Metzler AM: Economic Research - Wochenausblick KW 33

Marktausblick

Negativzinsen, soweit das Auge reicht – inzwischen steht sogar vor der Rendite 30-jähriger Bundesanleihen ein Minus. Was nun?

09.08.2019 | 14:55 Uhr

Die Meinungen gehen auseinander: Kenneth Rogoff, ehemaliger Chefvolkswirt des Internationalen Währungsfonds, plädiert für eine Reform des Wirtschaftssystems, das Modell der österreichischen Schule hingegen steht für eine Reform des Geldsystems.

Edgar Walk, Chefvolkswirt Metzler Asset Management, meint allerdings, dass eine Reform des Geldsystems mit vielen Unwägbarkeiten einherginge. In Deutschland mehrten sich die Anzeichen einer Rezession, und auch die Wirtschaft Chinas schwächele, während die US-Wirtschaft nach wie vor stabil sei.

Metzler: Negativzinsen sind neues Regime an den Finanzmärkten

Im August fiel nun auch die Rendite einer 30-jährigen Bundesanleihe ins Negative. Den Tiefpunkt erreichte sie bei -0,15 %. Das heißt: Anleger zogen lieber den sicheren Verlust ihrer Anlage von 4,5 % über 30 Jahre vor, als ihre Ersparnisse in andere Finanzwerte anzulegen. Dass nunmehr alle ausstehenden Bundesanleihen negativ verzinst sind, ist ein Anzeichen für ein neues Regime an den Finanzmärkten. Grundsätzlich gibt es dazu zwei entgegengesetzte Meinungen.  

Neues Regime: Negativzinsen über alle Laufzeiten
Renditen von Bundesanleihen, in %

Negativzinsen

Quelle: Metzler AM

Laut dem ehemaligen Chefvolkswirt des Internationalen Währungsfonds, Kenneth Rogoff, muss das Wirtschaftssystem nun so reformiert werden, dass der Zins völlig frei fallen kann. Dazu müsste vor allem die Nutzung von Bargeld abgeschafft oder stark eingeschränkt werden. Die Zentralbanken könnten dann in der nächsten Rezession den Leitzins auf -3,0 % oder sogar noch tiefer senken, und kein Sparer könnte sich dem Negativzins mehr entziehen, da die Banken dann diesen Zins auf alle Bankeinlagen anwenden könnten.

Aus Sicht von Kenneth Rogoff beeinflusst dabei vor allem der Realzins die Wirtschaftsaktivität, also der Nominalzins abzüglich der Deflation. Es ist dann völlig unerheblich, ob ein negativer Realzins dadurch erreicht wird, dass der nominale Leitzins bei 3,0 % und die Inflation bei 6,1 % liegt (wie im September 1972 in Deutschland) oder ob der nominale Leitzins -3,0 % beträgt und die Inflation 0,0 % (wie es in der nächsten Rezession sein könnte).

Laut Vertretern der österreichischen Schule reflektiert der Zins dagegen die Zeitpräferenz der privaten Haushalte. Haben die privaten Haushalte eine geringe Präferenz für Gegenwartskonsum und eine hohe Präferenz für Konsum in der Zukunft, steigen die Ersparnisse, und der Zins fällt. Er kann jedoch in diesem Denkmodell nie unter 0 % fallen. Die gegenwärtigen Negativzinsen wären demnach eine Verzerrung des Zinsniveaus durch die Zentralbanken, um insolvente Unternehmen, Banken und Staaten künstlich am Leben zu erhalten – mit dem Nebeneffekt, Blasen an den Finanz- und Immobilienmärkten zu verursachen. Die Lösung wäre, das Geldsystem zu reformieren.

Bisher produzierten die Geschäftsbanken neues Bar- und Buchgeld mit der Vergabe von Krediten. Die Banken erhielten dabei den Ertrag der Geldschöpfung als Gegenleistung für die effiziente Allokation des Sparkapitals. Die Finanzmarktkrise sowie die rekordhohe Verschuldung weltweit zeigen jedoch, dass die Banken oft zu einer exzessiven Kreditvergabe neigen. Dementsprechend sollte die Geldproduktion wieder an den Staat zurückgehen. Die Zentralbanken sollten daher eine staatliche Kryptowährung ausgeben, die zu 100 % durch Staatsanleihen gedeckt ist. Die Zentralbank würde wahrscheinlich die Geldmenge jedes Jahr um einen bestimmten Prozentsatz anheben und das neue Geld dem Staat zur Verfügung stellen.

Die Zinssteuerung der Zentralbank entfiele dann, da sie nicht mehr die Geldproduktion der Geschäftsbanken steuern müsste. Der Zins würde sich dann frei an den Kapitalmärkten bilden und dann wieder ins Positive zurückkehren – sofern die Theorie der Zeitpräferenz zutrifft. Neben einem (wahrscheinlich) stabileren Geld hätte der Übergang zum neuen Geldsystem den angenehmen Nebeneffekt, dass die Staatsverschuldung merklich sänke.    

Zurück zur aktuellen Situation: Die Vermutung liegt nahe, dass zunächst der Weg in Richtung negative Zinsen weiterverfolgt wird und eine Reform des Geldsystems erst einmal Plan B bleibt. Eine Reform des Geldsystems wäre mit vielen Unwägbarkeiten verbunden. Es könnte hilfreich sein, wenn erst einmal ein kleines Land wie Neuseeland oder die Schweiz eine solche Reform ausprobieren würde.  

Der Reformdruck auf das Geldsystem wird auch von der weiteren Zinsentwicklung abhängen. So verwenden wir schon seit vielen Jahren ein Prognosemodell, dass die Renditeentwicklung auch im neuen Regime gut erklären zu können scheint. Auf Basis unserer Prognosen signalisiert das Modell einen Anstieg der Rendite 10-jähriger Bundesanleihen bis auf 0,5 % im nächsten Jahr. Die Prognose eines Renditeanstiegs hängt jedoch nur von einem Faktor ab – von der Psychologie. So haben wir in einer Variablen die Zinserwartungen der Finanzmarktakteure berücksichtigt.

In der Vergangenheit erwarteten die Finanzmarktakteure in der Mehrheit überwiegend steigende Renditen und waren wahrscheinlich entsprechend positioniert, sodass sie überrascht wurden und ihre Positionierung anpassen mussten. Derzeit gibt es jedoch eine rekordhohe Zahl unter den Finanzmarktakteuren, die fallende Renditen erwarten – geradezu eine Euphorie.

Sie könnten im kommenden Jahr überrascht werden, sodass sie ihre Positionierung anpassen müssten und somit zu einem Renditeanstieg beitragen könnten. Die Frage ist nur, ob die Psychologie die gleiche Rolle im neuen Regime spielt wie in der Vergangenheit. Hätte die Psychologie ihre Einflusskraft verloren, würde die Rendite 10-jähriger Bundesanleihen voraussichtlich bis Ende 2020 nur seitwärts tendieren.

Den vollständigen Metzler AM Marktausblick KW 33 können Sie sich hier im PDF-Format downloaden.

Diesen Beitrag teilen: