Capital Group: Was Bidens Chinapolitik für Anleger bedeutet

Capital Group: Was Bidens Chinapolitik für Anleger bedeutet
Interview

Die ersten 100 Tage sind für einen neuen Präsidenten nie einfach. Doch jetzt sind die amerikanisch-chinesischen Beziehungen vielleicht so schlecht wie seit 50 Jahren nicht mehr.

23.04.2021 | 10:13 Uhr

Joe Biden muss schwierige Entscheidungen treffen, mit Auswirkungen auf das Machtgleichgewicht zwischen den beiden größten Volkswirtschaften der Welt. Wie könnten sich die Beziehungen zwischen den beiden Ländern in den nächsten vier Jahren entwickeln?

Wir sprachen mit unserem politischen Volkswirt Michael Thawley und Portfoliomanager Chris Thomsen, um zu erfahren, welche Auswirkungen auf Außenhandel und Finanzanlagen sie erwarten.

Wie sehr könnte sich die Politik unter Biden ändern?

Michael Thawley: Biden steht vor den gleichen Problemen wie Trump. Weltpolitisch dürfte sich daher nicht allzu viel ändern. China ist heute das Land mit dem größten Anteil am Weltwirtschaftswachstum. Die chinesische Führung ist selbstbewusster geworden und möchte auf der internationalen Bühne stärker mitreden.
Ich glaube daher, dass Biden nichts Grundlegendes ändert, allerdings mit einigen wichtigen Ausnahmen. Ich rechne damit, dass die Zölle auf absehbare Zeit in Kraft bleiben. Auch die Investitions- und Technologierestriktionen dürfte Biden beibehalten. Vermutlich wird er aber versuchen, sie klarer zu formulieren, damit die Politik effizienter und berechenbarer wird. Das könnte manchen US- Technologieunternehmen und Wall-Street-Banken nützen, die in China investieren oder geschäftlich tätig sind.

Beispielsweise ist China für amerikanische Halbleiterhersteller oft der größte Absatzmarkt. Wenn sie keine höherwertigen Chips nach China verkaufen dürften, könnte dies ihren Umsätzen auf Dauer schaden. Außerdem wollen sich Wall-Street-Banken und Assetmanager mehr in China engagieren, nachdem Peking die Regeln für ausländische Unternehmen gelockert hat.

Ansonsten möchte Biden Bündnisse schmieden und den Klimawandel bekämpfen. Damit unterscheiden sich seine außenpolitischen Ziele stark von denen der Vorgängerregierung. Vielleicht wird er Chinas Hongkong- und Taiwanpolitik auch mit gezielteren Sanktionen beantworten. Mit diesem Risiko müssen wir leben.

Noch immer gehen viele chinesische Unternehmen in den USA an die Börse1

Börsengänge chinesischer Unternehmen an der Nasdaq und der NYSE

Börsengänge chinesischer Unternehmen


Wo sehen Sie Fallstricke?

Thawley: Biden und seine Leute werden versuchen, die Bündnisse der USA wiederzubeleben und bei der Chinapolitik mit den alten Verbündeten zusammenzuarbeiten. Nach landläufiger Meinung war die Politik der Vorgängerregierung sehr unilateral – America first. Biden muss jetzt eine internationale Koalition schmieden, um Einfluss auf China zu nehmen – in der Hoffnung auf ein neues Gleichgewicht.

Ziel ist wirtschaftliche Zusammenarbeit zum Wohle aller, wobei es China schwerer gemacht werden soll, die USA und ihre Verbündeten unter Druck zu setzen. Das wird nicht einfach sein.

Südkorea, Japan und Australien wenden sich schon jetzt hilfesuchend an die USA, da sie im Westpazifik ein Gegengewicht zu China wünschen. Das ist schwierig, da bei den Beziehungen zu China stets auch große wirtschaftliche Interessen eine Rolle spielen. Die USA und ihre Verbündeten wollen mit China noch immer Geschäfte machen, und Anleger wollen hier noch
immer investieren.

Die Biden-Administration könnte sich mit China auf eine Formel verständigen, die die weltwirtschaftliche Bedeutung des Landes anerkennt. Dadurch könnten die Wettbewerbsbedingungen fairer werden. Aus meiner Erfahrung im Regierungsapparat kann ich aber sagen, dass eine belastbare Einigung auf gemeinsame Grundsätze nicht einfach ist.

Könnte dies zu einer stärkeren Entkopplung der beiden Volkswirtschaften führen?
Thawley: Ich rechne nicht mit einer Entkopplung. Davon hätten weder die USA noch die Welt etwas. Die USA und China werden auch in Zukunft enge wirtschaftliche Beziehungen pflegen, aber wohl eher dort, wo Technologietransfer und geistige Eigentumsrechte keine so große Rolle spielen. Beispiele sind landwirtschaftliche Produkte und einfache Konsumgüter.

Früher haben Unternehmensinvestitionen und Technologietransfer die Wirtschaftsbeziehungen zwischen beiden Ländern bestimmt. Das hat sich geändert und wird sich weiter ändern. Die derzeitigen Restriktionen werden auch die Zusammenarbeit von Unternehmen erschweren, auf amerikanischer wie chinesischer Seite. Zu den wichtigsten Gütern, die die USA nach China exportieren, zählen Halbleiter, Erzeugnisse für die Luftfahrt und Autos.

Die Biden-Administration wird die Investitions- und Technologierestriktionen gegen China vermutlich systematisieren und genauer fassen. Das könnte für mehr Klarheit und Berechenbarkeit sorgen. Außerdem glaube ich, dass sich die US-Behörden auch in Zukunft vor allem mit Cyber-Themen, dem Schutz von Personen- und Verbraucherdaten und kritischer Infrastruktur befassen.

Wir stehen an einem Wendepunkt. Beim Internet wie in der Industrie steht uns eine zweigeteilte Welt bevor. Es ist völlig klar, dass die USA keine 5G- Technologie aus China importieren oder ihre eigenen modernsten Technologien nach China exportieren werden.

China – von der Werkbank der Welt zum wachstumsstarken Innovator2

Inländische F&E-Ausgaben (brutto, Mio. USD)

China-Weltbank


Was bedeutet dies für einzelne Unternehmen aus strategisch wichtigen Sektoren, etwa der Technologie?

Chris Thomsen: Im Technologiebereich teilt sich die Welt in zwei Blöcke: einen mit China als Zentrum, einen anderen mit den USA und ihren Verbündeten. Im Telekommunikationssektor sieht man dies bereits bei 5G: China hat die USA beim Netzwerkausbau hinter sich gelassen, und die USA sowie viele EU-Länder haben Huawei aus ihren Netzen verbannt.

Ein anderes schwieriges Thema sind Halbleiter. Unternehmen müssen mit neuen Handelsregeln zurechtkommen und sich entsprechend aufstellen, um die Nachfrage in den USA und China erfüllen. TSMC, der weltgrößte Chip- Auftragsfertiger, möchte in Arizona eine hochmoderne Fabrik bauen, und einige seiner Zulieferer planen ähnliche Investitionen in den USA. Zugleich verlagert ein führender koreanischer Speicherchiphersteller die Produktion einfacherer Chips teilweise nach China.
China möchte in Schlüsselindustrien autark werden. Der Ausbau der Halbleiterproduktion ist daher ein wichtiger Punkt des aktuellen Fünfjahresplans. Zurzeit sind chinesische Hersteller von Mobiltelefonen und anderer Elektronik stark von Taiwan, Korea und den USA abhängig. Hier beziehen sie höherwertige Halbleiter und Produktionstechnik.

Chinesische Unternehmen wie Tencent und Alibaba haben weltweit führende Plattformen für mobilen Zahlungsverkehr und Internetdienste aufgebaut, aber bei der Halbleiterherstellung ist China alles andere als führend. In vielen Bereichen wird es noch Jahre dauern, bis das Land moderne, wettbewerbsfähige Technologien entwickelt hat, etwa bei Speicherchips und Halbleitern der neuesten Generation. Zurzeit produziert Chinas führender Hersteller Chips im 14-Nanometer-Bereich und liegt damit mindestens zwei Generationen hinter dem Weltmarktführer zurück. Angesichts der weltpolitischen Unsicherheit fördert die Regierung sowohl staatliche als auch private Produzenten massiv, um die Technologielücke zu schließen.

Das vollständige interview finden Sie hier als PDF.

1 Quelle: FactSet. Stand 31. Dezember 2020

2 Quelle: OECD

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