In der Welt gibt es aktuell an drei Fronten besonders große Veränderungen: Inflation, Zinsen und Geopolitik. Das Zusammentreffen dieser Faktoren hat einen Wechsel von Growth- zu Value-Investments ausgelöst und ein sich rasch veränderndes Anlageumfeld geschaffen, das für Anleger sowohl Herausforderungen als auch Chancen bietet.
10.03.2023 | 07:28 Uhr
Matthias Mohr, Managing Director für Financial Intermediaries Germany & Austria bei Capital Group, erklärt im Folgenden, wie Anleger sich in dieser Welt im Wandel zurechtzufinden können.
Geopolitische Verschiebungen
Aufgrund der politischen Spannungen zwischen den USA und China habe sich, laut Matthias Mohr, die Umstrukturierung der Lieferketten beschleunigt. Regierungen würden jetzt der nationalen und wirtschaftlichen Sicherheit Vorrang vor der Effizienz der Unternehmen und den Unternehmensinteressen einräumen. Außerdem habe der Krieg Russlands gegen die Ukraine die Energieversorgung unterbrochen, die Pläne für die Energiewende in Europa beschleunigt und die Inflation sowie die Zinssätze auf den höchsten Stand seit mehreren Jahrzehnten getrieben. „Wir befinden uns im Übergang von einer Ära des billigen Geldes zu einer Ära mit höheren Finanzierungskosten, und wir bekommen vor Augen geführt, wo die Schwachstellen in der Weltwirtschaft und in den Finanzmärkten liegen“, sagt Mohr.
Niemand wisse mit Sicherheit was passieren werde, so Mohr. Allerdings sei klar, dass es weitere geopolitische Veränderungen geben werde, von denen einige struktureller Natur seien und für Anleger Herausforderungen, aber auch Chancen mit sich bringen könnten. Anleger sollten wegen der Komplexität der Entwicklungen eine Vielzahl von Meinungen nutzen und diese bei der Zusammenstellung ihrer Portfolios berücksichtigen. „In dieser zunehmend unbeständigen Welt kann es eine große Stärke sein, Anlageentscheidungen nicht auf eine einzige Perspektive zu stützen“, sagt der Anlageexperte.
Growth vs. Value: Growth-Investments sind nicht tot
In einer Welt im Wandel würde für viele Anleger wieder in den Vordergrund rücken, dass wachstumsstarke Unternehmen zyklisch sein können – ein Konzept, das durch die extrem lange Niedrigzinsphase und die Volatilität etwas verloren gegangen sei. Sogar der Cloud-Bereich, der eine unglaubliche Wachstumsquelle gewesen sei, erweise sich als wirtschaftlich sensibel, da immer mehr Unternehmen überlegen, welche Art von Dienstleistungen sie auslagern oder intern halten wollen.
„Doch nur weil Wachstumsaktien in Ungnade gefallen sind, heißt das nicht, dass Growth-Investments tot sind“, sagt Mohr. Dies zeige sich beispielsweise im Gesundheitssektor, der sich mitten in einem goldenen Zeitalter der Arzneimittelforschung befinde, in dem bedeutende Märkte in Bereichen wie Fettleibigkeit und Demenz entstünden.
Nach Ansicht von Matthias Mohr könne die Einordnung von Investitionen in Value- oder Growth-Kategorien auch zu einschränkend sein. Es gebe viele Unternehmen, die sich im Laufe ihres Lebenszyklus zwischen den beiden Kategorien hin und her bewegten. „Allzu starre Klassifikationen sind für Investoren nicht nützlich“, sagt Mohr.
Geldpolitik: Marktpessimismus schafft Kaufgelegenheiten
Trotz der strafferen Geldpolitik sieht Mohr keinen Grund für übertriebenen Pessimismus an den Märkten: „Die Welt befindet sich in einem schwierigen Übergang, aber es ist ein Übergang zu einem normaleren Umfeld, und ich sehe keinen Grund für Anleger, sich ernsthaft zu beunruhigen.“ Der geldpolitische Hintergrund seit der globalen Finanzkrise – niedrige Zinssätze und geringer Inflationsdruck – sei ungewöhnlich gewesen. All diese Liquidität habe sich positiv auf die Aktienmärkte, insbesondere auf Growth-Investitionen, ausgewirkt und sei durch den technologischen Wandel und die zunehmende Durchdringung der Wirtschaft mit internetgetriebenen Unternehmen begünstigt worden. Tatsächlich jedoch seien etwas höhere Inflationsraten und Zinssätze der Normalfall, wie ein Blick auf die Geschichte zeige. „Es ist wichtig, dass sich Anleger wieder an diese Bedingungen gewöhnen“, sagt der Anlageexperte.
Mohr ist der Meinung, dass Anleger auf die langfristige Zukunft der Aktienmärkte vertrauen könnten, während sie gleichzeitig bei ihren heutigen Investitionen vorsichtig sein sollten. „Ja, der Zustand der Weltwirtschaft ist besorgniserregend, denn die USA befinden sich bereits in einer technischen Rezession. Es ist auch sehr wahrscheinlich, dass Europa aufgrund des durch die hohen Energiepreise ausgelösten Inflationsdrucks nachziehen wird. An den Märkten herrschen große Angst und Unsicherheit, aber diese Situation kann eben auch Anlagechancen bieten“, betont Mohr.
Investitionen in Technologie
Er ist überzeugt, dass innovative Technologie die Welt, in der wir leben, weiter verändern wird. In den letzten Jahren seien enorme Summen in die Energiewende, das Gesundheitswesen und technologische Lösungen im Kampf gegen den Klimawandel investiert worden, weil die Menschen erkannt hätten, dass dies die Bereiche sind, die viele der bestehenden Probleme lösen können.
Mohr resümiert: „Viele Anleger sind verständlicherweise besorgt angesichts des vielfältigen Wandels und der damit verbundenen Unsicherheiten, die wir in den letzten Jahren erlebt haben. Wenn ich in meiner bisherigen Investmentkarriere jedoch eines gelernt habe, dann das: Aktive Manager, die Entscheidungen auf der Basis von umfassendem Research treffen, werden trotz allen Wandels immer wieder attraktive Anlagegelegenheiten finden. Wichtig ist dabei, eine langfristige Perspektive beizubehalten und sich nicht von kurzfristigen Trends verunsichern zu lassen.“
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