Capital Group: Der Klimawandel stellt die großen Player im Ölgeschäft vor große Herausforderungen

Capital Group: Der Klimawandel stellt die großen Player im Ölgeschäft vor große Herausforderungen
Interview

Die großen Player im Ölgeschäft haben den dramatischen Einbruch der Ölpreise im Jahr 2020 überstanden. Jetzt sehen sie sich mit immer lauteren Forderungen konfrontiert, ihren Beitrag zur Erreichung des gesellschaftlichen Ziels zu leisten, die CO2-Emissionen bis 2050 auf Netto-Null zu reduzieren.

18.08.2021 | 07:25 Uhr

Im Überblick

  • Ölgesellschaften stehen unter Druck. Der Westen verlangt, dass sie offenlegen, wie sie dazu beitragen wollen, bis 2050 die Nettoemissionen auf null zu senken.
  • In vielen Abschnitten der Energiekette ist saubere Energie teurer. Das stellt für viele Unternehmen eine Herausforderung dar.
  • Die Regierungspolitik kann einen wesentlichen Einfluss auf das Tempo des Wandels bei den Ölgesellschaften und auf das Nachfrageverhalten der Verbraucher entfalten.


Im Laufe der letzten Monate haben aktivistische Aktionäre unter der Führung des Hedgefonds Engine No. 1 drei neue Mitglieder in den Vorstand von Exxon Mobil entsandt. Royal Dutch Shell wurde von einem niederländischen Gericht angewiesen, die globalen Netto-CO2-Emissionen bis 2030 um 45 % zu senken, und die Aktionäre von Chevron stimmten für eine Reduzierung der gesamten Treibhausgasemissionen des Unternehmens. (Zur Erinnerung: Netto-Null steht für das Gleichgewicht zwischen der Menge der erzeugten Treibhausgase und der Menge, die der Atmosphäre entzogen wird.)

Die Gesellschaften in den westlichen Ländern haben sich eindeutig für niedrigere Emissionen entschieden. Dennoch bleibt der Weg, wie die CO2-Emissionen reduziert werden können, weiterhin unklar. Bis es soweit ist, wird die Gesellschaft Kohlenwasserstoffe für Transport, Energie, Chemikalien, Kunststoffe und Schmiermittel benötigen.

Angesichts des beispiellosen strukturellen und gesellschaftlichen Drucks, dem „Big Oil“ ausgesetzt ist, haben wir mit zwei unserer Analysten für den Ölsektor gesprochen, um ihre Ansichten zu den jüngsten Entwicklungen und ihre Einschätzung zu einigen möglichen kurz- und langfristigen Auswirkungen und Ergebnisse zu erfahren.

Was verraten Ihnen diese jüngsten Entwicklungen?

Darren: In der Welt herrscht derzeit eine unglaubliche Spannung, die sich vor allem in den westlichen Gesellschaften manifestiert. Wir wollen bezahlbare Energie, und wir wollen auch saubere Energie. Manchmal muss man gar keine Wahl treffen – Onshore-Windkraft und Solarenergie sind beispielsweise bezahlbar und sauber. Aber in vielen anderen Abschnitten der Energiekette ist saubere Energie teurer.

Und mit den steigenden Kosten wachsen auch die Herausforderungen. Auf relativ wohlhabende Regionen mag das weniger zutreffen, aber für die Weltwirtschaft insgesamt ergibt sich daraus ein echtes Spannungsfeld. Alle diese Unternehmen versuchen auf einem mehr oder weniger schmalen Grat zu wandeln. Die großen europäischen Unternehmen stehen im Zentrum dieser Entwicklung und haben tragfähige Pläne, um die Dekarbonisierung gemeinsam mit der Gesellschaft voranzutreiben. Die großen US-Ölgesellschaften waren weniger proaktiv.

Ich wäre ein großer Befürworter einer CO2-Steuer, mit der ein Preis für Kohlenstoff festgelegt wird. Ich denke, das würde helfen, gleiche Wettbewerbsbedingungen zu schaffen. Zurzeit haben wir es mit einer Vielzahl von Subventionen und Vorschriften sowie unterschiedlichen Risiken zu tun.

BP z. B. engagiert sich intensiv im Bereich der erneuerbaren Energien, was dazu führen kann, dass das Unternehmen mit diesen Investitionen keine guten Erträge erzielt. Chevron und Exxon Mobil hingegen haben sich bisher eher zurückhaltend in die bislang unrentablen Bereiche der alternativen Energien vorgewagt, aber sie könnten Gefahr laufen, dass die Gesellschaft dies als nicht mehr tragbar ansieht.

Und wenn man das Gerichtsurteil von Royal Dutch Shell zum Maßstab nimmt, dann sind die Unternehmen gehalten, Maßnahmen zur Emissionsreduzierung zu ergreifen, bevor die bestehenden Gesetze und politischen Vorgaben geändert werden. Das bedeutet, dass sie ihre CO2-Bilanz – sowohl im Hinblick auf die Emissionen als auch auf die Kohlenstoffintensität – zügiger reduzieren müssen.

Alle drei Aktienabteilungen von Capital haben für die Aufnahme der aktivistischen Aktionäre in den Vorstand von Exxon Mobil gestimmt und auch die Mehrheit der Vermögensverwalter hat diese Entscheidung mitgetragen. Was sagt uns das?

Darren: Hier geht es nicht nur um Rentabilität, sondern auch um den Übergang zu einem Geschäftsmodell, das auf nachhaltige Energiequellen setzt. Beide Aspekte sind untrennbar miteinander verbunden. Ein Unternehmen kann nicht führend in der Branche sein und ein nachhaltiges Ergebnis erzielen, wenn es nicht über einen langfristigen, strategischen und sorgfältig ausgearbeiteten Plan für Investitionen in kohlenstoffärmere Energie verfügt.

Craig: Die Aktien von Exxon Mobil stehen seit mehreren Jahren unter Druck. Ich habe die neuen Verwaltungsratsmitglieder unterstützt, aber ich glaube auch, dass die erfolgreiche Aktion des aktivistischen Fonds nicht nur mit dem Klimawandel zu tun hatte. Die finanzielle Leistung von Exxon ist in den letzten Jahren hinter den Erwartungen zurückgeblieben, was zu einer zunehmenden Verschuldung und einer Herabstufung der Bonität geführt hat und die Fähigkeit des Unternehmens in Frage stellt, die Dividendenzahlung zu gewährleisten.

Was bedeutet das für die bestehenden Ölanlagen?

Craig: Die großen Ölkonzerne haben bereits mehrere Jahre lang ihre Investments in ihre alten Geschäftsbereiche reduziert und von vielen von ihnen verlangt, sich von bestimmten fossilen Brennstoffen zu trennen.

Eine Folge davon ist, dass einige traditionelle Ölanlagen von börsennotierten Ölgesellschaften zu weniger umweltbewussten Produzenten verlagert werden könnten, bei denen die Emissionen weniger streng kontrolliert werden. Zwar könnten einzelne Unternehmen dann Fortschritte auf dem Weg zu Netto-Null-Emissionszielen vorzeigen, die weltweite Emissionsbilanz bliebe aber unverändert.

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Der Rückgang der Investitionen in das Ölgeschäft könnte zu einem Rückgang des Angebots führen, während sich die weltweite Nachfrage erholt. Dies wiederum kann zu höheren Ölpreisen und damit zu einem interessanten Dilemma für die großen Ölgesellschaften führen. Werden sie bei anhaltend hohen Ölpreisen immer noch bereit sein, Investitionen in diesem Bereich zu opfern, um ihre Umstellung auf erneuerbare Energien fortzusetzen? Im Moment gibt es keine klare Antwort.

Verändert die jüngste OPEC-Vereinbarung zur Erhöhung des Angebots die Dynamik der Branche?

Darren: Nach der Einigung im Mai 2020 haben sich die OPEC-Mitglieder bei der Reduzierung des Angebots während der COVID-Pandemie sehr gut abgestimmt. Angesichts der sich nun wieder normalisierenden Nachfrage wird ein Teil des Angebots wieder erhöht, was angemessen ist. Dennoch hat der starke Preisverfall im Jahr 2020 aufgrund von COVID-19 weltweit zu einem Rückgang der Investitionen geführt. Infolgedessen ist das weltweite Angebot auf struktureller Basis geringer. Nun da sich die Nachfrage normalisiert, dürften die Kapazitätsreserven der OPEC geringer sein als in der Zeit vor COVID. Infolgedessen werden die Ölpreise in naher Zukunft wohl auf diesem höheren Niveau verharren.

Wie bewertet der Markt diese Unternehmen?

Craig: Das Dilemma für die Ölgesellschaften besteht darin, wie sie die Dekarbonisierung wirtschaftlich rentabel gestalten können – und in welchem Tempo und in welchem Umfang. Bislang ist es noch zu früh, um zu beurteilen, ob und wenn ja, welche Unternehmen beim Aufbau von kohlenstoffarmen und wirtschaftlich attraktiven Geschäftsfeldern erfolgreich sein werden.

Selbst für die Unternehmen, die auf erneuerbare Energien umsteigen wollen, ist es äußerst schwierig, die Höhe der erforderlichen Investitionen zum Ausgleich der Cashflows aus dem alten Ölgeschäft zu berechnen. Solange die Wirtschaftlichkeit von kohlenstoffarmen Technologien nicht bewiesen ist, werden diese Unternehmen meiner Meinung nach für ihre Bemühungen keine Lorbeeren ernten.

Die Sicherheit der Dividenden ist ein wichtiges Argument für eine Anlage im Ölsektor, und alle diese Unternehmen werden letztlich anhand ihrer künftigen Cashflows und Kapitalrenditen bewertet.

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Shell und BP beispielsweise haben vor einem Jahr ihre Dividenden drastisch gekürzt, und ihre Aktienkurse haben gelitten. Ich denke, dass dies zum Teil auf die Skepsis der Anleger zurückzuführen ist, ob die Unternehmen in der Lage sind, ihr Geschäft in profitabler Weise von Öl auf erneuerbare Energien umzustellen. Chevron dagegen hat deutlich gemacht, dass die Sicherung der Dividenden für das Unternehmen nach wie vor eine höhere Priorität hat als die schnelle Umstellung auf erneuerbare Energien, die das Unternehmen langfristig angehen will.

Was könnte sich Ihrer Meinung nach in den nächsten zehn Jahren ändern?

Darren: Für mich steht immer noch die Frage im Raum, wie schnell unsere Gesellschaft insgesamt eine bessere CO2-Bilanz erreichen kann. Es ist wahrscheinlich, dass die Nachfrage nach Öl und Gas in den nächsten Jahren weiter ansteigen wird, um dann auf ein Plateau überzugehen und einen sehr langsamen Nachfragerückgang zu erleben. Dieses potenzielle Ergebnis wird durch die derzeitige Wirtschaftslage bestimmt: Kohlenwasserstoffe sind nach wie vor der billigste Weg, um Gesellschaften und das Wachstum ihrer Volkswirtschaften zu versorgen. Für die großen Ölkonzerne wäre dies nicht weiter tragisch, außer dass sie weiterhin als das Problem und nicht als die Lösung angesehen werden.

Ein weiteres mögliches Szenario ist, dass zusätzliche kohlenstoffreduzierende Technologien entwickelt werden und bestehende Technologien früher als erwartet wirtschaftlich werden und/oder verschiedene Regionen bereit sind, einen höheren Preis für Kohlenstoff zu erheben. Je besser es gelingt, die wirtschaftliche Kostenkurve nach unten zu verschieben, desto eher können Unternehmen und Gesellschaft den Wandel vollziehen. Wir sind noch nicht da, wo wir sein müssten. Aber das Bewusstsein, dass mehr getan werden muss, ist gewachsen.

Auch die Politik der einzelnen Regierungen kann das Tempo des Wandels bei den Ölgesellschaften beeinflussen und die Nachfragemuster der Verbraucher verändern – sei es durch Auflagen zur Kohlenstoffabscheidung oder durch finanzielle Anreize für die Verbraucher zum Umstieg auf alternative Energien. Der von der Europäischen Union vorgeschlagene Plan „Fit for 55“ würde beispielsweise einen Preis für Emissionen in der Schifffahrt und im Luftverkehr festlegen und den Verkauf neuer Autos mit Verbrennungsmotoren bis 2035 verbieten.

Für die Ölgesellschaften gibt es potenziell verschiedene Bereiche, in denen sie alternative Energien einsetzen können. Beispielsweise ähnelt die Wertschöpfungskette bei erneuerbaren Energien der Struktur des Energiegeschäfts. Die Anlagen sind jedoch unterschiedlich: ob es sich um die Erzeugung von Energie (z. B. Bau von Offshore-Windparks), den Transport einer bestimmten Form alternativer Energie wie Wasserstoff (z. B. Bau von Pipelines) oder die Endverteilung an die Kunden (z. B. Ladestationen für Elektrofahrzeuge) handelt.

Während sich die großen europäischen Ölkonzerne auf Wind- und Solarenergie konzentriert haben, verfügen Chevron und Exxon Mobil über Technologien zur Kohlenstoffabscheidung, auf die sie aufbauen könnten. Wasserstoff und Biokraftstoffe bieten weiteres Potenzial.

Und nicht zuletzt muss massiv in alternative Energiequellen investiert werden, wenn die Welt das Ziel erreichen will, die CO2-Emissionen bis 2050 auf Netto-Null zu reduzieren. Und dies könnte tatsächlich eine gewaltige Chance für große Ölgesellschaften sein – wenn sie in einem dieser Bereiche einen Kostenvorteil erzielen können.


1. Quelle: Refinitiv Datastream. Das Diagramm wird auf einer logarithmischen Skala dargestellt. Die Rohölpreise entsprechen der linken Achse. Der Preis des MSCI World Oil, Gas and Consumable Fuels Index entspricht der rechten Achse. Die Daten beziehen sich auf den Zeitraum vom 13. Juni 2014 bis zum 19. Juli 2021. WTI: West Texas Intermediate

2. Quellen: RIMES, MSCI. Stand 30. Juni 2021

Über die Autoren

Darren Peers - Aktienanalyst

Darren ist Equity Investment Analyst bei der Capital Group mit Research-Verantwortung für integrierte Öl- und Gasunternehmen in den USA und Europa, für Öl- und Gasexploration und -produktion in den USA und Kanada, für Öl- und Gasraffination und -vermarktung sowie große Maschinenbauunternehmen in den USA. Er hält einen MBA von der Tuck School of Business am Dartmouth College und einen Bachelor-Abschluss in Wirtschaftswissenschaften vom Dartmouth College. Darren ist in Los Angeles tätig.

Craig Beacock - Aktienanalyst

Craig ist Equity Investment Analyst bei der Capital Group mit Research-Verantwortung für den Energiebereich und als Generalist zuständig für kleine und mittelgroße Unternehmen in Kanada sowie für integrierte Ölunternehmen, Midstream-Unternehmen und Ölraffinerien in den USA und Europa. Er hält einen Bachelor-Abschluss in Betriebswirtschaftslehre von der University of Southern California. Zudem trägt er den Titel des Chartered Financial Analyst®. Craig ist in San Francisco tätig.


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