Capital Group: Wie der Russland-Ukraine-Konflikt die europäische Wirtschaft bedrohen könnte

Capital Group: Wie der Russland-Ukraine-Konflikt die europäische Wirtschaft bedrohen könnte
Konjunktur

Der Einmarsch Russlands in die Ukraine hat eine rasche Reaktion der amerikanischen und europäischen Regierungen ausgelöst. Die Verhängung von Wirtschaftssanktionen beherrscht die Finanzseiten, aber es gibt noch zwei weitere Aspekte dieser Krise, die meiner Meinung nach tiefgreifendere Auswirkungen auf die Weltwirtschaft haben werden.

28.02.2022 | 10:50 Uhr

Der erste ist der steigende Ölpreis, der jetzt über 100 Dollar pro Barrel liegt. Wir wissen aus früheren Fällen geopolitischer Unsicherheit, wie z. B. dem Einmarsch Russlands auf der Krim im Jahr 2014, dass höhere Ölpreise die globale Wirtschaftstätigkeit erheblich beeinträchtigen können.

Aus europäischer Sicht ist die größere Sorge, was mit den Erdgaspreisen passiert ist, die bereits hoch sind. Darin spiegelt sich die Sorge wider, dass es zu einer erheblichen Unterbrechung der russischen Gaslieferungen in die Europäische Union kommen wird. Die anhaltende geopolitische Instabilität wird die Gaspreise wahrscheinlich noch weiter in die Höhe treiben. Dies wird insbesondere für Länder wie Deutschland und Italien, zwei der größten europäischen Volkswirtschaften, problematisch sein.

Die großen europäischen Volkswirtschaften haben bereits einen steilen Anstieg der Energiepreise erlebt. Die Ölpreise schlagen in der Regel schnell auf die Verbraucherpreise durch. Die Weitergabe der Gaspreise vom Großhandel an den Einzelhandel ist jedoch unterschiedlich, insbesondere angesichts der Unterstützung durch Regierungen, die die Verbraucher schützen wollen. Die jüngsten Preiserhöhungen werden sich wahrscheinlich auch in den nächsten Monaten auf die Verbraucherpreise auswirken.

Die Ankündigung Deutschlands, Nord Stream 2, eine neue Gaspipeline von Russland nach Deutschland, nicht zu zertifizieren, hat keine direkten Auswirkungen auf die Versorgung, da sie noch nicht in Betrieb ist. Dennoch ist es möglich, dass es zu einer größeren Unterbrechung der europäischen Versorgung kommen könnte, wenn Russland als Vergeltung die Exporte in die EU einschränkt. Dies würde natürlich auch der russischen Wirtschaft schaden, aber Russland hat seine Währungsreserven aufgestockt, um sich gegen eine solche Eventualität zu schützen.

Eine weitere drängende Frage ist, was die hohen Rohstoffpreise für die Politik der Zentralbanken bedeuten könnten.

Möglicherweise steht uns ein weiterer negativer Angebotsschock bevor, der die Inflation in die Höhe treibt und das Wirtschaftswachstum dämpft. Ich glaube, dass die Federal Reserve und die Europäische Zentralbank bei der Straffung der Geldpolitik vorsichtiger vorgehen werden. Beide werden wahrscheinlich abwarten, wie die Finanzmärkte und die Rohstoffpreise reagieren. Letztendlich denke ich, dass die Fed die Zinssätze anheben wird, aber vielleicht allmählicher, als die Märkte vor einer Woche erwartet haben.

Ich erwarte auch, dass die europäischen Regierungen die Unterstützung für Haushalte und Unternehmen verstärken werden, um sie vor höheren Energiepreisen zu schützen, und damit die in den letzten Monaten ergriffenen Maßnahmen verstärken. Im schlimmsten Fall, d. h. bei schwerwiegenden Versorgungsunterbrechungen und hohen Preisen, könnten die Regierungen gezwungen sein, die Energienachfrage zu drosseln und die betroffenen Unternehmen und Branchen zu entschädigen.

Während die großen europäischen Volkswirtschaften kurzfristige Versorgungsunterbrechungen und Preisschwankungen verkraften können, wächst die Sorge um die mittelfristige Sicherheit der europäischen Energieversorgung. Für die EU wird es eine Herausforderung sein, ihre Gasspeicher im Frühjahr und Sommer wieder aufzufüllen, wenn es zu anhaltenden Versorgungsunterbrechungen kommt und die Nachfrage stark bleibt.

Mit dem schrittweisen Ausstieg aus der Kohle steigt der Bedarf an Gas. Die deutsche Regierung hat außerdem bestätigt, dass die verbleibenden Kernkraftwerke bis Ende 2022 abgeschaltet werden sollen. Der Druck auf die europäischen Regierungen, den Ausbau anderer Energiequellen fortzusetzen, wird zunehmen. Dies wird jedoch Zeit in Anspruch nehmen und Europa anfällig für eine weitere Verschlechterung der Beziehungen zu Russland machen.

Robert Lind ist Volkswirt bei der Capital Group. Er hat 33 Jahre. Branchenerfahrung, davon vier Jahre bei der Capital Group. Er hat einen Bachelor in Philosophie, Politik und Volkswirtschaft (PPE) von der Universität Oxford. Lind arbeitet in London.


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