Capital Group: Chinas Wirtschaft riskiert eine drastische Wachstumsverlangsamung

Capital Group: Chinas Wirtschaft riskiert eine drastische Wachstumsverlangsamung
Märkte

Anleger in China sollten sich auf eine schwierige Phase vorbereiten. Die Wirtschaft verlangsamt sich und die Regulierungen werden in verschiedenen Branchen verschärft.

04.11.2021 | 08:15 Uhr

Der Konjunkturzyklus hat sich im Juni/Juli gedreht, wie der offizielle Einkaufsmanagerindex und andere Indikatoren, die wir beobachten, zeigen. Ich gehe davon aus, dass das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) im Jahr 2022 deutlich niedriger ausfallen wird als die derzeitige Konsensprognose von rund 5 %.

Hier einige Gründe für meine Einschätzung:

1. Auf dem Immobilienmarkt sind die Kredite knapp.

Die Umsätze auf dem primären Immobilienmarkt machen etwa 15 % des BIP aus, und die indirekte Nachfrage, die der Sektor generiert, macht ihn sogar noch wichtiger für die Wirtschaft. Außerdem werden die Kredite in der Immobilienbranche knapper. Die Beschränkungen für den Erwerb von Wohneigentum könnten gelockert werden. Doch angesichts der geringen Bestände und des schrumpfenden Angebots an Wohnraum könnte jede Lockerung zu noch höheren Immobilienpreisen führen und damit das zentrale politische Ziel der Regierung untergraben, dass „Wohnraum nicht der Spekulation dient“.

Evergrande, der zweitgrößte Bauträger des Landes wird wahrscheinlich ein Konkursverfahren einleiten. Die Abwicklung wird wahrscheinlich den projektweisen Verkauf der Vermögenswerte von Evergrande an staatliche Unternehmen beinhalten.

Die Priorität der Regierung ist der Schutz derjenigen, die Wohnungen von Evergrande vorgekauft haben, worunter Berichten zufolge ungefähr 600.000 Käufer fallen. Basierend auf den Geschichten, die meine Kollegen und ich von unseren Quellen gehört haben, werden Lieferanten von Evergrande bereits in Form von Immobilien „bezahlt“, deren Preis um 20 % bis 30 % reduziert wurde.

Evergrande ist jedoch nur das offensichtlichste Beispiel in einem krisengeschüttelten Sektor. Dutzende mittelgroße Bauträger haben einen schwachen Cashflow und Probleme damit, Bankkredite zu erhalten oder Schuldverschreibungen auszugeben. Einige kürzen ihre Preise drastisch, um an Barmittel zu kommen. In der Vergangenheit sind die größeren Bauträger eingesprungen und haben die unvollendeten Projekte aufgekauft, aber das ist jetzt unwahrscheinlich.

Es ist auch wahrscheinlich, dass in einigen Städten ein Grundsteuerprogramm erprobt wird. Viele Mittelklasse-Haushalte in der Stadt besitzen zwei Immobilien, und dies könnte die Verbrauchernachfrage dämpfen, je nachdem, welcher Steuersatz festgelegt wird und welchen Umfang er hat.

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2. Das Verbrauchervertrauen schwindet, und das Wachstum der Einzelhandelsumsätze verlangsamt sich.

Das Verbrauchervertrauen hat sich nach dem ersten Ausbruch von COVID-19 in China Anfang 2020 nie vollständig erholt. Ebenso wenig wie das Einkommenswachstum, insbesondere bei den unteren Einkommensgruppen. Das Wachstum der Einzelhandelsumsätze ist zwar immer noch positiv, aber auch hier lässt das Wachstumstempo nach. Auch die Autoverkäufe sind in absoluten Zahlen rückläufig, was nach Ansicht unserer Analysten, die sich mit dem Sektor befassen, jedoch hauptsächlich auf Lieferunterbrechungen aufgrund fehlender Komponenten zurückzuführen ist. Die Jugendbeschäftigung in den Städten nimmt zu, während die Gesamtbeschäftigung noch immer nicht den Stand von vor der COVID-19-Pandemie erreicht hat.

Die „Common Prosperity“-Agenda der Regierung zur Verbesserung der Lebensbedingungen der unteren Mittelschicht könnte auch zu einer Flut von Steuern auf Immobilien, Erbschaften, Luxusgüter und Alkohol führen, was sich auf weite Teile der oberen Mittelschicht auswirken würde und die Verbraucherstimmung weiter dämpfen könnte.

3. In der Schwerindustrie könnte es zu Überkapazitäten kommen, und die Gewinne der Industrie haben sich abgeschwächt.

Der Immobilienboom in den Jahren 2018 bis 2020 hat die hohe Nachfrage nach Stahl gestützt. Dies und die Angebotsreformen, die Mitte der 2010er Jahre alte und überschüssige Kapazitäten abbauten, führten dazu, dass die Schwerindustrie wieder auf die Beine kam. Jetzt, da die Endnachfrage schrumpft, könnten die Überkapazitäten wieder zunehmen. Die Daten sind unbeständig, aber die Trendlinie zeigt, dass die Industriegewinne jetzt unter dem Niveau vor der Corona-Pandemie liegen, was die Kapitalinvestitionen der Unternehmen im Jahr 2022 dämpfen könnte.

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Der Regierung stehen Instrumente zur Stimulierung zur Verfügung

Zweifellos verfügt die Regierung über Instrumente, um die Wirtschaft anzukurbeln. Der Leitzins in China liegt bei 4 %, was im Vergleich zu anderen Volkswirtschaften sehr hoch ist, sodass die People's Bank of China Spielraum für Zinssenkungen hat. Wir könnten in den nächsten Monaten sogar eine Zinssenkung um 25 bis 50 Basispunkte erleben.

Die Herausforderung für die Behörden besteht darin, dass eine Zinssenkung in einer Zeit, in der sie die Verschuldung des Immobilienmarktes und der Gemeinden weiter eindämmen wollen, riskant sein könnte. Peking könnte auch Bedenken haben, die Zinsen zu senken, wenn der Rest der Welt die Zinsen erhöht, was den Kapitalzufluss dämpfen könnte. Auch wenn die Zinssenkungen auf eine deutliche Lockerung hindeuten, bezweifle ich, dass sie ausreichen werden.

Wenn Peking in früheren Zyklen das Wachstum angekurbelt hat, hat es in der Regel sowohl die Zinsen gesenkt als auch die Banken angewiesen, mehr Kredite zu vergeben. Durch die Ankurbelung der Sektoren Immobilien und Infrastruktur wird somit eine Endnachfrage geschaffen. Doch während Immobilien von den privaten Haushalten bezahlt werden, wird die Infrastruktur von lokalen staatlichen Einrichtungen bezahlt – es handelt sich also de facto um eine staatliche Verbindlichkeit.

Diesmal ist der Spielraum an der Steuerfront wesentlich geringer, da die Staatsverschuldung, wenn man sie richtig misst, mehr als 100 % des BIP beträgt und rasch ansteigt. Peking hat versucht, diese Schulden transparenter zu machen, indem es einen größeren Teil davon durch öffentliche Anleihen finanziert hat, aber es hat die immer noch großen „versteckten Schulden“ nicht wirksam eingedämmt.“

Ich glaube auch, dass Peking in nächster Zeit bereit ist, das Wachstum zu opfern, um wichtige strategische Prioritäten zu erreichen.

Während sich viele in Erwartung eines Konjunkturpakets auf den 20. Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) im Herbst 2022 konzentrieren, denke ich, dass die Führungsspitze jetzt ihre Augen auf den Zeitraum 2035–2040 richtet, in dem sie sich als ein starkes und technologisch fortschrittliches Land sieht. Ich glaube, die Regierung ist bereit, kurzfristige Schmerzen in Kauf zu nehmen, um langfristig zu gewinnen.

Der Generalsekretär der KPCh, Xi Jinping, möchte nicht nur den Immobilienmarkt deflationieren, sondern auch die Finanzierungsmittel in die strategischen Prioritäten des Regimes lenken: Umweltschutz, Elektrofahrzeuge, Halbleiter und Waffen. Es ist auch klar, dass die KPCh heute ein anderes Verhältnis zum Privatsektor pflegen möchte als früher.

Daher erwarte ich in den nächsten drei bis sechs Monaten keine wesentliche politische Lockerung.
Ich könnte natürlich falsch liegen. Sicherlich wird der Druck, Lockerungen bis zum Jahresende einzuführen, groß sein, insbesondere wenn die Wirtschaftsdaten für das vierte Quartal deutlich hinter den Erwartungen zurückbleiben. Wenn das der Fall ist, werden wir wahrscheinlich einige Zinssenkungen und vielleicht eine Wende hin zu einer proaktiven Finanzpolitik im Jahr 2022 erleben.

Ich gehe jedoch davon aus, dass diese Maßnahmen nicht ausreichen werden, um das Wachstum noch vor der zweiten Jahreshälfte 2022 anzukurbeln – und es könnte auch noch länger auf sich warten lassen. Da auf dem Markt die Konsenserwartung vorherrscht, dass die offizielle BIP-Wachstumsrate im Jahr 2022 bei 5 % liegen wird, besteht meiner Meinung nach ein erhebliches Risiko einer negativen Überraschung.

Über den Autor

Stephen Green

Ökonom

Stephen Green ist als Ökonom für Asien zuständig. Er verfügt über 16 Jahre Erfahrung in der Investmentbranche. Er besitzt einen PhD in Government von der London School of Economics und erwarb in Cambridge einen Honors Degree.

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