ODDO BHF CIO View: US-Arbeitsmarkt, Lohnentwicklung und Inflation

Die Erholung am US-Arbeitsmarkt hat im Herbst erneut Fahrt aufgenommen. Der Arbeitsmarktbericht für Oktober 2021 zeigt einen Anstieg der Beschäftigung um 531.000 Stellen im Vergleich zum Vormonat

15.11.2021 | 10:36 Uhr

Zugleich wurden die Ergebnisse der beiden Vormonate um insgesamt 235.000 Stellen nach oben revidiert. Im Dreimonatsdurchschnitt liegt der Beschäftigungsanstieg damit bei 442.000 Stellen, erheblich über den durchschnittlichen Zuwächsen in der Dekade vor der Pandemie (2010-2019: 184.000 pro Monat). Die Beschäftigungszuwächse waren breit über die Branchen verteilt. Sie konzentrieren sich allerdings auf den Dienstleistungssektor (+496.000), der nicht nur der mit Abstand größte Arbeitgeber (86 Prozent) ist, sondern infolge der COVID-19-Krise auch den deutlichsten Beschäftigungsrückstand aufweist. Gemessen am Beschäftigungsstand vor der Krise verkürzte sich die „Beschäftigungslücke“ auf 3,9 Millionen Stellen. Die Zahl der Arbeitslosen liegt allerdings nur noch 1,6 Millionen über dem historisch niedrigen Vorkrisenstand. Die Diskrepanz zwischen Arbeitslosen- und Beschäftigtenzahlen resultiert daraus, dass der Rückgang der Beschäftigung während der Krise mit einem ausgeprägten Rückzug von Arbeitnehmern aus dem Arbeitsmarkt einherging. Die entscheidende Frage ist nun: Wie eng ist der Arbeitsmarkt? Kehren die Ausgeschiedenen auf den Arbeitsmarkt zurück, oder stehen sie künftig nicht mehr zur Verfügung? 

Die Demografie spricht dafür, dass zumindest ein Teil der „Abschiede“ dauerhaft ist: Die „Baby-Boomer“ der 50er und frühen 60er Jahre wechseln in den Ruhestand, und die kräftigen Kursgewinne an den Aktienmärkten der vergangenen Jahre erleichtern diesen Übergang vermutlich. Die Statistik zeigt aber auch, dass die Erwerbsbeteiligung speziell bei jungen Frauen (Altersgruppe 25-34 Jahre) sehr deutlich gesunken ist. Dafür dürfte vor allem der Betreuungsbedarf für Kinder ausschlaggebend gewesen sein. Mit der Normalisierung des Schulbetriebs sollte dieser Effekt jedoch abklingen. Die Aktien- und – vielleicht überraschender – die Anleihemärkte haben den Arbeitsmarktbericht für Oktober 2021 als positive Nachricht aufgenommen. Für die Marktteilnehmer scheint entscheidend gewesen zu sein, dass das Arbeitskräfteangebot (vorerst) noch ausreichend groß und „elastisch“ ist, den wachsenden Personalbedarf zu decken. Als positives Signal vermerkt beispielsweise das Wall Street Journal am 5.11.2021, dass im Oktober 180.000 Frauen auf den Arbeitsmarkt zurückgekehrt seien. 

Das ändert aber wenig daran, dass die Auslastung des US-Arbeitsmarktes zunimmt und die Arbeitslosenquote in eine Größenordnung zurückgekehrt ist, die als Vollbeschäftigung gelten kann. Das Congressional Budget Office berechnet eine „nicht-zyklische Arbeitslosenquote“, die als Annäherung an die „inflationsstabile Arbeitslosenquote“ (NAIRU bzw. Non-Accelerating Inflation Rate of Unemployment) gelten kann. Sie bewegte sich in den zurückliegenden Jahrzehnten zwischen 4,5 und 6,2 Prozent (siehe Abbildung nächste Seite). Die genaue Höhe der NAIRU hängt vermutlich von strukturellen Faktoren ab, darunter demografischen Einflüssen, institutionellen Gegebenheiten des Arbeitsmarktes und Produktivitätsveränderungen (vgl. Ball/Mankiw (2000), The NAIRU in Theory and Practice). In der Tendenz, so die meisten Schätzungen, dürfte die Quote über die Jahrzehnte gesunken sein

Arbeitslosigkeit und Lohnwachstum USA

Steigt die Arbeitslosenquote über die NAIRU, geht dies typischerweise mit einer Verlangsamung des Lohnwachstums einher; sinkt die Arbeitslosigkeit unter die NAIRU, beschleunigt sich der Lohnanstieg. Der Hintergrund ist der, dass die steigende gesamtwirtschaftlichen Nachfrage – beispielsweise infolge einer expansiven Geld- oder Finanzpolitik – Arbeitslosigkeit einerseits und Löhne und Preise andererseits in entgegengesetzte Richtungen treibt. Zumindest auf kurze Sicht dürfte es also einen gegenläufigen Zusammenhang zwischen Inflation und Arbeitslosigkeit geben. 

Mit 4,6 Prozent im Oktober 2021 liegt die Arbeitslosigkeit unter der Quote, die der Offenmarktausschuss der US-Notenbank im September für das Ende des Jahres veranschlagt hatte (4,8 Prozent), und am unteren Rand der NAIRU-Spanne. Spiegelbildlich dazu legten die durchschnittlichen Stundenlöhne im Oktober um 5,8 Prozent zum Vorjahr zu. Wenn die Nachfrage stark bleibt (wovon die hohen US-Wachstumsprognosen für das Jahr 2022 ausgehen), dann wird auch der Arbeitskräftebedarf steigen und der Lohndruck hoch bleiben (zumal die Inflation reale Lohnzuwächse bisher weitgehend verhindert hat). Entsprechend könnten die Hoffnungen auf eine rasche Beruhigung der Preisentwicklung im nächsten Jahr enttäuscht werden. Der Anstieg der Verbraucherpreise im Oktober um 6,2 Prozent lässt erkennen, dass die Preisdynamik bereits deutlich höher ist als das FOMC erwartet hatte. Viel spricht deshalb dafür, dass die US-Notenbank ihre Geldpolitik über die bisher angekündigte Rückführung der Anleihekäufe hinaus straffen wird.

Marktübersicht

Diesen Beitrag teilen: