ODDO BHF: Mario Draghi soll Italien aus der Krise führen

ODDO BHF: Mario Draghi soll Italien aus der Krise führen
Marktausblick

Am Samstag vergangener Woche wurde Mario Draghi von Staatspräsident Sergio Mattarella vereidigt. Draghi, der bis Oktober 2019 acht Jahre lang die EZB geführt hatte, steht damit der 67. Regierung der Nachkriegszeit vor.

22.02.2021 | 09:16 Uhr

Breite parlamentarische Unterstützung für Draghi

In dieser Woche präsentierte er den beiden Kammern des Parlaments sein Programm und stellte sich zunächst im Senat und dann in der Abgeordnetenkammer der Vertrauensabstimmung.

Der realsozialistisch anmutende Grad der Unterstützung (Senat: 262 von 304 Stimmen (86%), Abgeordnetenkammer 535 von 629 Stimmen (85%)) resultiert daraus, dass die Regierungskoalition eine bislang nie gesehene Spannbreite von Parteien umfasst: Neben der 5 Sterne-Bewegung, der derzeit stärksten Partei im Parlament, reicht die Beteiligung von links, über die Partito Democratico (PD), Italia Viva und Liberi e Uguali (LuE), bis weit nach rechts (Forza Italia, Lega).

Damit verfügt Draghi zumindest auf dem Papier über mehr als ausreichende parlamentarische Mehrheiten, seine politischen Vorhaben in die Tat umzusetzen. Aber auch die breite Öffentlichkeit setzt hohe Stücke auf Draghi: Die Zustimmung in der Bevölkerung von 71% ist außerordentlich hoch.

Große Herausforderungen

Auf Draghi warten große Herausforderungen. Zunächst geht es für sein Regierung darum, die Covid-19- Infektionen in den Griff zu bekommen und die Impfungen voranzutreiben. Bei den Neuinfektionen hat sich die Lage gegenüber den Monaten November bis Januar deutlich verbessert, bleibt jedoch unbefriedigend; der sogenannte R-Wert ist in den letzten Wochen wieder leicht über 1 geklettert, was vor allem regional wieder stärkere Einschränkungen mit sich bringt. Die Impfungen schreiten aber nach Anlaufschwierigkeiten besser voran: Die Zahl der verabreichten Dosen liegt bei 3,1 Millionen, was 5,15 Dosen pro 100 Einwohner und damit dem Stand in Deutschland entspricht. Die zuletzt wieder rückläufige Zahl der täglichen Impfungen lässt allerdings vermuten, dass der Prozess noch verbessert werden kann.

Die zweite große Aufgabe betrifft den Wiederaufbauplan. Die EU stellt im Rahmen des NextGeneration EU- Projekts den einzelnen Mitgliedsländern umfangreiche Mittel zur Verfügung; für Italien sind rund 200 Mrd. € vorgesehen. Um in den Genuss der Mittel zu kommen, muss Italien allerdings bis April einen nationalen Wiederaufbauplan entwickeln, der den Anforderungen der EU insbesondere im Hinblick auf die Verwendung der Gelder für zukunftsgerichtete Investitionsprojekte – mindestens 37% sollen beispielsweise in den Klimaschutz (Ersatz fossiler Brennstoffe) fließen, mindestens 20% in Digitalisierungsprojekte. Am Konflikt um den nationalen Aufbauplan ist bereits die Regierung Conte gescheitert. Allerdings hat Draghi gerade für diese sensiblen Bereiche Technokraten in die Regierung geholt: Einerseits den Wirtschafts- und Finanzminister, Daniele Franco, der als ehemaliger Vizegouverneur der Banca d’Italia Draghi nahestehen dürfte, andererseits den Physiker Roberto Cingolani, der den ökologischen Übergang als Ressort verantwortet. Vielleicht gelingt es Draghi und den zuständigen Ministern, den Plan rechtzeitig einzureichen und damit eine schnelle Voraus-Auszahlung in Höhe von 13% der Mittel sicherzustellen.

Draghis drittes großes Projekt ist vermutlich die Reform von Verwaltung und Justiz. Nach wie vor leidet gerade die Wirtschaft unter einer Vielzahl bürokratischer Hemmnisse, und das Justizsystem ist für sein gemächliches Tempo berüchtigt. Reformen in diesen Bereichen dürften eine wesentliche Voraussetzung dafür sein, das Aufbauprogramm erfolgreich umzusetzen und die Stagnation der vergangenen Dekade zu beenden.

Denn die Corona-Krise hat Italien nicht nur wirtschaftlich härter getroffen als viele europäische Nachbarn, die Konstitution war auch zuvor schon schwach: Auch 2019 hatte die Wirtschaftsleistung in Italien das Niveau von vor der Finanzkrise (2007) noch nicht wieder erreicht. Interessanterweise hat Draghi auch für diese Reformbereiche, Inneres und Justiz, parteilose Minister berufen: Die bereits unter Guiseppe Conte als Innenministerin fungierende ehemalige Präfektin verschiedener Regionalregierungen, Luciana Lamorgese, sowie die bisherige Präsidentin des Verfassungsgerichts, Marta Cartabia. Vielleicht hilft das, Bewegung in den Reformprozess zu bringen.

Rein rechnerisch hätte Draghis Koalition die Mehrheiten, um Strukturreformen mit Leichtigkeit durch das Parlament zu bringen. Ob sich die Koalitionäre aber kooperationswillig zeigen oder sich gegenseitig das Wasser abzugraben versuchen, wird sich zeigen müssen. Für den Lebensfähigkeit der Koalition spricht, dass „5 Stelle“ als größte Fraktion angesichts der – gemessen an den Ergebnissen der letzten Wahlen – sehr schwachen Umfragewerte wenig Interesse an baldigen Neuwahlen hat.

Allerdings entspricht Draghi, der in seiner Zeit im Finanzministerium in den späten 90er Jahren die Privatisierungen verantwortet und nach der Finanzkrise als EZB-Präsident Austerität gefordert hatte, dem klassischen Feindbild der 5 Stelle-Bewegung. Insofern stellt die Zusammenarbeit mit Draghi die von Beppe Grillo gegründete Bewegung möglicherweise vor eine Zerreißprobe. Auch die Verbindung mit Lega-Chef Salvini ist vermutlich keine „Liebesheirat“: In der ersten Reaktion hatte er eine Regierungsbeteiligung abgelehnt.

Der anschließende Schwenk dürfte einem strategischen Kalkül folgen, denn die Partei will das rechte Image ablegen und sich politisch weiter in der Mitte platzieren. Ohnehin ist das Risiko von Neuwahlen derzeit gering, denn im Januar 2022 steht die Wahl des Staatspräsidenten an. Ab August dieses Jahres (sechs Monate vor der Präsidentschaftswahl) können daher keine vorgezogenen Parlamentswahlen mehr stattfinden. Das könnte Draghi den Rücken erst einmal freihalten. Turnusmäßig wären die nächsten Wahlen im Mai 2023 durchzuführen.

Märkte zeigen Vertrauen

Die Märkte haben den Wechsel zu Draghi positiv aufgenommen. Nachdem sich Mario Draghi Ende Januar als Kandidat für die Nachfolge Contes herauskristallisiert hatte, hat der italienische Aktienmarkt die vorangegangene relative Schwäche infolge der Regierungskrise nicht nur wettmachen können, sondern lag in den ersten beiden Februarwochen in der Jahresperformance rund 1,5% vor dem EuroStoxx als europäischem Vergleichsmaßstab. Am aktuellen Rand hat sich der Unterschied allerdings deutlich eingeengt. Offenbar zeigen die Anleger Vertrauen in die neue Regierung, sehen die Bäume am Aktienmarkt aber noch nicht in den Himmel wachsen. Nachhaltiger scheint die Einengung des Renditeunterschieds zwischen italienischen Staatsanleihen (10 Jahre Restlaufzeit) und den deutschen Pendants zu sein. Die Risikoprämie rutschte um rund 20 Basispunkte (0,2 Prozentpunkte) bis deutlich unter 1 Prozentpunkt. Aktuell rentieren zehnjährige Titel des italienischen Schatzamtes mit knapp 0,6%. Die Anleger trauen Mario Draghi als ehemaligem EZB-Chef durchaus zu, die finanzielle Unterstützung der EU für Italien sicherzustellen, das Wohlwollen der EZB (in Form von niedrigen Zinssätzen und Anleihekäufen) zu bewahren und das hochverschuldete italienische Staatsschiff so über Wasser zu halten.

Den vollständigen ODDO BHF Marktausblick finden Sie hier im PDF-Format.

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