Jede Woche veröffentlichen die führenden Vermögensverwalter und Fondsgesellschaften weltweit zahlreiche sehr ausführliche und fundierte Einschätzungen zum wirtschaftlichen Umfeld, dem Finanzmarkt und zu Anlagethemen. Um den Überblick zu bewahren, stellen wir Ihnen bei TiAM FundResearch regelmäßig die wichtigsten Aussagen kompakt zusammen.
24.06.2022 | 10:00 Uhr von «Peter Gewalt»
Diese Woche standen weiterhin die hohen Inflation, die Reaktion der Notenbanken und ihre Auswirkungen auf die verschiedenen Anlagesegmente im Mittelpunkt vieler Analysen.
So befasst sich Gilles Moëc, Group Chief Economist bei AXA Investment Managers, unter anderem mit der vergangenen Fed-Entscheidung. Sein Ergebnis: Es wird ernster. „Die Zinserhöhung der Federal Reserve (Fed) in der vergangenen Woche um 75 Basispunkte (Bp) sowie ihre Prognose, den Leitzins bis zum Jahresende deutlich in einen restriktiven Bereich zu bringen, spiegeln die Bereitschaft wider, auf die Vorwürfe „hinter der Kurve zu sein“, das heißt, dass die Geldpolitik den Tatsachen hinterherhinkt, zu reagieren. Die Fed scheint sich darauf zu konzentrieren, die Inflation rasch einzudämmen, so dass in nicht allzu ferner Zukunft eine gewisse Lockerung möglich ist (Prognosen sehen Zinssenkungen für 2024 vor).
Ein Problem ist jedoch, dass die Fed anscheinend davon ausgeht, dass ihr ungewöhnlich schnelles Tempo der Straffung nur geringe Auswirkungen auf die Arbeitslosigkeit haben wird, dass aber selbst diese geringe Verschlechterung ausreicht, um die Inflation entscheidend einzudämmen. Die Fed könnte glauben, dass die bloße Verringerung offener Stellen, ohne dass viele Arbeitsplätze verloren gehen, ausreicht, um die Löhne unter Druck zu setzen. Was uns jedoch Sorgen bereitet, ist die Tatsache, dass sich die finanziellen Bedingungen bereits erheblich verschärft haben. Die durchschnittlichen Finanzierungskosten für US-Unternehmen sind jetzt so hoch wie seit dem Ende der großen Finanzkrise 2008-2009 nicht mehr. Dies wird sich in den kommenden Monaten auf die Investitionsentscheidungen der Unternehmen auswirken. Wir vermuten, dass die Fed das Ausmaß des Schadens, den ihre Straffung mit sich bringen wird, absichtlich herunterspielt.
Im Euroraum sind die Finanzierungskosten am Markt für Unternehmensanleihen wieder auf den höchsten Stand seit 2012 gestiegen. Die EZB scheint ihren Leitzins bis Jahresende in den neutralen Bereich bringen zu wollen, aber die Finanzierungsbedingungen für den Unternehmenssektor haben diesen Bereich bereits erreicht. Wir gehen immer davon aus, dass der geldpolitische Impuls mit Verzögerung wirkt, aber im Moment könnte sich die erwartete Straffung sehr schnell auf die Wirtschaft auswirken. Der Schwerpunkt liegt jedoch vorerst auf den staatlichen Finanzierungskosten. Obwohl es der EZB letzte Woche gelungen ist, die Situation etwas zu beschwichtigen, sind wir nach wie vor der Ansicht, dass der Markt die Schwierigkeiten unterschätzt, mit denen das drohende Anti-Fragmentierungsinstrument konfrontiert ist. Die Auswirkungen des Ausgleichs der Anleihenkäufe fragiler Staaten durch den Verkauf von Anleihen anderer Mitgliedstaaten bereiten uns Sorgen.“
„Chaotische Verhältnisse“ an den Finanzmärkten diagnostiziert Axel Botte, Marktstratege beim französischen Investmenthaus Ostrum Asset Management. Er macht dies vor allem fest an den Entscheidungen der Zentralbanken, denen es nicht gelungen sei, die Märkte zu stabilisieren. „Die Fed bleibt ständig hinter den Markterwartungen zurück. In der Tat liegt das Niveau von 1,75 Prozent für die Fed-Funds unter dem angeblichen Neutralitätssatz (2,5 Prozent laut DOT-Diagramm), während die Inflation bei 8,6 Prozent und die Arbeitslosigkeit bei 3,6 Prozent liegt. Angemessen wäre ein neutraler Zinssatz von real 0,5 Prozent. Schließlich erhöht der Umfang der aktuellen Bilanz der Fed das neutrale Zinsniveau.Wer gehofft hatte, es würde Realismus einkehren, muss sich mit der Projektion einer Inflationsrate von 2 Prozent im Jahr 2024 getäuscht sehen. Die Debatte darüber, ob eine Rezession notwendig ist, um die Inflation zu senken, ist noch nicht eröffnet. Während die Finanzmärkte Zweifel haben, glauben die Haushalte ihrerseits nicht an einen Rückgang der Preissteigerung. Alle Umfragen deuten darauf hin, dass sich ihre Inflationsängste nach oben verschieben. Auch in der Hedgefonds-Community ist der Konsens pessimistisch; die Short-Kontrakte nehmen zu. Die Notwendigkeit, zukünftige Erträge höher abzudiskontieren, belastet weiterhin den fairen Wert von Aktien.“
Für die Experten von Bantleon (Dr. Daniel Hartmann Chefvolkswirt, Dr. Andreas A. Busch; Senior Economist Jörg Angelé Senior Economist) stellt sich das Makrobild wie folgt dar: „Über die Sommermonate sollte die Weltwirtschaft zwar robust expandieren, ab Ende 2022 dürften sich die konjunkturellen Perspektiven jedoch spürbar eintrüben – gerade wegen der kräftig gestiegenen Zinsen. Vor allem in den USA rechnen wir mit heftigem Gegenwind, der die Wirtschaft schließlich 2023 in die Rezession treiben sollte. In der Eurozone wird sich das Wachstum zumindest deutlich abkühlen.Die Notenbanken werden in Anbetracht dessen ihren Leitzinserhöhungszyklus nicht lange durchhalten. Die Fed dürfte bereits Ende 2022 die Segel streichen. Vor diesem Hintergrund rechnen wir spätestens ab dem 4. Quartal 2022 mit einem fallenden Renditetrend bei Staatsanleihen, der das ganze Jahr 2023 über anhalten dürfte. Mithin werden Staatsanleihen ein grandioses Comeback feiern und kräftige Kursgewinne verbuchen. Auf eine nachhaltige Wiederbelebung an den Aktienmärkten sollte der Investor hingegen nicht setzen. Wir rechnen vielmehr 2023 mit einer Fortsetzung des übergeordneten Abwärtstrends bei Aktien. Der Zinsschock wird dabei vom Konjunkturschock als namhaftem Belastungsfaktor abgelöst.“
Pascal Blanqué,Chairman des Amundi Instituts, sieht eine wesentliche Ursache für die drohende Stagflation darin, dass zugunsten der Technologiebranche lange Zeit zu wenig Kapital in die Old Economy investiert wurde. „Wir erleben derzeit den Übergang vom „Volcker'schen“ Shareholder-Regime hin zu einem neuen, stärker Inflations-orientierten Regime. Und dieser Übergang stellt Investoren vor neue Herausforderungen. Sie müssen sich mit zwei Formen der Inflation auseinandersetzen, und zwar der Inflation der Vermögenswerte im Laufe der letzten drei Jahrzehnte und, ganz aktuell, der Inflation der Preise für Waren und Dienstleistungen. Unterinvestitionen in die Old Economy haben, wenn auch mit Verzögerung, die Rückkehr der guten alten Inflation angeheizt, während Überinvestitionen in einigen Bereichen der so genannten „New Economy“ bestimmte Sektoren finanziell aufgebläht haben – so geschehen in der Internetblase 1999 und im Technologie-Hype zwischen 2015 und 2021.
Der Grund dafür ist in einer Kombination aus der Forderung nach hohen Eigenkapitalrenditen und niedrigen Kapitalkosten zu suchen. Der Renditehunger stand echten Investitionen in den meisten Sektoren im Weg, während die künstlich niedrigen Kapitalkosten infolge einer zu laxen Geldpolitik wie ein enormer „Diskontsatzeffekt“ auf die Kapitalallokation wirkten. Das führte zu einer unangemessenen Bevorzugung bestimmter Waren und Dienstleistungen und der damit verbundenen Vermögenswerte, etwa des Technologiesektors, aber wohl auch des Wohnungsbaus, auf Kosten anderer.
In naher Zukunft könnten wir noch stärkere Überinvestitionen in Sektoren der „New Economy“ sehen als bisher, doch unter Umständen sind einige dieser Technologiephantasien auf brüchigem Fundament gebaut. Das Schicksal der gesamten Wirtschaft hängt von der Old Economy ab, und das wird auch so bleiben, wie aktuell vielen Menschen in Anbetracht der Verknappung grundlegender und lebenswichtiger Waren klar wird.“
Der Chief Investment Officer Saira Malik von Nuveen hat zu den Ursachen und Folgen der Inflation folgende Ansichten: „Der Preisschock bei Lebensmitteln und Mieten könnte uns noch eine Weile begleiten. Da die Inflation bei lebensnotwendigen Gütern hoch ist, könnten Verbraucher zufolge gezwungen sein, andere Ausgaben zu kürzen, wodurch ihr Beitrag zum Wirtschaftswachstum nachlassen wird. Bislang haben die Verbraucher ihre Ausgaben noch konstant gehalten – auch wenn Lebensmittel und Unterkünfte einen größeren Teil ihres Budgets beanspruchen. Sie haben dafür weniger gespart und mehr Kredite aufgenommen.
Auch die Absicherung der Inflation in den Portfolios ist schwieriger geworden. Anlageklassen, die in Inflationszeiten traditionell als investitionsfreundlich gelten, haben sich in diesem Jahr im Allgemeinen nicht bewährt. Festverzinsliche Wertpapiere, Aktien und Sachwerte dagegen könnten einen gewissen Inflationsschutz bieten und eine Allokation rechtfertigen.
Wenn die Liquidität knapp ist, werden diejenigen gut entschädigt, die Barmittel freisetzen können. So sind zum Beispiel hochverzinsliche US-Anleihen zwar kein typischer Inflationsschutz, aber für Anleger mit einem langen Zeithorizont und Renditezielen im hohen einstelligen Bereich könnten Anfangsrenditen von über acht Prozent für den breiten Index und sieben Prozent für Anleihen mit BB-Rating attraktiv sein.
Nuveen ist zudem von Infrastrukturaktien überzeugt, zu denen viele Unternehmen gehören, die besser positioniert sind, um die gestiegenen Betriebskosten an die Endverbraucher weiterzugeben.“
In einem aktuellen Marktkommentar ordnet Nitesh
Shah, Leiter Rohstoff- und Makro-Research Europa bei WisdomTree, die
derzeitige Situation und Erkenntnisse der Sitzung ein, bewertet das Instrument
der „Forward Guidance“ und zeigt mögliche Handlungsoptionen der EZB auf. Die Dringlichkeitssitzung der Währungshüter am 14. Juni 2022 hat gezeigt: Die Notenbanken benötigen zur Bewältigung der aktuellen Herausforderungen und Normalisierung ihrer Geldpolitik neue Instrumente.Laut
Shah stehen die Notenbanken grundsätzlich vor der Aufgabe, „das Unmögliche
möglich zu machen“. Aufgrund ihres begrenzten Instrumentariums könne die EZB
die Inflationsursachen nicht direkt bekämpfen. Zu diesen zählen vor allem
Angebotsschocks bei Rohstoffen und in den Lieferketten. Shah wirft darüber
hinaus die Frage auf, weshalb das bislang wesentliche Instrument der Forward Guidance
nun „zugunsten eines schnellen Handelns geopfert wurde“.
Nicht zuletzt aufgrund der mittlerweile starken Abhängigkeit des Marktes von der EZB sei es nun an der Zeit, neue Instrumente in der Geldpolitik zu finden. Dazu schreibt Shah: „Noch ist nicht im Detail klar, wie dieser ‚Werkzeugkasten‘ aussehen könnte, doch höchstwahrscheinlich wird man Reinvestitionen vor allem in Staatsanleihen aus Ländern mit angespannterer finanzieller Lage lenken. Auch andere Ad-hoc-Interventionen könnten Teil des Pakets sein.“
Shah geht davon aus, dass sich die Lage an den Märkten beruhigen werde, sobald die Notenbanken ihr jeweiliges Umfeld einer eingehenden Analyse unterziehen, die für sie bestehenden Probleme bewerten und geeignete geldpolitische Instrumente entwickeln. Bis dahin könne insbesondere Gold marktabsichernd wirken. Auch dividendenorientierte Qualitätsaktien seien potenziell in der Lage, den Sturm gut zu überstehen.“
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