich an ein sich wandelndes globales Handelsumfeld anpassen. Meiner Ansicht nach werden Unternehmen ihre internationalen Produktionsstätten und ihre internationale Kundenbasis beibehalten, sie werden jedoch zunehmend lokale Redundanzen in ihren operativen Betrieb integrieren. Ich nenne das „Multi-Lokalisierung“. Dazu gehört, dass einige Teile der Lieferkette wieder zurück in die USA verlagert, andere Teile weiterhin ausgelagert und neue Produktionsstätten in Schlüsselbereichen auf der ganzen Welt errichtet werden. Das ist eine weitere Lektion, die wir aus der COVID-Krise gelernt haben — es ist von entscheidender Bedeutung, diversifizierte Lieferketten zu haben.

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Wie ist Ihr Ausblick für globale Aktien im Jahr 2021 und darüber hinaus?

Wir bei Capital Group sind langfristige Anleger, daher versuche ich nicht, eine Prognose für die nächsten ein oder zwei Jahre abzugeben. Dennoch glaube ich, dass 2021 wahrscheinlich eine schwierige Übergangszeit sein wird, da die großen Volkswirtschaften der Welt versuchen werden, sich wieder vollständig zu öffnen und dabei das Virus unter Kontrolle zu halten. Wie unsere internen Ökonomen sagen: „das Virus ist die Wirtschaft“, und bis wir einen Impfstoff haben, bleibt der Pfad der Erholung äußerst ungewiss. Zudem haben wir eine entscheidende Wahl in den USA, die die Unsicherheit noch erhöhen könnte, wenn das Ergebnis weit über die Wahlnacht hinaus unbekannt bleibt, wie einige politische Beobachter voraussagen.

Aus Anlagesicht haben Ereignisse wie diese wenig bis gar keinen Einfluss auf meine Portfoliopositionierung. Ich suche nach Unternehmen mit potenziell langfristigen Wachstumsperspektiven und der Fähigkeit, ihren Marktanteil unabhängig von Veränderungen im makroökonomischen oder politischen Umfeld zu erhöhen. Die Arten von Unternehmen, die ich bevorzuge, sind in der Regel nicht empfindlich gegenüber zeitnahen Ereignissen. Daher verschwende ich nicht viel Zeit damit, mir Sorgen über die neuesten Schlagzeilen zu machen. Ich glaube sogar, dass eine zu große Aufmerksamkeit für diese Ereignisse für erfolgreiche, langfristige Investitionen schädlich sein kann.

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Was glauben Sie, wie sich einige Ihrer wichtigsten Anlagethemen in zehn Jahren entwickelt haben werden?

Cloud Computing verändert radikal die Art und Weise, wie wir Geschäfte tätigen, und ich denke, in 10 Jahren wird sich dies in einer Weise manifestiert haben, die wir uns heute noch nicht vorstellen können. Ich denke, dass die Gesundheitsversorgung deutlich stärker personalisiert sein wird als heute, da wir lernen, bestimmte Krankheiten zu erkennen, vorherzusagen und sogar zu verhindern. Ich denke, wir werden alle in autonomen Fahrzeugen zur Arbeit pendeln — wenn wir überhaupt noch zur Arbeit fahren. Ich glaube, dass noch viel mehr von uns von zu Hause arbeiten werden, vielleicht sogar die Mehrheit. Und ich glaube, es ist sehr wahrscheinlich, dass die meisten von uns keine „echten“ Büros mehr haben werden, abgesehen von denen, die wir uns zu Hause eingerichtet haben.

Über die Autorin

Jody Jonsson - Aktien-Portfoliomanager

Jody verfügt über 31 Jahre Investmenterfahrung, davon 29 Jahre bei Capital. Sie ist außerdem Mitglied des Capital Group Management Committee und des Portfolio Oversight Committee. Zu Beginn ihrer Karriere bei Capital deckte Jody Versicherungen, US-Haushalts- und Körperpflegeprodukte, Restaurants, Unterkünfte und Kreuzfahrtgesellschaften als Investment Analyst. Sie hat einen MBA in Stanford und einen Bachelor in Princeton. Jody ist CFA-Charterholder und Mitglied des CFA Institute.

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