Metzler: Wunder-Ökonomie USA?

Edgar Walk Chefvolkswirt , Metzler Asset Management
Marktausblick

Entgegen unseren Erwartungen rutschte die US-Wirtschaft 2023 nicht in eine Rezession – der Fiskalpolitik und dem KI-Boom sei Dank. Auch 2024 dürfte die New Economy 2.0 mit ihrem technologischen Wandel das Produktivitätswachstum beschleunigen und für eine robuste US-Konjunktur sorgen. Ob die US-Notenbank dann die Leitzinsen überhaupt senken wird, bleibt abzuwarten. Frühestens im Juni könnte es laut Edgar Walk zu einer ersten Leitzinssenkung der Fed kommen.

09.02.2024 | 10:15 Uhr

USA: Lehren aus dem Jahr 2023

In den USA blieb die von uns erwartete Rezession für 2023 aus. Der Grund für unsere pessimistische Prognose war die doch recht dramatische Straffung der Geldpolitik.

Damals ließ sich schon erkennen, dass die Geldpolitik die erwartbaren Effekte erzielte. So verschärften die US-Banken ihre Kreditstandards erheblich: In der Vergangenheit hatte dies immer zu einem merklichen Rückgang der Investitionsausgaben der Unternehmen und zu Entlassungen geführt. In diesem Zyklus blieben die Unternehmensinvestitionen jedoch unbeeindruckt von der Verknappung des Kreditangebots und wuchsen anhaltend robust (siehe Abbildung 1).

USA Kreditstandard / robuste Unternehmensinvestitionen

Tatsächlich sank das Kreditwachstum wie erwartet von etwa 12,0 Prozent zu Jahresanfang 2023 auf nur noch etwa 2,0 Prozent zu Jahresende 2023 (siehe Abbildung 2). Der für das Wirtschaftswachstum relevante Kreditimpuls war also stark negativ (approximativ -10 % = 2,0 % - 12,0 %) und somit vergleichbar mit vergangenen Rezessionen in den USA.

Abb. 2 USA: Kreditzyklus entwickelte sich wie erwartet

Überraschenderweise koppelte sich die US-Wirtschaft jedoch von dem negativen Kreditimpuls ab und beschleunigte ihr Wachstum sogar von 1,9 Prozent 2022 auf 2,5 Prozent 2023. Dafür gibt es unserer Einschätzung nach drei Gründe:

  1. Eine ungewöhnlich expansive Fiskalpolitik: Der negative Kreditimpuls im privaten Sektor wurde mehr als kompensiert durch einen positiven Kreditimpuls im öffentlichen Sektor. Der Wachstumsbeitrag der Fiskalpolitik lag etwa bei 1,0 Prozentpunkten des BIP.
  2. Robuste Bilanzen der Unternehmen und die Euphorie im Hinblick auf die Chancen der künstlichen Intelligenz erlaubten eine Eigenfinanzierung der als sehr attraktiv erachteten Investitionen.
  3. Eine ungewöhnliche Abkopplung der Finanzmärkte vom negativen Kreditimpuls sorgte für günstige Finanzierungsbedingungen für Unternehmen an den Finanzmärkten – mit einem Rekordemissionsvolumen von Unternehmensanleihen im Januar.

Die Abbildung 3 zeigt den Index der Finanzierungsbedingungen von Goldman Sachs und einen Indikator des wöchentlichen Wirtschaftswachstums. Die Finanzierungsbedingungen wurden im Jahresverlauf immer besser und sorgten maßgeblich für die Wachstumsbelebung im zweiten Halbjahr.

Abb. 3 USA: 2023 beschleunigte sich das Wachstum aufgrund günstiger Finanzierungsbedingungen

Im Endeffekt bewahrten also die Fiskalpolitik und der schneller als von uns erwartete Einsatz der künstlichen Intelligenz die US-Wirtschaft im vergangenen Jahr vor einer Rezession. Ablesbar ist der erfolgreiche technologische Wandel in den USA an der Beschleunigung des Produktivitätswachstums schon im Jahr 2023. Mit der Folge, dass das stärkere Wirtschaftswachstum keinen Inflationsdruck erzeugte. Dementsprechend sank die Inflation (Dienstag) kontinuierlich. Die Inflation dürfte im Januar erneut zurückgegangen sein, was die Hoffnung auf baldige Leitzinssenkungen am Leben halten wird.

USA: Ein Blick ins Jahr 2024

Die Abbildung 1 zeigt, dass die Banken zuletzt kaum noch die Kreditstandards für Unternehmen verschärften. Insofern haben sich damit schon die Investitionsbedingungen für Unternehmen verbessert. Darüber hinaus zeigt die Abbildung 3, dass auch die Finanzierungsbedingungen an den Finanzmärkten zuletzt noch einmal besser wurden.

In unserem Jahresausblick haben wir von der New Economy 2.0 gesprochen, da der technologische Wandel eine Beschleunigung des Produktivitätswachstums nicht nur 2023, sondern auch für die kommenden Jahre ermöglichen dürfte.

Das heißt nicht nur zyklisch, sondern auch strukturell haben sich zum Jahresauftakt die Wachstumsperspektiven für die US-Wirtschaft verbessert. Wir haben vor diesem Hintergrund unsere Wachstumsprognose für die USA für 2024 von 1,0 Prozent auf 2,0 Prozent angehoben.

Dementsprechend rechnen wir mit in der Tendenz guten Konjunkturdaten: NFIB-Index (Dienstag), Einzelhandels­umsätze (Donnerstag), Philadelphia Fed Index (Donnerstag), Industrieproduktion (Donnerstag).

Darüber hinaus sehen wir gute Chancen, dass sich auch der frühzyklische Wohnimmobilienmarkt belebt: NAHB-Index (Donnerstag), Neubaubeginne (Freitag) sowie Baugenehmigungen (Freitag).

Damit stellt sich die Frage, warum die US-Notenbank bei robustem Wachstum und einer Inflationsrate, die dem Inflationsziel entspricht, überhaupt den Leitzins senken sollte. Denn dann würde sie das Wachstum stimulieren und steigende Inflationsrisiken in Kauf nehmen. Eine Arbeitslosenquote von 3,7 Prozent signalisiert einen schon jetzt engen Arbeitsmarkt. Bei einer Wachstumsstimulierung könnte die Arbeitslosenquote fallen und einen nicht linearen Effekt auf die Lohn- und Inflationsentwicklung haben.

Wenn die Arbeitslosenquote von 10,0 Prozent auf 9,5 Prozent fallen würde, hätte es wahrscheinlich keine Auswirkungen auf die Lohndynamik, da die Arbeitslosigkeit dann immer noch sehr hoch wäre. Fällt die Arbeitslosenquote dagegen von 3,7 Prozent auf 3,2 Prozent, würden Unternehmen wahrscheinlich deutliche Lohnsteigerungen vornehmen müssen, um überhaupt an Arbeitskräfte zu kommen.

Abb. 4 USA: Muss die US-Notenbank wirklich den Leitzins senken?

Auch orientierte sich die US-Notenbank in der Vergangenheit oft am nominalen Wirtschaftswachstum bei ihrer Zinspolitik – mit Ausnahme von 2010 bis 2019. Im vierten Quartal verzeichnete die US-Wirtschaft ein nominales Wirtschaftswachstum von knapp 6,0 Prozent. Es wäre also sehr ungewöhnlich, wenn die US-Notenbank bei einem so hohen Wirtschaftswachstum den Leitzins senken würde.

Wir sehen daher frühestens im Juni eine erste Zinssenkung der US-Notenbank und rechnen mit einem Rückgang der Leitzinsen um insgesamt nur 75 Basispunkte im Jahr 2024. Sollten die Konjunkturdaten jedoch ungewöhnlich robust bleiben, könnten die Leitzinssenkungen in diesem Jahr sogar ausfallen.

Konjunkturdaten aus der Eurozone und Japan

Der ZEW-Index (Dienstag) dürfte sich stabilisiert haben und damit eine moderate Wachstumsbelebung im zweiten Halbjahr in der Eurozone signalisieren. Dabei darf jedoch nicht vergessen werden, dass diese positiven Konjunkturerwartungen auf der Prognose von Leitzinssenkungen der Europäischen Zentralbank (EZB) basieren. Die Finanzmarktakteure preisen etwa 150 Basispunkte an Leitzzinssenkungen der EZB ein. Die EZB sollte auch entsprechend diesen Erwartungen liefern. Wir sehen aufgrund der schwachen Inflationsdynamik sogar Spielraum für mehr Leitzinssenkungen.

In Japan wird das BIP (Donnerstag) für das vierte Quartal veröffentlicht. Dabei könnte sich das nominale Wirtschaftswachstum auf mehr als 5,0 Prozent beschleunigt haben. Die japanische Wirtschaft wächst damit nominal so stark wie zuletzt Anfang der 1990er-Jahre. Trotzdem liegt die Hürde für Leitzinserhöhungen in Japan hoch, da einerseits die Inflation zuletzt wieder merklich nachgelassen hat und andererseits die Lohndynamik immer noch schwach ist. Die Unternehmen können sich jedoch in diesem Umfeld über eine dynamische Gewinnentwicklung freuen.

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