Metzler: Opfert China sein langfristiges Wachstumspotenzial?

Marktausblick

Chinas Regierung werde es gelingen, die Konjunktur im Reich der Mitte zumindest kurzfristig zu stabilisieren, so Edgar Walk, Chefvolkswirt Metzler AM. Mittelfristige Risiken sieht er in der bevorzugten Kreditvergabe an schwächelnde Staatsunternehmen.

04.02.2019 | 10:05 Uhr

Keine Produktivitätsfortschritte mehr im Reich der Mitte seit der Finanzkrise

Mitte Dezember sorgte eine Grafik in „The Economist“ für große Aufmerksamkeit. Darin wurde die Produktivitätsentwicklung der kommunistischen Sowjetunion mit der Produktivitätsentwicklung des „kommunistischen“ Chinas verglichen. Der Vergleich bezog sich auf die totale Faktorproduktivität, die zusammen mit dem Kapitaleinsatz die allgemeine Arbeitsproduktivität bestimmt – also den Output pro gearbeiteter Stunde. So ist es – zumindest theoretisch – sehr einfach, die Arbeitsproduktivität mithilfe eines erhöhten Kapitaleinsatzes zu steigern. Ein Beispiel dafür wäre der Einsatz von Traktoren in der Landwirtschaft anstatt eines Ochsengespanns. Mit der totalen Faktorproduktivität lässt sich dagegen der technologische Fortschritt einer Volkswirtschaft messen, der für den mittelfristigen Wachstums­trend bestimmend ist.

Von 1940 bis 1969 erzielte die Sowjetunion große Produktivitätsfortschritte, da sie als „Entwicklungsland“ die Technologie der fortgeschrittenen Länder einfach kopieren konnte. Sie war jedoch nicht in der Lage, eigene Innovationen zu entwickeln, sodass ab 1970 die Produktivität nur noch stagnierte und die Sowjetunion immer weiter gegenüber dem Westen zurückfiel.

China: Schwache Produktivitätsentwicklung seit der Finanzmarktkrise
Totale Faktorproduktivität; durchschnittliche Veränderung
ggü. Vj. in %
 

China: Schwache Produktivitätsentwicklung seit der Finanzmarktkrise

Quellen: Weltbank, VoxEU; The Economist, Metzler; Stand: Dezember 2018

Ein Blick auf die Entwicklung in China lässt nun eine ähnliche Entwicklung wie damals in der Sowjetunion vermuten. Von 1980 bis 2007 verzeichnete China in der Aufholphase ein hohes Produktivitätswachstum, das sich jedoch seit 2007 umgekehrt hat und ins Minus gerutscht ist. Dass die chinesische Wirtschaft im selben Zeitraum trotzdem um etwa 10 % wuchs, hängt damit zusammen, dass die Zahl der Beschäftigten (Arbeitseinsatz) und vor allem der Kapitaleinsatz massiv erhöht wurden. Die negative Entwicklung der totalen Faktorproduktivität über diesen Zeitraum könnte sogar ein Hinweis darauf sein, dass es zu einer erheblichen Fehlallokation von Kapital kam.

So beschloss die chinesische Regierung einen großen fiskalischen Stimulus in der Finanzmarktkrise, der vor allem den ineffizienten Staatsunternehmen zugute kam. Auch nutzten die Staatsunternehmen das Geld vorwiegend für Investitionen am Immobilienmarkt, anstatt ihre Effizienz in der Produktion zu verbessern. Das Resultat dessen war ein massiver Anstieg der Verschuldung chinesischer Unternehmen.

China: Risiken für das mittelfristige Wachstumspotenzial

Ein Blick auf die Kreditvergabe zeigt, dass Staatsunternehmen in den vergangenen Jahren sogar immer stärker gegenüber Privatfirmen bevorzugt wurden. Allein im Jahr 2016 flossen 83 % aller Kredite an Staatsunternehmen, was die Vermutung nahelegt, dass es sich hierbei um eine bewusst gesteuerte Politik der chinesischen Regierung gehandelt haben dürfte. So könnten einerseits verlustmachende Staatsunternehmen mit neuen Krediten vor der Pleite bewahrt und andererseits die Kredite dazu verwendet worden sein, neue nationale Champions entstehen zu lassen.

China: Kredite fließen vor allem an Staatsunternehmen
Anteil der Kredite an Nichtfinanzunternehmen in %

China: Kredite fließen vor allem an Staatsunternehmen

Quelle: https://www.moneyandbanking.com/commentary/2019/1/26/china-mao-strikes-back; Stand: Dezember 2016

Viele Studien zeigen jedoch, dass vor allem der Privatsektor in den vergangenen Jahrzehnten für Chinas Wirtschaftswunder verantwortlich war: So ist dessen Anteil an der Wirtschaftsleistung von nahezu null Anfang der 1980er Jahre bis zuletzt auf 52 % gestiegen. Seit einigen Jahren hat sich jedoch der Anteil des Privatsektors an der Wirtschaftsleistung nicht mehr erhöht. Ein Blick auf die Kapitalrenditen (Return on Assets) zeigt, dass Privatfirmen in China weiterhin sehr produktiv arbeiten und damit im Gegensatz zu den Staatsunternehmen immer noch ein hohes Wachstumspotenzial haben.

China: Anhaltend hohe Kapitalrenditen im Privatsektor in %

China: Anhaltend hohe Kapitalrenditen im Privatsektor in %

Quelle: https://www.moneyandbanking.com/commentary/2019/1/26/china-mao-strikes-back; Stand: Dezember 2017

Ein weiterer Belastungsfaktor für die Privatunternehmen in China in den vergangenen Jahren war, dass die chinesische Regierung das Schattenbankensystem mehr und mehr austrocknete. Schließlich waren es die Schattenbanken, die überwiegend die Privatunternehmen finanzierten, während die Staatsunternehmen ihre Kredite von den Staatsbanken erhielten.

China: Konjunktur könnte sich kurzfristig stabilisieren

Die Bevorzugung der Staatsunternehmen durch die Politik spiegelt sich aktuell in den Einkaufsmanagerindizes wider. Der offizielle Einkaufsmanagerindex der Industrie, für den überwiegend Vertreter von Staatsunternehmen befragt werden, stieg im Januar von 49,4 auf 49,5. Im Gegensatz dazu sackte der Caixin-Einkaufsmanagerindex der Industrie regelrecht von 49,7 auf 48,3 ab; dieser Index errechnet sich aus den Einschätzungen überwiegend von Firmen aus dem Privatsektor. Die staatlichen Stimuli scheinen also den Staatsunternehmen im aktuellen Umfeld zunehmend zugute zu kommen, während der Privatsektor nach wie vor im Abwärtstrend ist. Die chinesische Regierung scheint somit langsam das Wachstum stabilisieren zu können, geht damit aber erhebliche mittelfristige Risiken für das Wirtschaftswachstum ein, wenn sich sogar der Anteil des Privatsektors an der Wirtschaftsleistung in den kommenden Jahren verringern sollte.

China: Auch mittelfristig enormes Wachstumspotenzial – dank Digitalisierung

Gleichzeitig zeigt die Grafik in der linken Spalte, dass in Chinas Gesamtwirtschaft noch erhebliches Wachstums­potenzial steckt – vorausgesetzt, der Privatsektor mit seiner deutlich höheren Effizienz und Rentabilität gewinnt an Terrain gegenüber den Staatsunternehmen. Wenn also die chinesische Regierung zu ihren ursprünglichen Plänen einer umfassenden Reform und Privatisierung der Staatsunternehmen zurückkehren sollte, bestehen unseres Erachtens gute Chancen für einen dynamischen und nachhaltigen Wachstumstrend. Darüber hinaus wird China keinesfalls das Schicksal der Sowjetunion drohen. Ein Indiz dafür ist, dass das Reich der Mitte schon jetzt die Europäische Union bei den öffentlichen und privaten Forschungs- und Entwicklungsausgaben überholt hat. China wird also zunehmend mit Innovationen auf den Weltmärkten vertreten sein, und damit dürfte die totale Faktorproduktivität schon bald wieder steigen – umso mehr, als die Eigenschaften der digitalen Güter (Sunkenness, Spillovers, Synergies, Scalability) es sogar erfordern, dass der Staat eine größere Rolle übernimmt, damit ein Land die Digitalisierung erfolgreich meistern kann. Die Digitalisierung kommt also dem chinesischen Wirtschaftsmodell sehr entgegen.

China: Mit steigender Innovationskraft
Öffentliche und private F&E-Ausgaben in % des Bruttoinlandsprodukts

China: Mit steigender Innovationskraft

* Die größten acht Länder 
Quellen: The Economist, National Science Foundation; Stand: Dezember 2016

USA: Stabiles Wachstum ohne Inflationsdruck 

Bisher lässt sich nur sagen, dass der ISM-Index für den Dienstleistungssektor (Dienstag) veröffentlicht wird. Ob weitere Konjunkturdaten veröffentlicht werden, hängt davon ab, wie schnell die Statistikbehörde nach dem „Government-Shutdown“ ihre Arbeit wieder aufnehmen kann. Auf jeden Fall werden aber der „Government-Shutdown“ und die Kältewelle die Konjunkturdaten in den kommenden Monaten belasten und die Aussagekraft der Daten insgesamt infrage stellen. Unabhängig davon sehen wir eine stabil um 2,0 % wachsende US-Wirtschaft ohne Inflationsdruck.

Eurozone: Auf der Suche nach guten Nachrichten

Zweifelslos wird der Einkaufsmanagerindex für den Dienstleistungssektor (Dienstag) für die gesamte Eurozone im Januar gefallen sein. Wir haben jedoch noch nicht die Hoffnung aufgegeben, dass es seit langer Zeit auch mal wieder gute Nachrichten aus der Eurozone geben könnte, und blicken daher mit großer Spannung auf die deutschen Auftragseingänge (Mittwoch) sowie auf die Zahlen zur deutschen Industrieproduktion (Donnerstag) und zum deutschen Export (Freitag).

Eine gute und erfolgreiche Woche wünscht

Edgar Walk

Chefvolkswirt Metzler Asset Management


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