Capital Group: Halbleiter könnten das neue Öl sein

Capital Group: Halbleiter könnten das neue Öl sein
Märkte

Wie lange wird das knappe Angebot an Halbleitern bestehen bleiben, und was bedeutet das für die Zukunft der Branche?

28.05.2021 | 08:45 Uhr

Nach unserer Ansicht ist der Mangel eher zyklischer Natur und in einigen Branchen wie der Automobil- und PC-Industrie akuter. Wir sehen Halbleiter als Motor für das nächste Jahrzehnt des globalen Wachstums in einer zunehmend datenhungrigen Welt, ähnlich wie beim Öl, das den Aufstieg der Industrieländer im letzten Jahrhundert beflügelt hat.

Zu beachten ist, dass sich die Halbleiterindustrie über Boom-und-Krisen-Zyklen entwickelt hat, die von übermäßigen Investitionsausgaben, schlechter Lagerbestandsverwaltung und mangelnder Preisdisziplin gekennzeichnet waren. Heute ist die Branche disziplinierter und besser aufgestellt, nachdem eine jahrelange Konsolidierung dazu geführt hat, dass in jedem spezialisierten Bereich der globalen Lieferkette einige wenige dominante Akteure übrig geblieben sind.

Auf der Nachfrageseite ist die Branche nach unserer Ansicht gut aufgestellt, um in den kommenden Jahren von dem starken Rückenwind durch die Umstellung von Unternehmen, Regierungen und Branchen auf 5G-Technologien, künstliche Intelligenz (KI) und cloudbasierte Lösungen zu profitieren.

Nach verschiedenen Schätzungen, einschließlich unserer eigenen, könnte sich der weltweite Halbleiter-Umsatz von etwa 450 Mrd. US-Dollar im Jahr 2019 auf fast 1 Billion US-Dollar im Jahr 2030 verdoppeln.

Die Kapazitätsengpässe sind eher auf COVID zurückzuführen als auf strukturelle Aspekte

Die globale Krise wurde durch ein Zusammentreffen von Ereignissen ausgelöst, die nach unserer Ansicht weder struktureller Natur sind, noch die langfristige Nachfrage beeinflussen. Die Automobilindustrie wurde einfach überrumpelt, nachdem sie in den ersten Monaten der Pandemie ihre Aufträge bei den Herstellern storniert hatte. Gleichzeitig wurde die Welt virtuell, und der allgemeine Trend zur Digitalisierung beschleunigte sich. Diese Verschiebung führte zu höheren Bestellungen von Chips, die in PCs, Videospielgeräten, Haushaltsgeräten und Cloud-basierten Anwendungen eingesetzt werden.

PCs sind das prominenteste Beispiel. Obwohl PCs noch immer etwa ein Drittel des gesamten Halbleitermarktes ausmachen, ist diese Branche im letzten Jahrzehnt allmählich zurückgegangen. Dies änderte sich im letzten Jahr, als der Markt die höchste Wachstumsrate seit 10 Jahren verzeichnete.

Als die Autohersteller im letzten Herbst ihre Bestellungen bei den Herstellern erneuerten, gab es daher keine Kapazitäten für sie. Glücklicherweise macht der Automobilsektor nur einen kleinen Teil des gesamten Halbleitermarktes aus, wobei der Bereich angesichts des erwarteten Anstiegs der Elektrofahrzeugproduktion künftige Wachstumschancen aufweist. Da die Herstellung von Auto-Chips etwa vier Monate dauert, dürfte sich die Situation bis zum Ende dieses Jahres von selbst korrigieren.

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KI und maschinelles Lernen sind starke Wachstumstreiber für die Branche

Täglich werden immer mehr Daten erzeugt. Es begann mit den sozialen Medien und damit, dass die Leute Bilder und Videos von ihren Kindern, dem Essen, das sie in Restaurants gegessen haben, und den Orten, die sie besucht haben, veröffentlichten. Im Jahr 2018 wurden die Menschen als die größten Datenerzeuger von den Maschinen überholt. Wir glauben, dass dieser transformative Wandel ein bedeutender Katalysator für die Halbleiterindustrie sein wird.

In Zukunft wird wahrscheinlich der Großteil der Daten von Maschinen erzeugt werden, die riesige Mengen an Rechenleistung benötigen. Die Herausforderung wird darin bestehen, die Rechenleistung zu erhöhen und den Stromverbrauch zu senken.

Enorme Datenmengen werden sich nicht in unseren Telefonen, sondern in Rechenzentren befinden. Heute sind Rechenzentren für etwa 3 % des weltweiten Stromverbrauchs verantwortlich. Wenn wir nichts tun, um ihre Effizienz zu verbessern, könnten sie in 10 Jahren 25 % des Stromverbrauchs ausmachen. Angesichts dieses Dilemmas gilt in der Halbleiterentwicklung die Faustregel, dass der Stromverbrauch dieser Bauteile nach Möglichkeit alle zwei Jahre um 30 % reduziert werden sollte.

Unserer Ansicht nach wird dies das Wachstum bei fortschrittlicheren und komplexeren Chips, die in High-End-Smartphones und Rechenzentren eingesetzt werden, vorantreiben, was die Investitionen im Halbleiterbereich in den nächsten fünf Jahren in die Höhe treiben wird.

In der Halbleiterbranche steht ein massiver Investitionszyklus bevor

Die weltweit größten Halbleiterunternehmen planen Investitionen von Milliarden Dollar für neue Fertigungsanlagen, um die neue Nachfrage zu befriedigen, sowie zur Bewältigung geopolitischer Spannungen, da Halbleiter als nationale Sicherheitspriorität angesehen werden. Sowohl die USA als auch Europa sind bestrebt, wichtige Lieferketten näher an ihre eigenen Länder zu verlagern, da Taiwan einen Großteil der High-End-Produktion für Halbleiter kontrolliert.

Taiwan Semiconductor Manufacturing (TSMC), ein Wegbereiter in der Branche, plant bis 2023 Investitionen von 100 Milliarden Dollar für neue Chip-Fertigungsanlagen, darunter ein großes Werk, das in Arizona errichtet werden soll. TSMC hält einen Marktanteil von fast 80 % bei der Produktion modernster Chips. Zu seinen Kunden gehören Apple, Qualcomm und Broadcom.

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Derweil plant Intel Investitionen von 20 Milliarden Dollar für zwei neue Werke in Arizona, und Samsung Electronics liebäugelt mit dem Bau einer neuen Produktionsstätte in Texas im Wert von 17 Milliarden Dollar. Die Investitionen folgen auf eine Phase von Kapitaldisziplin und Branchenkonsolidierung, die dazu geführt hat, dass das Geschäft von zwei Akteuren beherrscht wird: TSMC und Samsung. An dritter Stelle folgt Intel - mit weitem Abstand.

Es ist jedoch unklar, inwiefern die neuen Fertigungsanlagen langfristig der Branche zugute kommen, und wir werden dies genau beobachten. Die Herstellung von Prozessoren wird in den USA wahrscheinlich teurer sein als in Taiwan oder Korea, wo sich der Großteil der derzeitigen Kapazitäten befindet. Dies könnte zu Marktineffizienzen führen. Auch ist nicht klar, ob die US-Halbleiter- und Technologieunternehmen, die fast alle die Fertigung ihrer Chips nach Asien ausgelagert haben, diese in die USA zurückholen wollen.

Die Branche hat sich über alle Segmente hinweg konsolidiert


Nach mehreren Konsolidierungsrunden wird jedes Segment entlang der Lieferkette - die Chipentwickler, die Chipausrüster, die Fertigungsanlagen, die die Chips herstellen, und die Unternehmen, die die Chips testen - von wenigen Unternehmen dominiert.

Durch das hochspezialisierte Know-how in jedem dieser Bereiche haben sich die Wettbewerbsvorsprünge vergrößert. Viele dieser Unternehmen sind gut geführt und haben ein besseres Gespür für die Nachfragemuster bei den Kunden. Die Preissetzungsmacht ist weiterhin hoch, und die Margen sind attraktiv.

Halbleiterausrüster: Dieser Markt hat sich stark konsolidiert. Die fünf größten Unternehmen kontrollieren einen Marktanteil von fast 75 % – vor 15 Jahren waren es noch 40 %. Diese Unternehmen, darunter ASML in den Niederlanden sowie Applied Materials und Lam Research in den USA, haben große Wettbewerbsvorsprünge aufgebaut, wobei jedes Unternehmen seine eigene spezifische Nische innerhalb des Halbleiterfertigungs- und Testprozesses entwickelt hat.

Infolgedessen sind sie angesichts der Komplexität ihrer Maschinen schwer zu verdrängen. Eine Extrem-Ultraviolett-Lithografie (EUV)-Maschine zur Herstellung hochentwickelter Chips besteht beispielsweise aus mehr als 100.000 Teilen, kostet ca. 120 Millionen Dollar und wird in 40 Frachtcontainern verschifft. ASML ist im Wesentlichen der einzige Hersteller dieser Geräte.

Des Weiteren haben die Gerätehersteller ein Servicemodell mit wiederkehrenden Einnahmen aus der Wartung der Maschinen entwickelt. Die Betriebsmargen lagen in den letzten fünf Jahren bei durchschnittlich 25 % und könnten nach unseren Schätzungen auf über 30 % steigen. In früheren Jahren waren sie in den einstelligen Bereich gefallen.

Speicherchips: Die Struktur der Branche hat sich weiterentwickelt, und sie ist attraktiver geworden. Speicher war früher ein zyklisches, rohstoffähnliches Geschäft. Die Branche ist von etwa 15 Unternehmen weltweit auf drei geschrumpft, angeführt von Samsung Electronics in Korea. Im Gegenzug ist die Branche disziplinierter und rationaler geworden. Und Speicherchips sind weiterhin ein wichtiger Baustein für Computerprozessoren, die in einer Vielzahl von Geräten eingesetzt werden. Obwohl fast drei Viertel der weltweiten Speicherchip-Produktion auf Korea entfallen, beherrschen die USA aufgrund ihrer Dominanz in den Segmenten Fabless, Ausrüstung und Intellectual Design mit einem Anteil von ca. 47 % weiterhin den weltweiten Halbleitermarkt.

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Strategische Bedeutung schürt geopolitische Spannungen

Die wachsende strategische Bedeutung von Halbleitern hat bei Regierungsvertretern in den USA, China und Europa, die alle ihre eigenen Motive verfolgen, Besorgnis ausgelöst.

Die USA sind besorgt, da US-Unternehmen zwar weltweit führend in der Chipentwicklung sind, das Land aber die Führung in der Fertigung schon vor Jahren an Taiwan, namentlich TSMC, abgetreten hat. Der US-Marktanteil in der Chip-Herstellung liegt derzeit bei 12 %, nach 37 % im Jahr 1990.

Indes ist man in Europa besorgt, da es dort keine Fertigungskapazitäten für hochmoderne Halbleiter gibt. Diese Besorgnis hat sich während der jüngsten Chip-Knappheit, die große deutsche Autohersteller betraf, verstärkt.

In China möchte die Regierung die Abhängigkeit des Landes von US-Halbleitern verringern. Angesichts der aktuellen US-Handelssanktionen hat China in seinem letzten Fünfjahresplan die Halbleiterindustrie als strategisches Ziel definiert. Es wird einige Zeit dauern, jedoch wird China mit dem Kapital und den Ressourcen, die das Land dafür aufwendet, einige Kompetenzen entwickeln, wie es das in anderen Branchen auch getan hat.

Da Halbleiterchips in praktisch jeder Branche zum Einsatz kommen und im Wesentlichen das „Gehirn“ der meisten von uns verwendeten Dinge darstellen, wird ihre Bedeutung weiter zunehmen. Wir werden genau beobachten, ob die strategischen Imperative, die die öffentliche Politik vorantreiben, die Effizienz und Umsetzungsfähigkeit der Branche beeinträchtigen.


Über die Autoren

Mathews Cherian - Portfoliomanager/Investment-Analyst

Mathews Cherian ist ein Aktienportfoliomanager mit 24 Jahren Erfahrung (Stand: 31. Dezember 2020). Er hat einen MBA der Harvard Business School und sowohl einen Master-Abschluss in Informatik als auch einen Bachelor-Abschluss in Elektrotechnik und Engineering vom Massachusetts Institute of Technology.

Shailesh Jaitly - Aktien-Analyst

Shailesh Jaitly befasst sich als Aktien-Analyst mit Halbleiterausrüstung weltweit, asiatischer Technologie und indischen Versorgungsunternehmen. Er hat einen MBA der National University of Singapore und einen Bachelor des College of Engineering der Andhra University, Indien. Zudem ist er als CFA zugelassen.

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