ODDO BHF: Aktuelle Entwicklungen am Aktienmarkt

ODDO BHF: Aktuelle Entwicklungen am Aktienmarkt
Marktausblick

Eine alte Börsenregel besagt: “Sell in May and go away”. Der eine oder andere Anleger mag derzeit mit diesem Gedanken flirten, zumal die Aktienmärkte über die ersten Monate des Jahres hinweg bereits zweistellig gestiegen sind.

10.05.2021 | 09:50 Uhr

Bis Ende April lag die Gesamtrendite des S&P 500 bei gut 13 Prozent, die des STOXX Europe 600 bei reichlich 11 Prozent. Doch bekanntlich soll man „das Kind nicht mit dem Bade ausschütten“. Das kommt zwar nicht von Börsianern, sondern entstammt dem häuslichen Umfeld, ist aber dennoch auch für Anleger eine sinnvolle Warnung vor übereilten, unausgewogenen Entscheidungen. Gegen einen Rückzug spricht, dass das fundamentale Umfeld bemerkenswert stark ist. Die Unternehmensergebnisse des ersten Quartals zeigen nicht nur hohe Gewinnzuwächse, sondern Gewinnwachstum deutlich über das erwartete Maß hinaus. Die Gewinne pro Aktie für den S&P500 auf Basis der bis Ende April berichteten sowie geschätzter Ergebnisse (sog. „blended earnings“) dürften das Vorjahresniveau um rund 46 Prozent übertreffen. Natürlich ist der extreme Anstieg auch der schwachen Vorjahresbasis zu verdanken, doch das ist es nicht allein. Tatsächlich verläuft der Erholungsprozess wesentlich dynamischer als noch vor wenigen Wochen erwartet. Denn Ende März hatten die Schätzungen noch ein Plus von knapp 24 Prozent vorhergesagt (alle Angaben: FactSet).

Positive Gewinnüberraschungen dominieren derzeit das Bild. An der Spitze finden sich die langlebigen und eher zyklischen Konsumgüter (Consumer Discretionary), für die aktuell ein Gewinnwachstum (pro Aktie) von rund 182 Prozent zu Buche steht - erheblich über den im Monat zuvor erwarteten 103 Prozent. Der Überraschungseffekt geht unter anderem auf Amazon („natürlich“) und auf Ford Motors zurück. Auch der Finanzsektor sticht durch starke und unerwartet hohe Gewinnzuwächse hervor, insbesondere die Banken von JP Morgan Chase über Goldman Sachs, Citigroup, Bank of America, Wells Fargo, Capital One bis Morgan Stanley. Das günstige Aktienmarktumfeld, eine steilere Zinskurve und die Auflösung von Rückstellungen katapultierten die Gewinne um 134 Prozent nach oben – fast doppelt so stark wie noch Ende März veranschlagt. Im Kommunikationssektor haben vor allem Alphabet und Facebook, im IT-Sektor Apple, Microsoft und Intel die hohen Markterwartungen deutlich übertreffen können. Sie halfen damit, das Gewinnwachstum des jeweiligen Sektors auf 48 Prozent (Erwartung 31.03.2021: 13,4%) bzw. 40% (Erwartung 31.03.2021: 22,3%) in die Höhe zu treiben (alle Angaben: FactSet).

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Die starken Zahlen des ersten Quartals deuten die Möglichkeit an, dass die Gewinnschätzungen der Analysten für die kommenden Quartale trotz hoher erwarteter Gewinnsteigerungen noch immer zu konservativ sein könnten. Zumindest die kurz- bis mittelfristigen Wachstumsaussichten für die USA haben sich im Laufe der letzten Monate durch die Serie von Stimulierungsmaßnahmen signifikant verbessert. Das Response and Relief-Paket von Ende Dezember 2020 und der American Rescue Plan von März kommen zusammen auf ein Gesamtvolumen von 2,8 Billionen US-Dollar oder gut 13 Prozent des BIP und dürften ihre konjunkturellen Impulse relativ kurzfristig entfalten. Ab 2022 könnten die beiden neuen Biden-Programme in Kraft treten, der American Jobs Plan und der American Families Plan. Selbst wenn sich die geplanten Mehrausgaben von über 4 Billionen US-Dollar auf zehn Jahre verteilen, entspräche dies überschlägig einem jährlichen Stimulus von rund 2 Prozent des BIP.

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Zum aktuellen Zeitpunkt ist noch unsicher, wie die neuen Maßnahmenpakete der Biden-Administration letztlich aussehen werden und, wenn das geklärt sein wird, wie groß der effektive Wachstumsimpuls ausfallen wird. Die Schätzungen der Multiplikatoreffekte – wieviel reales Wachstum generiert ein Dollar an staatlichen Mehrausgaben? – gehen weit auseinander, und die US-Erfahrungen mit Infrastrukturpaketen sind nicht günstig. Andererseits fehlen aber praktische Erfahrungen mit Maßnahmen in der geplanten Dimension und Breite. Möglicherweise gilt auch in der Finanzpolitik, dass dem Mutigen die Welt gehört.

Grundsätzlich dürfte die Finanzpolitik aber umso wirksamer sein, je geduldiger die Geldpolitik bleibt. Zinserhöhungen würden die Wachstumsaussichten der Wirtschaft und die Ertragsperspektiven der Unternehmen dämpfen. Entsprechend wenig verwunderlich ist die deutliche Reaktion des US-Aktienmarktes in dieser Woche auf die von der US-Finanzministerin Janet Yellen angedeutete Möglichkeit steigender Zinssätze. Zwar hatte Yellen ganz vorsichtig von „sehr moderaten Zinsanhebungen“ zur Vermeidung einer Überhitzung gesprochen, doch die Anleger vermuten wohl nicht zu Unrecht, dass der ehemaligen Notenbankchefin die Denkweise und Überlegungen ihrer Ex-Kollegen aus dem Offenmarktausschuss recht vertraut sind. Das legt den Verdacht nahe, dass auch die Fed – hinter verschlossenen Türen und sehr perspektivisch – über Szenarien für eine mögliche Adjustierung der Geldpolitik nachzudenken beginnt.

Ein zweites Risiko für die Aktienmärkte sind die geplanten steuerlichen Änderungen in den USA. Wir hatten die wichtigsten Überlegungen zur Unternehmensbesteuerung im Marktausblick vor zwei Wochen angesprochen. Die Schätzungen der Analysten einiger großer Broker beziffern den negativen Effekt auf den Gewinn (pro Aktie) im Mittel auf rund 8%. Das wäre eine relevante „Hausnummer“, zumal das Bewertungsniveau der Märkte und speziell des US-Marktes schon jetzt außergewöhnlich hoch ist.

Das Kurs-Gewinn-Verhältnis auf Basis der erwarteten Gewinne der nächsten 12 Monate liegt für den S&P 500 bei 22 und geht damit deutlich über dem langfristigen 10-Jahres-Durchschnitt von 16 (Quelle: FactSet). Andere Indikatoren wie Cash Flow-Renditen oder Kurs-Buchwert-Relationen bestätigen den Eindruck, dass die Bewertungen anspruchsvoll sind. Richtig ist ebenfalls, dass in einigen Teilbereichen des Finanzmarktes spekulative Übertreibungen zu erkennen sind. Dazu zählen beispielsweise der Wirbel rund um Kryptowährungen, neuerdings mit Elon Musk als Guru der Krypto-Gemeinde, und auch das Treiben um GameStop und einige andere Einzelwerte. Auch der Zusammenbruch von Archegos Capital, der einige Banken Milliarden gekostet hat, ist ein Indiz für eine abnehmende Sensibilität gegenüber Risiken. Generell ist die Stimmung unter den Anlegern außergewöhnlich optimistisch, und die Risikobereitschaft hat spiegelbildlich dazu zugenommen.

Die Gesamtkonstellation mahnt nach unserer Einschätzung zur Vorsicht gegenüber den Aktienmärkten im Allgemeinen und dem US-Markt im Besonderen; das Verhältnis von Risiken zu Chancen ist weniger vorteilhaft geworden. Die Schlussfolgerung daraus lautet aber nicht, „nach Hause zu gehen“. Kasse zu halten ist keine echte Alternative, zumal die Anleihemärkte kaum Rendite versprechen, dafür aber relevante Kursrisiken in Kauf genommen werden müssen. Wir sind überzeugt, dass eine gute Auswahl qualitativ hochwertiger Aktien für einen langfristig orientierten Investor nach wie vor eine ansprechende Rendite ermöglicht.

Den vollständigen ODDO BHF Marktausblick finden Sie hier als PDF.


Vergangene Wertentwicklungen, Simulationen oder Prognosen sind kein zuverlässiger Indikator für die Zukunft. Die Rendite kann infolge von Währungsschwankungen steigen oder fallen. Etwaige Meinungsäußerungen geben die aktuelle Einschätzung des Investment Office der ODDO BHF AG wieder, die sich insbesondere von der Hausmeinung innerhalb der ODDO BHF Gruppe unterscheiden und ohne vorherige Ankündigung ändern kann.

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