In seinem aktuellen Kapitalmarktausblick stellt Edgar Walk, Chefvolkswirt Metzler Asset Management, das sklavische Festhalten an einem Inflationsziel von 2,0 % infrage – zumal es auch eine versteckte Inflation gebe, die jedes Messen erschwere.
24.06.2019 | 08:58 Uhr
Zudem geht Walk der Frage nach, ob die Zinsen in Deutschland höher wären, gehörte das Land nicht der Währungsunion an. Und schließlich konstatiert er, dass sich die Schuldenbremse in Deutschland als Hemmschuh für sinnvolle staatliche Investitionen erwiesen hat, und erläutert, wie wichtig ein funktionierender Kreditkreislauf für eine intakte Volkswirtschaft ist.
In
Japan dürfte die Kerninflation im Großraum Tokio im Juni bei nur 0,8 %
verharren, ebenso in der Eurozone (beides Freitag). In den USA (Freitag)
dürfte sie bei 1,6 % liegen – mit fallender Tendenz. Die großen
Zentralbanken sind also weit davon entfernt, ihr Inflationsziel auf
absehbare Zeit zu erreichen. Die US-Notenbank und die EZB reagierten
zuletzt darauf mit der Ankündigung, die Geldpolitik bald zu lockern,
während die japanische Zentralbank noch abwartet. Im Einklang damit
erwarten wir nunmehr in den USA eine Leitzinssenkung im Juli und
September von jeweils 25 Basispunkten und ein Maßnahmenbündel der EZB im
September mit Zinssenkung, gespaltenem Reservesatz und neuem
QE-Programm.
Vor
diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob ein sklavisches Festhalten
an einem Inflationsziel von 2,0 % tatsächlich noch sinnvoll ist.
Alternde Gesellschaften fragen vor allem Leistungen im Gesundheitswesen
nach, deren Preise stark reguliert sind. Eine Umfrage unter japanischen
Konsumenten zeigte zuletzt, dass diese eine massive Verschlechterung der
Qualität von Dienstleistungenwahrnehmen. Das ist nichts anderes
als eine Rationierung dieser Leistungen und damit eine versteckte
Inflation. Die Inflation müsste also „bereinigt“ werden um die
Qualitätsverschlechterung im Gesundheitswesen – und würde damit höher
ausfallen. Leider gibt es bisher keine Untersuchungen, die die Größe des
Effekts zu schätzen versucht haben. Das Beispiel zeigt nur, wie schwer
die Inflationsmessung geworden ist.
In
der Eurozone werden der ifo-Index (Montag) und der Geschäftsklimaindex
der EU (Donnerstag) veröffentlicht. In den USA richtet sich der Fokus
auf das Konsumentenvertrauen (Dienstag und Freitag), auf die
Neubauverkäufe (Dienstag) sowie die Auftragseingänge (Mittwoch). In
Japan stehen die Daten zum Arbeitsmarkt (Freitag) im Mittelpunkt.
Nein.
Schweden und die Schweiz haben eine ähnliche Wirtschaftsstruktur wie
Deutschland mit einem starken Industriesektor und einer hohen
Exportabhängigkeit. In Schweden liegt der Zinssatz für Tagesgeld bei
etwa -0,6 %, in der Schweiz bei -0,7 %. Die schwedische Währung ist
jedoch sehr schwach, da die dortige Zentralbank aggressiv versucht, ihr
Inflationsziel zu erreichen. Die durchschnittliche Inflationsrate lag
seit 2010 bei etwa 1,0 %. Die Schweiz dagegen hat eine starke Währung,
da ein Inflationsziel keine größere Rolle spielt – die Inflation lag
daher durchschnittlich auch nur bei etwa 0 % seit 2010.
Interessanterweise gibt es kaum Unterschiede in der Realwirtschaft;
beide Volkswirtschaften boomen. Die Arbeitslosenquote in Schweden liegt
aktuell mit 6,3 % nur geringfügig über dem Tiefstand von 5,9 % im
Februar 2008, während sie in der Schweiz mit 2,4 % sogar auf dem
tiefsten Stand seit 2002 notiert. Mit Blick auf die starke Währung ist
insbesondere die starke Konjunktur der Schweiz beeindruckend.
Der
deutsche Staat kann derzeit einen Kredit mit einer Laufzeit von bis zu
15 Jahren zu negativen Zinsen aufnehmen. Gleichzeitig gibt es zahlreiche
Möglichkeiten für sinnvolle staatliche Investitionen etwa in der
Infrastruktur, der Bildung sowie der Forschung & Entwicklung. Diesen
sinnvollen Ausgaben steht jedoch die Schuldenbremse entgegen. Die Folge
dessen ist, dass die deutschen Sparer ihr Geld im Ausland mit hohen
Risiken anlegen müssen (siehe unten). Die Erfahrungen aus der
Vergangenheit mit deutschen Anlagegeldern in US-Subprime-Papiere,
griechische Staatsanleihen etc. waren nicht gerade positiv. Deutsche
Anleger sollten daher bei ihren Auslandsanlagen einen starken Fokus auf
das Risikomanagement legen.
Dazu
noch ein kurzer Abriss über die Zusammenhänge: Oft wird der
Kreditkreislauf einer Volkswirtschaft mit dem Blutkreislauf eines
Menschen verglichen. Ohne Kredit ist keine Wirtschaftsaktivität möglich,
da Investitionen, Lagerbestände oder größere Anschaffungen wie Wohnraum
ansonsten kaum finanzierbar wären. Wichtig sind aber auch
Überbrückungskredite, die bei einem temporären Zahlungsungleichgewicht
helfen. Anthropologische Studien zeigen sogar, dass Kreditbeziehungen in
der menschlichen Geschichte schon lange vor der Erfindung des Geldes
gängig waren.
In einer wachsenden Volkswirtschaft mit einer positiven
Inflationsrate steigt normalerweise jedes Jahr die Verschuldung, da ein
immer größeres Volumen an realen Investitionen zu immer höheren Preisen
finanziert werden muss. In seltenen Fällen kann die Verschuldung sogar
sinken, wenn Investitionen überwiegend mit Eigenkapital finanziert
werden oder wenn ein Schuldner einen Zahlungseingang nutzt, um einen
Kredit abzuzahlen. Die Zahlung muss dabei jedoch aus einer Reduktion des
Finanzvermögens des Zahlers resultieren.
Idealerweise
wird nur zusätzliche Wirtschaftsaktivität mit einer steigenden
Verschuldung finanziert, sodass die Gesamtverschuldung im Verhältnis zur
Wirtschaftsaktivität (Bruttoinlandsprodukt) konstant bleibt.
Tatsächlich ist jedoch oft ein Anstieg der Verschuldung zu beobachten,
die keine neue Wirtschaftsaktivität finanziert. So nahmen
US-amerikanische Haushalte bis zur Krise 2008 in einem erheblichen
Umfang Kredite auf, um bestehende Immobilien zu einem immer höheren
Preis zu kaufen. Die Verkäufer der Immobilien behielten dann den
Verkaufserlös als Finanzvermögen. Auch mussten chinesische
Staatsunternehmen bis vor kurzem oft Kredite aufnehmen, um Verluste aus
dem operativen Geschäft zu decken. Ein anderes Beispiel: Der griechische
Staat konnte das Niveau an exzessivem Staatskonsum nur dadurch lange
Zeit stabil halten, indem er permanent neue Kredite aufnahm.
Wenn
also die Verschuldung im Verhältnis zur Wirtschaftsaktivität steigt,
gibt es ein Ungleichgewicht innerhalb einer Volkswirtschaft, da sich
eine Gruppe permanent immer stärker verschuldet, eine andere hingegen
ein immer größeres Finanzvermögen aufbaut. Idealerweise gibt die Gruppe
mit den hohen Finanzvermögen ihr Geld dann irgendwann wieder aus, sodass
bei der Gruppe der Schuldner zusätzliche Einkommen entstehen, die zum
Schuldenabbau genutzt werden können. Hält jedoch die Gruppe der
Gläubiger an ihrem Finanzvermögen fest, kann die Gruppe der Schuldner
trotz aller Sparanstrengungen ihre Verschuldung nicht reduzieren, da das
Sparen geringere Ausgaben zur Folge hat, was wiederum die Einkommen
reduziert, sodass kaum noch Einkommen zum Sparen übrigbleibt. Wenn also
eine Gruppe innerhalb einer Volkswirtschaft ihre Verschuldung abbauen
möchte, muss eine andere Gruppe entweder ihr Finanzvermögen reduzieren
oder die Verschuldung erhöhen – andernfalls sind Sparanstrengungen
selbstzerstörend.
Derzeit
reduzieren in Deutschland der Staat und die privaten Haushalte in einem
erheblichen Umfang ihre Verschuldung im Verhältnis zum BIP. Insgesamt
gelingt der Abbau der Verschuldung im Verhältnis zum BIP in Deutschland
aber nur, weil das Ausland bereit ist, sich gegenüber Deutschland zu
verschulden. Dementsprechend betrug der Leistungsbilanzüberschuss in
Deutschland im Jahr 2018 auch etwa 250 Mrd. EUR. Deutsche Sparer legten
2018 demnach 250 Mrd. EUR im Ausland an – entweder direkt oder indirekt
über ihre Anlagen bei Banken und Versicherungen.
Der
Handelskonflikt kann auch so interpretiert werden, dass sich die USA
perspektivisch nicht noch mehr gegenüber dem Ausland verschulden wollen.
Für Deutschland würde das bedeuten, dass weniger Güter und
Dienstleistungen exportiert werden könnten. Die im Ausland unverkauften
Güter und Dienstleistungen müssten dann im Inland verwendet werden, um
einen lang anhaltenden Wirtschaftsabschwung zu vermeiden. Dazu müsste
der deutsche Staat entweder ein sehr positives Investitionsklima für die
privaten Unternehmen schaffen und/oder selbst mithilfe einer steigenden
Verschuldung die Güter und Dienstleistungen verwenden – idealerweise
als Investition.
Eine gute und erfolgreiche Woche wünscht
Edgar Walk
Chefvolkswirt Metzler Asset Management
Den gesamtem Wochenausblick KW 26 können Sie sich hier auch im PDF-Format downloaden.
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